Die Nacht der langen Messer war für Alexis Tsipras eine Demütigung. Die Belastung sah man ihm bereits am Abend an. Auf seiner Seite kann er verbuchen, dass der Euro-Club ihm weitere Milliarden in Aussicht stellt. Doch das war es dann auch schon. Wenn er heute zurück nach Athen fliegt, kommt er als begossener Pudel an. Schon am frühen Morgen haben die Nachrichtensendungen vom großen Durchbruch berichtet. Allgemeine Erleichterung war in den Meldungen zu spüren. Doch eines ist klar: Es war ein Pyrrhussieg der Staats- und Regierungschefs. Wer glaubt, dass damit das Schlimmste überstanden sei, der glaubt auch an die Schuldentragfähigkeit Griechenlands. Beides trifft nicht zu. Die Eurokrise wird durch den gestrigen Abend neue Dynamik erhalten. Das Weiterwursteln setzt sich unvermindert fort.
Noch kennt man nicht die genaue Vereinbarung und das Kleingedruckte, aber so viel kann man schon jetzt sagen: all das, wofür Syriza im Januar gewählt wurde und jetzt beim Referendum mit großer Mehrheit bestätigt wurde, soll nun über Bord geworfen werden. So lächerlich unrealistisch die angepeilten Privatisierungserlöse von 50 Milliarden Euro auch sein mögen, sie sind ein Schlag ins Gesicht der Sozialisten in Griechenland. Die Rückkehr der Troika nach Athen und die Verpflichtung zur Rücknahme der bisher beschlossenen Ausgabeprogramme durch das griechische Parlament ist ebenfalls eine bewusste Provokation gegenüber der linken Regierung in Griechenland. Und eine Umschuldung der griechischen Schulden wird erst im zweiten Schritt in Aussicht gestellt. Auch hier wurde die Kernforderung von Tsipras nicht erfüllt. Es ist ein vollkommenes Desaster für die Sozialisten in Griechenland.
Es ist daher völlig unrealistisch, dass dies vom griechischen Parlament beschlossen und anschließend umgesetzt wird. Das Ziel, ein EU-Protektorat in Südosteuropa zu installieren, wird nicht funktionieren.
Entweder Tsipras wird in Griechenland in die Wüste geschickt oder er fängt schon heute an und relativiert die Beschlüsse. So hat er es auch in den vergangenen sechs Monaten gemacht. Zusagen wurden in Brüssel gemacht, die dann in Athen relativiert wurden. Schon in den frühen Morgenstunden hieß es aus Athen, es müsse Neuwahlen geben. Das ist wohl auch das wahrscheinlichste Szenario. Denn Tsipras kann nur dann politisch überleben, wenn er Neuwahlen zu einem erneuten Referendum über seine Politik macht. Das lässt ihn Zeit gewinnen und die Gläubiger weiter zappeln. Nur wenn er weiter als David spielt, der gegen die Goliaths in Brüssel und Berlin unerschrocken kämpft, kann er zur neuen Identifikationsfigur der Linken werden. Sollen sie ihn doch aus dem Euro schmeißen. Jedoch darf nicht er den Bettel hinwerfen, sondern der Schwarze Peter muss bei Merkel und Schäuble liegen. Daran arbeitet er seit geraumer Zeit mit wachsendem Erfolg. Wenn Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi Wolfgang Schäuble öffentlich abwatscht, dann sagt das sehr viel über die aktuellen Befindlichkeiten aus. Das weiß auch Angela Merkel.
Daher ist ihr Ziel, die Regierung Tsipras durch eine Technokratenregierung zu ersetzen. Doch wie heißt es so schön: hinten sind die Enten fett – das weiß auch Alexis Tsipras. Wer das Chicken Game gewinnt, wird sich erst noch zeigen.