Ludwig Erhard hat den Satz geprägt: „Es gibt keine Leistungen des Staates, die sich nicht auf Verzichte des Volkes gründen.“ Für diese Offenheit muss man Erhard noch heute dankbar sein. Auf Deutschland bezogen bedeutet das: Die Bürger haben 2015 2,8 Prozent und 2016 sogar 3,9 Prozent mehr Staatsausgaben ermöglicht, die auf ihrem Verzicht beruhen. Das war weitaus mehr, als die Wirtschaftsleistung insgesamt in diesen beiden Jahren zugenommen hat. 2015 stiegt das BIP um 1,7 Prozent und 2016 werden es wohl 1,9 Prozent sein. Es findet also eine schleichende Verschiebung hin zu noch mehr Staat statt. Von „Maßhalten“, wie es Erhard einmal formuliert hat, kann zumindest auf staatlicher Seite keine Rede sein. Der Staat wird immer fetter, der Bürger wird auf Diät gesetzt und mit Baldrian beruhigt. Alles wird gut, verspricht uns die Regierung. Gute Politik, erst recht gute Wirtschaftspolitik sieht anders aus.
Geld für den Staat, Baldrian für die Bürger
Sie behält die Zukunft fest im Blick und ruht sich nicht in der Gegenwart aus. Und gerade diesen Vorwurf muss man der aktuellen Regierung machen. Sie ruht sich aus, verteilt immer mehr zu Lasten der Bürger um und denkt nur im Jetzt.
Deutschland profitiert derzeit ohne das Zutun der derzeitigen großen Koalition von externen Faktoren und früheren Reformen. Der niedrige Ölpreis hilft, die Inflation zu drücken und die Inlandsnachfrage zu stärken. Die Geldpolitik der EZB vernichtet den Zins im Währungsraum und schwächt den Euro im Außenwert gegenüber dem US-Dollar. Inzwischen ist der Euro gegenüber dem Dollar fast auf einem 5-Jahres-Tief. Daher steigen die Exporte und auch der Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands kontinuierlich an. Beides führt zu einem hohen Beschäftigungsstand und einer niedrigen Arbeitslosigkeit. Der Arbeitsmarkt ist nach wie vor ausreichend flexibel, dank der Hartz-Reformen unter Gerhard Schröder vor mehr als 10 Jahren. So lange ist es her, dass die letzten substantiellen Wirtschaftsreformen in Deutschland durchgeführt wurden. Bis heute profitieren wir davon.
Steigende Wachstumszahlen, ein hoher Beschäftigungsstand und Nullzinsen für die öffentliche Verschuldung führen automatisch zu Mehreinnahmen bei den Steuern und Minderausgaben bei Zinsen und Sozialausgaben. Allein in dieser Legislaturperiode sind die Steuereinnahmen um zusätzlich 100 Milliarden Euro gewachsen. Die Zinslast der Verschuldung marginalisiert sich gleichzeitig auf der Ausgabenseite. Diese doppelte Dividende aus zusätzlichem Wachstum und niedrigen Zinsen wird durch neue Ausgaben bei der Rente und bei den übrigen sozialen „Wohltaten“ verfrühstückt.
Bleischuhe für die deutsche Wirtschaft?
Bei dieser Entwicklung kann man fast den Eindruck gewinnen, die Regierung gehe diesen Weg mit Absicht, um den Wettbewerbsvorsprung Deutschlands im Euroraum abzubauen. Das Delta gegenüber Italien, Frankreich und den anderen wächst tatsächlich seit Jahren an und droht, den Währungsraum zu zerreißen. Doch ist es die richtige Antwort, auf die mangelnde Reformbereitschaft der anderen mit noch weniger Reformbereitschaft zu reagieren? Vielleicht stehen in diesen Ländern gar derzeit echte Veränderungen an.
In Italien steht am kommenden Sonntag eine Verfassungsreform zur Abstimmung. Darin geht es unter anderem auch darum, die zweite Kammer, den Senat, von 315 auf 95 Parlamentarier zu reduzieren. So etwas stelle man sich einmal in Deutschland vor. Hier droht der Bundestag bei der nächsten Bundestagswahl von derzeit 630 Parlamentariern auf 750 zu wachsen. In Frankreich macht sich der Republikaner Francois Fillon auf, der nächste Präsident der Französischen Republik zu werden. Sein liberales Wirtschaftsprogramm würde das Nachbarland aus seiner Lethargie reißen. Steuersenkungen, weniger Staat und die Abschaffung der 35-Stunden-Woche stehen auf seiner Agenda. Auch das Noch-EU-Mitglied Großbritannien will durch Steuersenkungen die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts erhöhen. Gleiches strebt Donald Trump in den USA an. Überall wird darüber nachgedacht, wie Investition angeregt und dadurch Wachstum entstehen kann. Andere Länder um uns herum sind längst auf dem Weg, ihre Reformmüdigkeit von gestern zu überwinden.
Dagegen lehnt sich die Regierung in Deutschland saturiert zurück, hofft, durch einen Rentenwahlkampf beim Wähler zu punkten, verschläft dadurch aber die Zukunft. So bedauerlich dies für unser Land ist, so erfreulich ist der wieder steigende Wettbewerbsdruck. Bei den Unternehmensteuern hatte man lange Zeit den Eindruck, dass es eher zu einer Angleichung und Zentralisierung in Europa kommt. In der EU ging es im ersten Schritt darum, die Bemessungsgrundlagen der Besteuerung anzugleichen, im zweiten Schritt wäre es dann um Mindeststeuersätze für Unternehmen gegangen. Die Niedrigsteuergebiete in Irland oder den Niederlanden waren den sozialistischen oder technokratischen Regierungen immer ein Dorn im Auge. Sigmar Gabriel bezeichnete Google, Amazon und Facebook als asozial, weil sie in ihren Europazentralen in Irland faktisch keine Unternehmensteuern bezahlen.
Umso erstaunlicher ist es, dass die gleiche Bundesregierung bei ihrer eigenen Unternehmensbeteiligung, der Airbus Group SE, zugestimmt hat, dass der Unternehmenssitz steuersparend 2015 in das niederländische Leiden verlegt wurde. Der Bund hält daran über die KfW etwas mehr als 11 Prozent der Unternehmensanteile. Was die Steuerlast betrifft, muss Airbus seitdem keinen Vergleich mehr mit Google, Amazon und Facebook scheuen. Aber vielleicht hält es Sigmar Gabriel in dieser Angelegenheit eher mit Altkanzler Konrad Adenauer, der in solchen Fällen sagte: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.“