Tichys Einblick
Größerer Markt und Rechtssicherheit

EU-Osterweiterung: Eine Erfolgsgeschichte

Gerade die Visegrad-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) sind ein Paradebeispiel für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung - aber auch die baltischen Länder.

Treffen Visegrad in Budapest 24. Juni 2018: (L-R) Andrej Babis, Sebastian Kurz, Viktor Orban, Peter Pellegrini und Mateusz Morawiecki

FERENC ISZA/AFP/Getty Images

Unter den vier Grundfreiheiten in der EU ist die Personenfreizügigkeit hierzulande diejenige, die am meisten Kritik auf sich zieht. Bei den übrigen Grundfreiheiten, also der Kapitalverkehrsfreiheit, der Waren- und Dienstleistungsfreiheit sind viele Kritiker etwas großzügiger. Schon bei der Osterweiterung der EU, die gestern vor 15 Jahren stattfand, haben sich die „alten“ EU-Staaten ausbedungen, dass für die „Neuen“, die volle Personenfreizügigkeit erst bis zu sechs Jahren später greift. Die Sorge, dass „billige“ Arbeitskräfte aus Polen, Tschechien und Ungarn den heimischen Arbeitsmarkt zusätzlich belasten, war damals groß. Immerhin hatte Deutschland in der Schlussphase der Kanzlerschaft Gerhard Schröders 2004 4,3 Millionen Arbeitslose. Ein Jahr später lagen die offiziellen Zahlen sogar bei 4,9 Millionen. Da war es populär, mehr auf die Gefahren anstatt auf die Chancen hinzuweisen.

Die Gefahr, dass Arbeitskräfte aus Osteuropa lediglich in das hiesige Sozialsystem einwandern, war und ist populär. Dabei könnten die EU und Deutschland hier sehr schnell Abhilfe schaffen. Bereits vor der Brexit-Entscheidung in Großbritannien vor nun bald drei Jahren hatte David Cameron mit den übrigen 27 EU-Staaten verhandelt, dass sein Land eine Karenzzeit für Arbeitsmigranten aus anderen EU-Staaten einführen kann. Nach dem Brexit-Votum ist der Vorschlag bei den übrigen 27 EU-Staaten nicht weiter verfolgt worden. Eine fatale Fehlentscheidung!

Dennoch haben die Chancen der Personenfreizügigkeit die vermeintlichen Nachteile bei weitem übertroffen. Denn insgesamt war die Osterweiterung der EU eine segensreiche Entscheidung. Nicht nur für die europäischen Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes, sondern auch für Deutschland. Es war im klassischen Sinne eine Win-Win-Situation. Beide Seiten haben profitiert. Deutsche Unternehmen verlagerten Teile ihrer Produktion nach Polen, Ungarn, Tschechien oder in die Slowakei und sorgten so für eine erhöhte Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen. Gleichzeitig trugen diese Investitionen zur wirtschaftlichen Entwicklung dieser Länder bei. Der von vielen damals befürchtete Zuzug von Arbeitsmigranten hielt sich in Grenzen und trug sogar in vielen Bereichen dazu bei, den heimischen Fachkräftemangel abzumildern. Deutschland hat heute eine historisch geringe Arbeitslosenquote. Doch nicht nur in Deutschland ist die Arbeitslosenzahl gering, auch in unseren Nachbarländern im Osten ist dies der Fall. Tschechien hat heute eine Arbeitslosenquote von 1,9 Prozent. Sie ist die geringste in der gesamten EU. Und auch Ungarn und Polen liegen mit 3,5 Prozent weit unter dem Durchschnitt der EU von 7,8 Prozent.

Gerade die Visegrad-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) sind ein Paradebeispiel für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung. 2004 betrug die Wirtschaftsleistung dieser Länder noch 3,7 Prozent der gesamten EU-28. 2014 waren es schon 4,5 Prozent. Deren Exporte wuchsen in dieser Zeit drei Mal so stark wie die der EU-15. Sie sind inzwischen die viertgrößten Exporteure in der EU. Nach Deutschland sind diese vier Staaten auch die größten Standorte für die Automobilindustrie in Europa. Vergleichbare Entwicklungen gibt es in den übrigen Staaten des Warschauer Paktes, die nicht Mitglieder der EU wurden, nicht. Weder Russland noch die Ukraine können diese Entwicklung nachweisen. Tschechien ist mit 33 Prozent, Polen und die Slowakei sind mit 49 Prozent zur Wirtschaftsleistung verschuldet und erfüllen locker das Maastricht-Kriterium von 60 Prozent. Lediglich Ungarn liegt mit 71 Prozent darüber.

Ähnliches wie für die Visegrad-Staaten könnte man auch für die baltischen Staaten nachweisen, auch sie haben eine blendende Entwicklung genommen. Zwei Umstände kamen den zehn Beitrittskandidaten damals zupass.

Erstens: Der gemeinsame Markt. Der Abbau von Handelsschranken innerhalb der EU ermöglichte den Unternehmen und Bürgern dieser Länder auf einen Schlag mit insgesamt 500 Millionen Bürgern Handel zu treiben. Allen Freihandelskritikern sei dieses Beispiel ans Herz gelegt. Weder der Umwelt noch den Arbeitnehmern geht es heute schlechter als damals – im Gegenteil. Die Zahlen sind hier eindeutig. Und auch der Verbraucherschutz ist heute auf einem höheren Niveau als damals. Der Abbau von Schranken schafft also für beide Seiten Vorteile.

Zweitens: Die Angleichung des Rechts. Man kann viel über die Regulierungswut in der EU schimpfen. Doch die Standardisierung von Regelungen und Bedingungen schafft Rechtssicherheit auf beiden Seiten. Gerade daran mangelt es sonst häufig in Ländern, die sich von einem sozialistischen zu einem kapitalistischen Wirtschaftssystem wandeln. Die Schwierigkeiten mit dem Rechtsstaat sehen wir ja gerade in Ungarn und Rumänien. Die Einbindung in die EU schafft jedoch eine Konvergenz zu einem Standard, den alle akzeptieren. Ohne die EU-Mitgliedschaft würde es diesen Druck zur Angleichung nicht geben.

Also, der größere Markt und die Rechtssicherheit der Akteure beim wirtschaftlichen Austausch, war und ist das Erfolgsrezept der EU-Osterweiterung. Hier liegt auch die Chance für die Europäische Union. Jede neue Regelung muss dem Ziel dienen, den freiwilligen Austausch grenzüberschreitend zu fördern. Die Kernaufgabe der EU muss daher in der Förderung des Wettbewerbs liegen. Vielleicht müssen wir diese Erfolgsgeschichten wieder mehr erzählen, um nicht immer in eine „Es wird immer schlimmer“-Haltung zu verfallen. Einen Versuch wäre es wert!

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