Das CETA-Abkommen kommt vielleicht doch noch. Die Unterzeichnung des EU-Freihandelsabkommens mit Kanada wird heute zwar nicht stattfinden, dennoch hat sich die belgische Regierung mit der Regionalregierung in der Wallonie wohl geeinigt. Alle Freihandelsgegner haben zu früh gejubelt. Dennoch ist die EU am Scheideweg. Die Handelnden in Brüssel und insbesondere in Berlin sind selbst schuld am Schlamassel. Denn es war lange unklar, ob CETA ein gemischtes Abkommen ist oder nicht, ob es also der Zustimmung der Mitgliedsstaaten bedarf.
Die EU-Kommission vertrat Anfang Juni noch die Auffassung, dass Freihandelsabkommen ausschließlich in die Zuständigkeit der EU falle und die Zustimmung der nationalen und regionalen Parlamente nicht erforderlich sei. Die Kommission hatte dafür gute Gründe. Zur ausschließlichen Zuständigkeit der EU gehört eindeutig die gemeinsame Handelspolitik (Artikel 3, Absatz 1 e AEUV) und die ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluss internationaler Übereinkünfte (Artikel 3, Absatz 2 AEUV). Klarer geht es nicht.
Keine Rechtsgemeinschaft
Doch die EU ist keine Rechtsgemeinschaft, weil die Mitgliedsstaaten sich nicht an gemeinsam geschaffenes Regeln halten und die Kommission ihre Aufgabe als Hüterin der Verträge nicht wahrnimmt. Daher ist das Beinahe-Scheitern von CETA eigentlich nicht Campact oder all den CETA-Gegnern anzulasten, sondern den Regierungen der Mitgliedsstaaten. Sie hatten buchstäblich die Hosen voll. Mit der Brexitentscheidung am 23. Juni in Großbritannien brach Panik aus in den Regierungszentralen in Berlin, Paris und anderswo. Sie vertraten plötzlich die Rechtsauffassung, dass eine Zustimmung des Europa-Parlaments und der 30 Parlamente der Mitgliedsstaaten nunmehr notwendig sei. Damit war die Lunte für das Scheitern gelegt. Erst jetzt konnte ein Regionalparlament, wie in der Wallonie, das nicht einmal ein Prozent der EU-Bevölkerung repräsentiert, den Rest erpressen.
Neu konstruieren
Die Ursache für die fortgesetzten Rechtsbrüche ist der unzureichende institutionelle Rahmen der EU. Sie ist nicht ausreichend demokratisch und sie ist nicht ausreichend rechtstaatlich. Das Prinzip der Gewaltenteilung existiert nicht. Die Kommission setzt Recht, kontrolliert und sanktioniert es. Das Parlament der EU kontrolliert die Kommission nicht, sondern will mit der Kommission gemeinsam lediglich mehr Zuständigkeiten von den Mitgliedsstaaten erhalten. Ihr Widerpart ist der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs. Er ist keine zweite Kammer, wie der Bundesrat oder der Senat in den USA. Der Rat kann daher auch keine eigenen Gesetzentwürfe vorlegen. Dieses Recht ist der Kommission vorbehalten, die es zur Ausweitung ihrer Kompetenzfülle missbraucht.
Wann endlich beginnt in der EU eine systematische Diskussion über diese Konstruktionsfehler? Viele meinen, es sei schon zu spät. Doch Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut.