In der Corona-Krise brechen viele Dämme. Insbesondere in der Europäischen Union wird die Krise genutzt, um einen neuen Schritt der Zentralisierung und Kollektivierung einzuleiten. Zwar konzentriert sich die öffentliche Diskussion vorwiegend auf die Einführung von Euro-Bonds, die wahlweise als Corona-Bonds oder als Wiederaufbaufonds (Recovery Fund) präsentiert werden, doch die eigentliche Schlacht findet eher bei den bereits vorhandenen Instrumenten statt. Hier ist neben dem ESM und der Aufweichung seiner Zugangskonditionen vor allem die Auslegung des Artikels 122 Abs. 2 AEUV wichtig. Dieser erlaubt es dem Rat, einem Mitgliedsstaat auf Vorschlag der Kommission bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Belastungen Hilfeleistungen der Europäischen Union zu gewähren. Diese Maßnahmen dürfen zwar nur punktuelle und nicht permanente finanzielle Hilfen umfassen, doch man muss nicht über prophetische Gaben verfügen, um damit zu rechnen, dass so etwas schnell institutionalisiert wird. Denn mit der Unterstützung der nationalen Kurzarbeiter-Regelung SURE (European instrument for temporary support mitigating unemployment risks in an emergency) wird ein Instrument mit einem Volumen von bis zu 100 Mrd. Euro geschaffen, das die Kommission an anderer Stelle längst forciert. In Ihrem Verordnungsvorschlag will sie seit Monaten eine Rückversicherung der Arbeitslosenversicherungen in den Mitgliedsstaaten schaffen, also letztendlich den Einstieg in eine Vergemeinschaftung der Kosten der Arbeitslosenversicherungen. Daher ist hier besondere Vorsicht geboten. Insbesondere deshalb, weil Finanzminister Olaf Scholz bereits vor der Corona-Krise dieses Ansinnen offensiv unterstützt hat. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass er jetzt SURE durchwinkt.
Zwar hinterlässt die Pandemie in Europa und in der Welt historisch tiefe Spuren, doch die Frage ist, ob eine Vergemeinschaftung der Risiken über eine Katastrophenhilfe hinaus sinnvoll, richtig und insbesondere auch zielführend ist. Denn die wirtschaftlichen Probleme von Unternehmen, die Kurzarbeit oder der Anstieg der Arbeitslosigkeit treffen in dieser Situation ja alle mehr oder weniger gleich. Warum muss dieser Situation dann durch Umverteilung und Kollektivierung in der EU begegnet werden?
Nichts spricht gegen generelle und gezielte Unterstützung. Humanitäre Hilfe für die Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtigungen in Italien, Spanien und Frankreich sind richtig und notwendig. Dafür bedarf es aber keiner neu geschaffenen Institutionen und Fonds der Europäischen Union. Dies kann jedes Land aus eigener Initiative tun, und es sollte durch private Initiativen auch möglichst ergänzt werden. Hier hat Deutschland eine lange Tradition mit vielen Hilfsorganisation, vom THW über das Rote Kreuz bis hin zu den vielen anderen karitativen Organisation.
Das Kurzarbeiterregelung eignet sich auch aus einem anderen Grund nicht für die Umverteilung. Die Struktur dieser Maßnahme ist nämlich in jedem Land anders. In Europa schwankt das Kurzarbeitergeld zwischen 60 und 100 Prozent des vormaligen Entgelts. In Deutschland erhalten Arbeitnehmer ein Kurzarbeitergeld in Höhe von 60 bis 65 Prozent des Nettogehalts bis zur Beitragsbemessungsgrenze. In den meisten Ländern wird aber das Bruttogehalt als Basis zugrunde gelegt. In Frankreich erhalten Arbeitnehmer 70 Prozent des Bruttogehalts (Hans-Böckler-Stiftung, Policy Brief WSI, 04/2020). Da dies steuerfrei ist, entspricht es rund 84 Prozent des Nettogehalts. In Spanien wird das Kurzarbeitergeld 2 Jahre lang bezahlt, in Portugal nur 6 Monate.
Die Regelungen sind also höchst unterschiedlich und daher für die jeweiligen Sozialsysteme oder die Staatshaushalte unterschiedlich teuer. Dies mag auch daran liegen, dass die Rolle des Staates generell sehr unterschiedlich betrachtet wird. Europas Vielfalt ist seine Stärke. Diese Vielfalt zu nivellieren, würde den europäischen Geist zerstören.