Wir leben nicht in den Vereinigten Staaten von Europa, sondern die Europäische Union (EU) ist ein Staatenverbund, der auf der nationalen Souveränität seiner Mitgliedstaaten gründet. Doch die selbsternannten europäischen Eliten in Brüssel arbeiten ebenso wie das Führungspersonal in manchen Hauptstädten der EU unter der Flagge einer immer stärkeren „Integration“ genau auf einen solchen europäischen Zentralstaat hin.
Diese EU-Zentralisierungsstrategie führte anfänglich nur zu einem unterschwelligen Grummeln gegen zu viel EU-Bürokratie, provozierte dann aber bei den letzten Europawahlen einen Flächenbrand beim Souverän, den wählenden Bürgern in den EU-Mitgliedstaaten, die in einem nie zuvor gekannten Ausmaß EU- und Euro-skeptische Parteien wählten. Die immerwährende Integrationspolitik der „EU-Technokraten“ beförderte einen Re-Nationalisierungstrend, der sich später auch in der britischen Brexit-Entscheidung wie bei den jüngsten Parlamentswahlen in Italien äußerte. In dem fatalen Leitsatz der deutschen Kanzlerin „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“, den sie schon zu Beginn des Griechenland-Dramas im Bundestag prägte, gipfelte diese Fehleinschätzung, die erst recht die Zentrifugalkräfte in Europa stimulierte.
Überhaupt belegt die Geschichte des Euro, wie verhängnisvoll sich eine von oben verordnete Einheitswährung entwickelt, wenn die beiden größten Euro-Länder Deutschland und Frankreich – jedenfalls in der Vergangenheit – für gegensätzliche wirtschaftliche und politische Überzeugungen gestanden haben. Während Frankreich auf das Primat der Politik setzt, bevorzugt Deutschland das Primat vereinbarter Regeln. Dieser Gegensatz kann nur mit faulen Kompromissen überbrückt werden, wie die systematische Aushöhlung der Maastrichter Verträge belegt. Dass eine stabile Währung aber nicht auf faulen Kompromissen aufgebaut werden kann, manifestiert sich in der fortschreitenden Liraisierung des Euro.
Galt ursprünglich die Nichtbeistandsklausel, nach der jedes Euroland für eine unsolide Schuldenpolitik selbst haften muss, praktizieren wir längst unter der Flagge der Solidarität eine grenzenlose Schulden-Vergemeinschaftung. Damit die Märkte nicht gegen den Euro wetten, finanziert die Europäische Zentralbank ungeniert die exzessive Schuldenpolitik mit der Notenpresse. Schranken wird ihr auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) kaum setzen, wie die öffentliche Anhörung in dieser Woche belegte. Damit die Fragilität der auf Sand gebauten Euro-Währung nicht zutage tritt, dulden die Euro-Verteidiger keinen „Exit“. „Einmal dabei, immer dabei“ lautet der Schwur, als ob in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und finanzpolitischen Heterogenität so unterschiedliche Staaten auf Dauer in einer Währung verbunden bleiben könnten. Verwundert es, dass nur die die armen osteuropäischen EU-Staaten noch in den Euro drängen, das reiche Schweden oder das aufstrebende Polen aber gern außen vor bleiben?
Europas kulturelle und wirtschaftliche Stärke gründet auf Vielfalt. Dezentralität, Regionalität und Subsidiarität sind Begriffe, die das Gegenteil der Brüsseler EU-Megalomanie zum Ausdruck bringen. Selbstverständlich braucht Europa eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Natürlich ist es angesichts des Migrationsdrucks sinnvoll, ein europäisches Asylrecht zu entwickeln, das nur für Flüchtlinge, aber nicht für Arbeitsmigranten Geltung hat. Ein Staatenverbund hält aber in vielen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft unterschiedliche Standards aus. Genau das machte und macht ja den Reiz von Europa aus. Europa muss und darf nicht über einen Leisten geschlagen werden.
Nach der letzten Europawahl im Jahr 2014 formulierte der Konvent für Deutschland, ein parteiübergreifendes Gremium früherer Spitzenpolitiker unter Vorsitz des verstorbenen Altbundespräsidenten Roman Herzog: „Ohne die Rückbesinnung auf ein Europa der nationalen Vielfalt und Eigenständigkeit, ohne die Entwicklung einer neuen Balance zwischen nationaler Souveränität und europäischer Zentralität, wird die heutige EU, aber auch die Einheitswährung Euro, auf Dauer am Widerstand des Souveräns in den Mitgliedstaaten scheitern.“ Dem ist nichts hinzuzufügen, erst recht nicht, wenn man sich das Brüsseler „Weiter so“ der vergangenen vier Jahre vor Augen führt.