Wenn das Coronavirus-Fieber grassiert, verpuffen manche Themen, die sonst für helle Empörung sorgen. Dabei hat das aktuelle Beispiel für die Selbstbedienungs-Mentalität, die unter Politikern immer wieder verstärkt auftritt, eine Vorgeschichte, die bereits im September vergangenen Jahres im Berliner Abgeordnetenhaus bei nur drei Gegenstimmen der AfD und drei Grünen Abgeordneten mit großer Einmütigkeit vom Gros des Parlaments beschlossen wurde. TE berichtete darüber.
Den inzwischen 80-jährigen Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim, der in vielen Jahrzehnten mit immer wieder neuen Beispielen zur Selbstbedienungsmentalität der Parteien und Parlamente für öffentliche Resonanz sorgte, wühlte das aktuelle Berliner Beispiel so auf, dass er darüber ein kleines Buch mit dem Titel „Der Griff in die Kasse“ schrieb, das er an diesem Montag in Berlin vorstellte. Die Diätenerhöhung, mit der seit Januar dieses Jahres die bisher vergleichsweise bescheidenen Berliner Abgeordnetenbezüge von monatlich 3.944 Euro auf 6.250 Euro erhöht wurden, nennt er eine „schamlose Selbstbereicherung“. Der Parteienkritiker hält das Gesetz für „grob rechts- und verfassungswidrig“ und fordert seine Rücknahme. Besonders anstößig empfindet von Armin neben der bundesweit einmalig aberwitzigen Erhöhung um 58 Prozent, dass die Erhöhung bereits für die laufende Legislaturperiode und rückwirkend auch für alle derzeitigen Berliner Politpensionäre gilt, die einmal im Abgeordnetenhaus saßen.
Begründet wird die unglaubliche Erhöhung übrigens mit dem Argument, das Abgeordnetenhaus sei künftig kein „Teilzeitparlament“ mehr, sondern ein „Hauptzeitparlament“. Künftig dürfen die 18 Plenarsitzungstage im Jahr (alle zwei Wochen donnerstags außerhalb der Parlamentspausen) statt bis 19.00 Uhr auch bis 22.00 Uhr dauern. Ausschusssitzungen können statt in der Regel zwei künftig drei Stunden dauern. Weil diese bescheidene zusätzliche Mehrarbeit die Abgeordneten nicht hindern wird, neben der Abgeordnetentätigkeit eine andere berufliche Tätigkeit auszuüben, bezeichnet sich das Berliner Abgeordnetenhaus auch weiter nicht als „Vollzeitparlament“. Die drastische Einkommenserhöhung spricht dieser Begründung allerdings Hohn.
In Baden-Württemberg wurde vor wenigen Jahren durch einen massiven Proteststurm der Öffentlichkeit eine Rückkehr zum teuren Pensionssystem alter Prägung für die Landtagsabgeordneten wieder abgeblasen, das im Hauruck-Verfahren beschlossen werden sollte. Berlin wie auch die meisten anderen Landesparlamente sowie der Bundestag denken überhaupt nicht daran, am üppigen Pensionssystem der Abgeordneten zu rütteln. In Berlin bringt nach der Diätenneuregelung jedes Jahr der Parlamentszugehörigkeit 3 Prozentpunkte der laufenden Diätenhöhe als monatlichen Pensionsgewinn. Allerdings muss der Abgeordnete wenigstens neun Jahre sein Mandat ausgeübt haben. Dann greift die Pensionszusage mit 35 Prozent von derzeit 6.250 Euro. Pensionsberechtigt ist man bereits mit 63 Jahren, sofern man diese Mandatsdauer dann bereits erfüllt hat. Weil die reguläre Altersgrenze nach 9 Mindestmandatsjahren alle zwei weiteren Jahre um 1 Jahr gesenkt wird, kann man nach 20 Abgeordnetenjahren bereits mit Vollendung des 57. Lebensjahres mit der Höchstversorgung von 65 Prozent aus derzeit 6.250 Euro in Ruhestand gehen und voll dazuverdienen.
Diese beitragsfreie Beamtenversorgung de luxe, die sich fast alle Abgeordneten in Deutschland gönnen (bis auf NRW und Baden-Württemberg), erklärt auch, warum die Berufspolitiker die größten Schutzpatrone des Berufsbeamtentums sind. Die üppigen Pensionen der Ruhestandsbeamten (wenn man mal vom aussterbenden einfachen Dienst absieht!) müssen aus den laufenden Steuereinnahmen bezahlt werden, weil dafür so gut wie keine Versorgungsrücklagen aufgebaut wurden. Doch notwendige Einschnitte in die Versorgungszusagen oder gar eine Abschaffung des Berufsbeamtentums findet bei Berufspolitikern keine Resonanz. Sie müssten ja sonst am eigenen Zeug flicken.