Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 47-2020

Ursula von der Leyen: Dauerbeschallung mit Schlagworten und Videos

Auf Twitter und Instagram liefert sie viel Verpackung und wenig Substanz. Aber gleichzeitig wandelt die EU unter ihrer Führung auf französischen Pfaden.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Olivier Hoslet

Die Frau ist eine politische Allzweckwaffe, wenn man ihre berufliche Biografie in der Politik aus den vergangenen zwei Jahrzehnten aufruft. Zwei Jahre lang war sie Landesministerin in Niedersachsen (2003 bis 2005), ehe sie unter Merkels Ägide erst als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2005 bis 2009) reüssierte und dann als Bundesministerin für Arbeit und Soziales (2009 bis 2013).

Schließlich wurde sie von der ewigen Kanzlerin auf den Himmelfahrtsposten einer Bundesministerin der Verteidigung (2013 bis 2019) abgeschoben, weil die Niedersächsin ihr mit ihrem Ehrgeiz (Sie kokettierte mit dem Amt der Bundespräsidentin oder auch als potentielle Merkel-Nachfolgerin) auf die Nerven fiel. Doch dort hielt sich die erste Frau an der Spitze der Bundeswehr länger als nahezu alle ihrer Vorgänger, obwohl in ihrer Amtszeit die fast schon traditionelle mangelnde technische Einsatzbereitschaft der Armee immer mehr ins öffentliche Bewusstsein drang. Einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der die massive Vergabe von Beraterverträgen durchleuchten sollte, überstand sie im Amt, weil sie zur Überraschung aller im Sommer 2019 vom Europäischen Rat als Präsidentin der EU-Kommisson aus dem Hut gezaubert wurde. Sie hatte wohl niemand auf dem Schirm – außer dem französischen Präsidenten Macron, der sie ins Gespräch brachte. Auch Polens und Ungarn Regierungschefs votierten für die Frau aus Deutschland. Trotz massiven Grummelns wählte sie das Europäische Parlament am 16. Juli 2019 für das europäische Spitzenamt, das sie am 1. Dezember 2019 antrat.

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In den wenigen Monaten ihrer Amtszeit, die noch nicht von der Corona-Pandemie geprägt waren, setzte sie vor allem mit viel Pathos auf den „Green Deal“, mit dem sie den Klimaschutz ins Zentrum ihrer Amtszeit stellen wollte: „This is Europe’s man on the moon moment“, formulierte sie in Anlehnung an das Mondprojekt von US-Präsident John F. Kenedy der Sechziger Jahre. Im Aufgreifen von Zeitgeist-Themen war Ursula Gertrud von der Leyen in allen ihren Funktionen schon immer außerordentlich geschickt. Die Frau weiß sich zu inszenieren und zu ikonisieren. Doch ob sie in Brüssel die Fäden einer 30.000 Mitarbeiter-Behörde wirklich zusammenhalten kann, bezweifeln nicht nur viele Korrespondenten europäischer Medien. Denn sie baut ihr Amt auf einem kleinen abgeschotteten Kreis von Mitarbeitern auf, in dem vor allem Experten für Kommunikation den Ton angeben. Wer das Produkt ihrer Vermarktung in den sozialen Netzwerken verfolgt, erlebt eine Dauerbeschallung mit Schlagworten und Hochglanzvideos.
Doch die EU verändert sich gravierend

Dass die EU-Bürokratie schon seit vielen Jahrzehnten bestrebt ist, immer mehr Befugnisse an sich zu ziehen, ist kein Geheimnis. EU-Bürokraten träumen von einem EU-Zentralstaat, in dem der manchmal störrische nationale Souverän in den Mitgliedstaaten vor allem als Störung des reibungslosen Betriebsablaufs empfunden wird. Scheibchenweise ist dieser Zentralisierungsprozess in vielen Jahren gewachsen. Vor allem in Krisenzeiten gewann die Tendenz zur Vergemeinschaftung an Fahrt. Die Finanzkrise von 2008/2009, die auch in Europa in eine veritable Bankenkrise mündete und schließlich in der Euro-Krise kulminierte, beerdigte zum Beispiel das große „No Bail-Out“-Versprechen, das für Deutschland die Grundlage zur Aufgabe der D-Mark gewesen war. Alle Stabilitätsversprechungen zur Haushaltsdisziplin wurden fortan auf dem Altar einer europäischen Haftungsunion geopfert – mit immer mehr Gleichgültigkeit gegenüber den rechtlich fixierten Regeln in den europäischen Verträgen.

Wieder steckt Europa in einer Krise. Denn keine andere Region der Welt ist ökonomisch in der Corona-Pandemie so stark in eine Krise gestürzt wie der alte Kontinent. Die Gunst der Krisenstunde wussten sowohl die Eurokraten wie die hauptbetroffenen Südländer Italien und Spanien mit ihrem Club-Med-Protegé Frankreich glänzend zu nutzen. So herzlos kann doch niemand sein, in einer solchen Situation die Solidarität zu verweigern. Die europäischen Medien intonierten diese Melodie bereitwillig. Hinter den Kulissen spielte auch die EU-Kommissionspräsidentin das Macron-Spiel mit. Ob es viel Überredungskunst brauchte, auch Deutschlands Kanzlerin in die französische Spur zu setzen, ist nicht bekannt. Tatsache ist jedenfalls, dass das europäische Corona-Wiederaufbauprogramm (750 Milliarden Euro) mit erheblichen Krediten finanziert wird, die erstmals von der EU selbst aufgenommen werden. Die Kehrtwende der deutschen Regierung ist offensichtlich.

Wer das Argument ernst nimmt, dass es sich doch nur um einen Krisenausnahmetatbestand handelt, der verkennt die europäische Realität. Ausnahmen werden in Brüssel ungeniert ganz schnell in Regeltatbestände verwandelt. Wer EZB-Präsidentin Christine Lagarde in ihren Einlassungen der letzten Monate verfolgt, hört auch bei ihr eine Tendenz zur dauerhaften Implementierung einer gemeinsamen europäischen Kreditaufnahme heraus. Sie will, dass die geldpolitische Rettungspolitik der Notenbank von einer exzessiven europäischen Fiskalpolitik flankiert wird. Dass der deutsche Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat dafür plädiert, ist bekannt. Dass Grüne und Linke so ticken ebenfalls. Dass sich das EU-Parlament über den Kompetenzgewinn für das EU-Budget in großer Mehrheit freut, verwundert sicher niemand. Doch die nationale Souveränität wird immer weiter ausgehöhlt. Das könnte eines nicht allzu fernen Tages zum Bumerang für die europäischen Zentralisten werden.

Womöglich wird die Ära der deutschen EU-Kommissionspräsidentin historisch einmal als entscheidende Weichenstellung für den EU-Zentralstaat gewertet werden. Nicht weil, sondern obwohl sie vordergründig vor allem Verpackung und wenig Substanz liefert.

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