Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 40-2021

Vor der UN-Klimakonferenz in Glasgow: „Erst kommt das Fressen und dann die Moral!“

Am Sonntag beginnt im schottischen Glasgow die 26. UN-Klimakonferenz. Doch in Zeiten, in denen Strom-Blackouts und gewaltige Energiepreissprünge den Verbrauchern weltweit zusetzen, erfahren die Klimapolitiker heftigen Gegenwind.

IMAGO / ZUMA Press

In den kommenden zwei Wochen wird wieder verschärft ein moralisch und ideologisch aufgeladenes Trommelfeuer an klimapolitischen Hiobsbotschaften auf uns einprasseln. Denn in Glasgow trifft sich die Staatengemeinschaft zur 26. Weltklimakonferenz. In der Regel werden wohlfeile Absichtserklärungen vereinbart, um die Welt vor dem apokalyptischen Untergang zu retten. Doch den Realitätstest haben die verlautbarten guten Absichten fast noch nie bestanden. Es ist bei großspurigen Ankündigungs-Konferenzen geblieben. Der CO2-Ausstoß steigt global weiter, in diesem Jahr sogar verschärft.

Denn die gesellschaftliche Realität kollidiert mit der gewünschten Treibhausgas-Neutralität. Überall auf der Welt steigen die Energiepreise rasant. In solchen Zeiten bestätigt sich auch in der Klimapolitik der Satz, den Bertolt Brecht einst in seiner Dreigroschenoper formulierte: „Erst kommt das Fressen und dann die Moral!“ Wenn der Energiemangel serienweise Blackouts produziert wie in China, die Spritpreise durch die Decke gehen wie in den USA oder in Europa, die Gaspreise für die Endverbraucher um 30 Prozent und mehr explodieren, dann werden nicht nur die schmutzigsten Kohlekraftwerke hochgefahren und im Privathaus die alten Holzfeuerungen aktiviert, nein, dann reagieren auch die Regierungen und subventionieren die fossilen Brennstoffe für Auto und Wohnungsheizung. Was klimapolitisch gewünscht ist, scheitert am Widerstand der Menschen, die sich Treibstoffe und Wohnungswärme weiter leisten können wollen.

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Gerade in Deutschland, wo die Klimadebatte schon lange fast ersatzreligiöse Dimensionen angenommen hat, sollte Brechts Dreigroschenoper-Mahnung auch Eindruck auf die laufenden Koalitionsgespräche in Berlin machen. Denn wer das Primat der Klimapolitik so ultimativ verfolgt, wie es etwa die Grünen tun, deren Wähler meist zu den Gutverdienern zählen und massive Energiekostensteigerungen deshalb recht schmerzfrei wegstecken, sollte immer bedenken, dass die sozialen Folgen einer unvernünftigen Klimapolitik Regierungen ganz schnell aus dem Amt jagen können. Man muss nicht nur an die Gelbwesten-Proteste in Frankreich erinnern, die Frankreichs Präsident Macron massiv zusetzten und bis heute seine Wiederwahl im kommenden Jahr gefährden.

Deutschlands historischer Alleingang, der Doppelausstieg aus der Kernenergie und der Kohleverstromung, macht international fassungslos und findet nicht umsonst keine Nachahmung, weil niemand der eigenen Bevölkerung die weltweit höchsten deutschen Strompreise zumuten will. Doch die immer noch leistungsstarke deutsche Volkswirtschaft ist auf eine unterbrechungsfreie und bezahlbare Energieversorgung angewiesen. Die werden Wind und Sonne als volatile Energieträger aber nicht garantieren können, zumal gleichzeitig die Stromverbräuche durch die politisch verordnete Elektrifizierung der Mobilität und der Raumwärme gewaltig steigen.

TICHYS AUSBLICK AM 28. OKTOBER 2021
Tichys Ausblick: "Energiekrise spitzt sich zu - letzte Rettung Kernkraft?"
Je nach Witterungsverhältnissen – wie lange scheint im Jahresdurchschnitt die Sonne in den kommenden zwei Jahren, wie stark und beständig weht dann der Wind? – wird allein das Abschalten der letzten sechs deutschen Kernkraftwerke (je drei zum Jahresende 2021 und 2022) zu einem Anstieg des CO2-Ausstoßes um 40 bis 80 Millionen Tonnen im Jahr führen. Statt wenigstens eine Debatte über die Laufzeitenverlängerung dieser sechs Kraftwerke zu führen, um die negativen Klimafolgen der Abschaltung zu verhindern und Zeit für die vielbeschworene Transmission zu gewinnen, bleibt das Infragestellen des „Atomausstiegs“ ein deutsches Tabuthema. Das ist irrational und demaskiert alle verschärften CO2-Minderungsziele, die sich die deutsche Politik nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch am Ende der letzten Legislaturperiode des Bundestags in Rekordgeschwindigkeit verordnet hat.

Eine letzte Mahnung an alle, die immer nur „Klima, Klima, Klima“ rufen und das drängende Megathema der Alterung unserer Gesellschaft ausklammern, das gravierende Folgen für die Finanzierung der Alterssicherung und der Gesundheit, aber auch für den Arbeitsmarkt hat: Eine übersteigerte und ineffiziente nationale Klimapolitik erhöht zwar massiv die Kosten für die Bürger, ändert aber an der Erderwärmung so gut wie nichts, solange nicht internationale und effiziente Emissionshandelssysteme den Treibhausgasausstoß wirkungsvoll begrenzen. Außerdem werden die positiven Folgen einer klimaneutralen Welt Jahrzehnte brauchen, ehe sie spürbar werden.

Doch der Wegfall von Millionen Menschen im Erwerbsalter wird die Produktivität in Deutschland bereits in den kommenden zehn Jahren deutlich reduzieren und damit den Wohlstand des Volkes absenken. Auch der weitere Ausbau des Sozialstaats, das Festhalten an der heutigen Altersgrenze im Rentenrecht oder die üppigen Versprechungen in der Kranken- und Pflegeversicherung werden in viel kürzeren Zeithorizonten ihre negativen Wirkungen für die Menschen entfalten: weit höhere Sozialabgaben, höhere Steuern und Kaufkraftverlust durch die Inflation. Dieser Belastungscocktail kann sich zur demokratiegefährdenden politischen Zeitbombe entwickeln. Dieses Szenario sollten nicht nur die grünen Klimaschützer auf dem Schirm haben und endlich ideologisch abrüsten.

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