Machen wir uns nichts vor, diese 180-Grad-Wende der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, die Olaf Scholz am Sonntag im Bundestag mit zwei Zahlen unterstrich – 100 Milliarden Euro-Sondervermögen für die Ertüchtigung der Bundeswehr, im Grundgesetz abgesichert, und künftig ein jährliches Verteidigungs-Budget von mehr als 2 Prozent des BIP –, werden unserem Land einen Kurswechsel abverlangen, der die politischen Parteien und ihre Vorfeldorganisationen, aber auch die sogenannte Zivilgesellschaft, im Kern erschüttern wird.
Die Schreckensbilder aus der Ukraine und ein entfesselnd agierender Diktator Putin entfalten zwar derzeit eine breite moralische und politische Solidarisierung mit dem überfallenen Land, die selbst klare demoskopische Mehrheiten für Waffenlieferungen einschließt. Aber die Halbwertszeit von Empörungswellen ist vergänglich, wie die Erfahrung zeigt. Eine so abrupte Kehrtwende, wie sie jetzt von der Bundesregierung über Nacht verkündet wurde, wird ihre Bewährungsprobe in den kommenden Jahren erst noch bestehen müssen, wenn die vertrauten Rituale der innenpolitischen Auseinandersetzung wieder die Oberhand gewinnen. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich halte den sicherheitspolitischen Kurswechsel Deutschlands für richtig und schon lange überfällig.
Wie mehrheitsfähig ist die Aufrüstung, wenn es „ans Blechen geht“?
Waren anfangs die linken Flügel vor allem in den beiden Regierungsparteien SPD und Grüne buchstäblich sprachlos ob der Volte des Kanzlers, beginnen sich jetzt schon – während der Blutzoll in der ukrainischen Bevölkerung, den die russische Aggression fordert, Tag für Tag wächst – die ersten Kritiker zu melden. In der SPD wird die neue „Aufrüstungslust“ von der Gruppierung Demokratische Linke abgelehnt, wie Spiegel online berichtet. Bei den Grünen kommen die Vorbehalte nicht nur aus der Grünen Jugend. Frank Bsirke, der frühere Ver.di-Vorsitzende und heutige Abgeordnete der Grünen im Bundestag, verklausuliert seine Einwände kaum: „Wenn 50 Milliarden Euro an Rüstungsausgaben zu mehr nicht reichen, muss man zuallererst fragen, was da falsch läuft, nicht aber noch zusätzlich Geld hinterherwerfen.“
Solidarisch mit der Ukraine für Frieden zu demonstrieren sei das eine, sich für mehr Militärausgaben zu erwärmen aber etwas anderes in einem Land, in dem sich als Lehre aus dem imperialen Hitler-Faschismus eine pazifistische Grundhaltung verankert hat. Wenn schon in den ersten Tagen und unter dem Eindruck der verstörenden Bilder aus dem ukrainischen Kriegsgebiet kritische Fragen zur neuen deutschen „Aufrüstungslust“ gestellt werden, wie massiv wird der Gegenwind erst ausfallen, wenn die Ukraine wieder aus den Schlagzeilen verschwunden ist?
Kurzfristige Folgen für die Geldpolitik
Bereits heute darf als gesichert gelten, dass der militärische Krieg Russlands gegen die Ukraine einen veritablen globalen Wirtschaftskrieg bewirkt. Denn die massiven Wirtschaftssanktionen, mit denen der Westen Putins Russland treffen will, sowie die weitgehende Blockade der russischen Finanzströme werden das globale Wirtschaftswachstum bremsen. Gleichzeitig erklimmen die Energiepreise immer neue Höhen, weil Russland von seiner Haupteinnahmequelle abgeschnitten werden soll, indem die große Abhängigkeit Europas, vor allem Deutschlands, von russischem Gas, Öl und der Steinkohle aufgegeben wird. Die Inflation kennt nur noch eine Richtung: Sie steigt. In Europa lag sie im Februar bei 5,8 Prozent. Stagnierende Wirtschaft und steigende Preise münden in der Stagflation.
Die CDU und ihr Sondervermögen-Dilemma
Als Bundesfinanzminister Christian Lindner vor wenigen Monaten 60 Milliarden Euro Kreditermächtigungen für die Corona-Pandemie per Federstrich umwidmete und dem Klimafonds zuführte, rührte sich dagegen vernehmlicher Widerstand. Diese Umbuchung, die im Rahmen eines Nachtragshaushalts für das Jahr 2021 erst vor fünf Wochen von der Ampel-Mehrheit im Bundestag beschlossen wurde, werten viele Experten als Umgehung der grundgesetzlichen Schuldenbremse. Die Unions-Fraktion hat gegen den inzwischen rechtsgültigen Nachtragshaushalt eine Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.
Der Krisenmodus lässt die Staatsschulden explodieren
Sparsame Haushaltspolitiker, sofern es diese in Berlin überhaupt noch gibt, sind längst in der Defensive. Sparpolitik herrschte in Deutschland seit Jahrzehnten nicht, zumindest nicht bei den staatlichen Konsumausgaben, auch wenn die Austeritätsvorwürfe Legion sind. Fleißig wurde der Sozialstaat ausgeweitet, während die Infrastruktur verlotterte. Die Schuldenbremse reduzierte zwar die explizite Staatsschuld, aber selbst in den Zeiten der „schwarzen Null“ wuchs die implizite Staatsschuld in den sozialen Sicherungssystemen. Dann schlug die „Apokalypse“ zu.
Zunächst explodierte das Staatsbudget während der Corona-Pandemie. Dann wurden Abermilliarden für die deutsche Klimaschutzpolitik und die dafür erforderliche energiepolitische Transmission der deutschen Volkswirtschaft eingefordert und umgebucht. Und jetzt beansprucht die sicherheitspolitische Reaktion auf die russische Bedrohung immer höhere Staatsausgaben, die ohne exzessive Verschuldung überhaupt nicht darstellbar sind. Ausgabenbremsen, und seien es Grundgesetznormen, bieten keinen Schutz mehr. Daran wird das liberale Pochen auf die Einhaltung der Schuldenbremse nichts ändern. Auch das ein Kollateralschaden von Russlands imperialer Aggression!