Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 3-2018

Target2: Italiens „goldene Kreditkarte“

Regeln sind da, um gebrochen zu werden. Das ist vielleicht das wirklich zutreffende europäische Mantra.

© Filippo Monteforte/AFP/Getty Images

Gut möglich, dass sich die neue Bundesregierung nach der Italien-Wahl am Sonntag bald mit einem exogenen Schock auseinandersetzen muss, der erneut die Fragilität der Euro-Zone belegt. Die Angst vieler Insider: Italien hat sein Target 2-Budget, seine „goldene Kreditkarte“ (Werner Sinn), derzeit mit 433,2 Milliarden Euro überzogen. Die Deutsche Bundesbank haftet mit fast der Hälfte ihrer positiven Target 2-Forderungen (derzeit insgesamt 882,1 Milliarden Euro) für die Überziehungskredite Italiens.

Mitte-Rechts-Koalition liegt in Umfragen vorne

Seit 17. Februar dürfen keine neuen demoskopischen Erhebungen zum Wahlausgang in Italien mehr veröffentlicht werden. Doch das einzige Lager, das nach den letztveröffentlichten Umfragen eine kleine Chance auf eine Mandatsmehrheit im Parlament besitzt, ist das Mitte-Rechts-Lager, das der 81-jährige Silvio Berlusconi geschmiedet hat, obwohl er selbst wegen Steuerhinterziehung kein politisches Amt mehr übernehmen darf. Während die Linke gespalten ist, treten die konservative Forza Italia (FI), die rechtspopulistische Lega Nord und die postfaschistischen Fratelli d’Italia mit gemeinsamen Kandidaten an. Vor allem dann, wenn im Mitte-Rechts-Lager nicht Berlusconis FI, sondern die zuletzt unter Matteo Salvini stark aufkommende Lega Nord die Nase bei den Wählern vorne hat, ist mit einer extrem Europa- und Euro-skeptischen Regierungsbildung zu rechnen. Womöglich gibt es aber auch eine monatelange Hängepartie, die das strukturelle ökonomische Problem Italiens wieder in den Fokus der Finanzmärkte, der Politik und der Medien bringt.

Italiens Malaise: Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit

Eine zutreffende Beschreibung der italienischen Misere lieferte in dieser Woche in der FAZ der italienische Politökonom Lucio Baccaro, der neue Direktor des renommierten Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln. Eine Aussage Baccaros elektrisiert vor dem Hintergrund der Italien-Wahl besonders: „Italien sollte über den Euro-Austritt verhandeln.“ Seine ökonomische Analyse zur Entwicklung Italiens in der Euro-Zone gipfelt in der Feststellung, dass Italien neben Griechenland das „zweitgrößte Desaster“ in der Eurozone sei. Die Produktivität der italienischen Unternehmen stagniere seit rund zwei Jahrzehnten. Das BIP-Wachstum habe sich deutlich unter französischem und deutschem Niveau entwickelt und die Staatsschuldenquote sei auf 130 Prozent des BIP explodiert. Baccaros Fazit: Mit der Einheitswährung Euro habe sich Italien „an den Mast der EU gefesselt“, könne nicht mehr wie vor dem Euro durch regelmäßige Wechselkursanpassungen international an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen.

Italiens Erpressungspotential heisst „Target2“

Hans Werner Sinn, dem früheren Präsidenten des Münchner Ifo-Instituts, haben wir zu verdanken, dass die finanzpolitische Bedeutung eines Zahlungsverkehrssystems namens Target2 im Euro-Zentralbankensystem vor 7 Jahren in die öffentliche Debatte kam. Sein Bild von der „goldenen Kreditkarte“, mit der sich Schuldnerstaaten per Notenbankpresse der eigenen Zentralbank zusätzliche Finanzspielräume verschaffen können, ist sehr anschaulich und einprägsam. Dass diese Kredite via Geldschöpfung aber zu entsprechenden Forderungen in den Target2-Salden der Zentralbanken in den Ländern führen, in denen diese kreditfinanzierten Käufe getätigt werden, ist der Grund, warum Schuldner ihre Gläubiger erpressen können.

Ouzo für alle
Das deutsche 900 Mrd. Euro-Risiko
Aus der Saldenmechanik des Target2-Systems lässt sich aber auch ablesen, wie stark die Staatsanleihenkäufe der EZB inzwischen in Südeuropa zu einer verbotenen Staatsfinanzierung führen. Obwohl das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe diesen offensichtlichen Rechtsbruch in einem Vorlagebeschluss an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) bereits im vergangenen Jahr rügte, wird dort auf Zeit gespielt. Und wenn am EuGH irgendwann einmal eine Entscheidung verkündet wird, dann steht in unrühmlicher Tradition dieses Gerichts zu erwarten, dass es selbst offensichtliche Rechtsbrüche nicht sanktioniert.

Italiens Notenbank weist nach aktuellem Stand einen negativen Target2-Saldo von 433,2 Milliarden Euro aus. Das ist der höchste Negativsaldo aller südeuropäischen Notenbanken im Euro-Raum – neben Spanien. Die Deutsche Bundesbank weist dagegen eine Gesamtforderung im Target2-Zahlungsverkehrssystem aus, die derzeit bei 882,1 Milliarden Euro liegt. Vereinfacht formuliert besteht fast die Hälfte der deutschen Target2-Forderungen aus italienischen Verpflichtungen. Dramatisch wird das dann, wenn ein solches Krisenland aus dem Euro ausscheiden will. Dann stellt sich die Frage, ob die Bundesbank diese dreistelligen Milliarden-Forderungen ganz oder teilweise abschreiben muss. Die Folgen hätte dann der Bundeshaushalt und damit der deutsche Steuerzahler zu tragen, weil die Bundesbank auf Jahre hinaus keinen Bilanzgewinn an den Bund überweisen könnte.

„Muddling through“ oder „Alles wie immer!“

Alle Erfahrung mit der europäischen Politik zeigt, dass der harte Weg – der Austritt aus der Währungsunion – von keinem Land gegangen wird, obwohl die harte Erfahrung eines Euro-Exits womöglich die denkbar beste pädagogische Maßnahme wäre, um den ursprünglichen Stabilitätsregeln des Maastrichter Vertrags wieder Geltung zu verschaffen. Im Juli 2015 hat die deutsche Bundeskanzlerin die Umsetzung eines auf Betreiben von Wolfgang Schäuble in der Eurogruppe der Finanzminister bereits gefassten Beschlusses zum Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone verhindert. Genau deshalb, weil die europäische Politik das Mantra der deutschen Kanzlerin verinnerlicht hat („Scheitert der Euro, dann scheitert Europa!“, wird Brüssel und bis auf weiteres auch Berlin alles tun, um nicht konvergente Volkswirtschaften weiter in einem gemeinsamen Währungsraum zu halten. Der Preis wird aus deutscher und nordeuropäischer Sicht hoch sein. Denn weder das Reißen der 3%-Defizitgrenze noch das Überschreiten des Gesamtschuldendeckels werden je wieder in Sanktionen der EU-Kommission münden. Die europäische Haftungsgemeinschaft wächst weiter – allen Sonntagsreden zum Trotz. „No Bail out“ war gestern. Der deutsche Widerstand gegen die europäische Einlagensicherung wohl auch. Regeln sind da, um gebrochen zu werden. Das ist vielleicht das wirklich zutreffende neue europäische Mantra!

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