Der Mannheimer Steuerberater Heinrich Braun, TE-Lesern als Spezialist für Finanzgerichtsverfahren bekannt, vertritt betroffene Rentner in Musterverfahren vor den Finanzgerichten. Die neuesten Versuche der Finanzverwaltung, von der Doppelbesteuerung betroffene Rentnerinnen und Rentner, die Einsprüche gegen ihre Steuerbescheide erhoben haben, aus dem Verfahren zu drängen und ihnen mit unverhohlenen Drohungen den Schneid für den Kampf um ihre Rechte abzukaufen, empören den Diplom-Kaufmann mit eigener Kanzlei: „Dieses aggressive Verhalten der Finanzämter hat eine ganz neue Qualität im Umgang mit den Bürgern.“
Zunächst die aktuelle Faktenlage
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat am 19. Mai dieses Jahres zwar zwei Musterklagen gegen die geltende Rentenbesteuerung abgelehnt („Bundesfinanzhof erkennt Gefahr der Doppelbesteuerung von Renten“), aber trotzdem dem Gesetzgeber recht detailliert ins Stammbuch geschrieben, dass er die drohende Doppelbesteuerung von immer mehr Rentenbeziehern als reale Gefahr anerkennt. Die beim BFH unterlegenen Kläger haben inzwischen Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe eingelegt (Az. beim BVerfG: 2 BvR 1140/21 und 2 BvR 1143/21). Rentner können sich daher auf diese Verfahren berufen und das Ruhen ihrer Einsprüche verlangen (§ 363 Abs. 2 AO).
Weil Hunderttausende von Rentnern bereits Einsprüche gegen ihre Steuerbescheide eingelegt haben und die Finanzverwaltung unter dieser Einspruchsflut leidet, hat sich das Bundesfinanzministerium, das bisher die behauptete Doppelbesteuerung der Renten penetrant abstritt, mit Schreiben vom 30. August dazu entschieden, einen neuen Vorläufigkeitsvermerk bezüglich der Rentenbesteuerung in den Steuerbescheiden zu ermöglichen. Deshalb erhalten jetzt deutschlandweit Rentner Post von ihren Finanzämtern, sie mögen sich schriftlich per beigefügtem Formular mit der Erledigung ihrer Einsprüche einverstanden erklären, weil das Finanzamt nachträglich einen Vorläufigkeitsvermerk zur Rentenbesteuerung im Steuerbescheid anbringen werde. Damit sei der Einspruch dann erledigt. Wer nicht zustimmt, erhält eine Einspruchsentscheidung mit dem Vorläufigkeitsvermerk und wird auf diese Weise aus dem Einspruchsverfahren gedrängt.
Was für viele unverständlich sein mag, ist nach der Abgabenordnung allerdings rechtlich möglich: Der Einspruch wird durch einen Vorläufigkeitsvermerk tatsächlich unzulässig, weil das Ziel, die Rentenbesteuerung abzuändern, nun auch ohne Einspruch erreicht werden kann. Denn die Bestandskraft des Steuerbescheids tritt durch einen Vorläufigkeitsvermerk punktuell nicht ein.
Fortführung des Einspruchs oder Erledigungserklärung?
Nur Rentner, deren Einsprüche sich allein auf die Besteuerung der gesetzlichen Renten beschränken, sollten eine solche Erledigungserklärung gegenüber dem Finanzamt abgeben. Wenn weitere Besteuerungsgrundlagen fraglich sind, muss der Einspruch mit einem entsprechenden Hinweis auf jeden Fall aufrechterhalten werden. Aber auch wer nur die Rentenbesteuerung moniert hat, kann seine Anfechtung mit Bezug auf neue Erkenntnisse ausdehnen. Vor dem Finanzgericht des Saarlands ist etwa ein Musterverfahren anhängig, das den Ertragsanteil von 18 Prozent bei privaten Renten für fragwürdig hält (AZ: 3 K 1020/21). Vor dem Finanzgericht München klagt seit Kurzem ein Ehepaar wegen seiner Bezüge aus der Riester-Rente, wegen Auszahlungen aus einer Unterstützungskasse sowie einem betrieblichen Pensionsfonds (AZ: 11 K 1720/21).
Im Zweifelsfall sollten Einsprecher Rat bei ihrem Steuerberater suchen. Wer sich juristisch noch detaillierter kundig machen will, etwa über die nachträgliche Verlängerung einer schon abgelaufenen Äußerungsfrist oder den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, findet dazu Informationen in einem aktuellen Text, den Steuerberater Braun und der Dipl.-Mathematiker Klaus Schindler (beide als Interviewpartner aus TE-Print 04/2021 bekannt) für die Neuen Wirtschaftsbriefe (NWB 41/2021) verfasst haben.
Das Droh- und Druckpotenzial des Fiskus
Die bisherige Strategie der Finanzämter bestand darin, Einsprüche von Rentnern gegen die Rentenbesteuerung dadurch abzuschrecken, dass man sie aufforderte, die Doppelbesteuerung selbst zu berechnen oder den Einspruch zurückzunehmen. So übte man Druck auf die Einsprecher aus, weil kaum jemand seine Steuerbescheide über Jahrzehnte aufbewahrt hat. Dabei lässt sich, wie Braun und Schindler längst dargelegt haben, aus der Rentenbiografie der gesetzlichen Rentenversicherung über die erzielten Jahresentgeltpunkte jeweils präzise auch rückwirkend berechnen, ob die aus bereits versteuertem Einkommen erworbenen Entgeltpunkte höher sind als der steuerfreie Rentenanteil nach § 22 EStG. Jetzt hat sich das Bundesfinanzministerium in seinem aktuellen Erlass vom 30. August an die Obersten Finanzbehörden der Länder eine neue Abschreckungsmethode einfallen lassen. Denn die Finanzämter fügen ihren Schreiben an die einsprechenden Rentner, mit dem sie die Aufnahme des Vorläufigkeitsvermerks bezüglich der Rentenbesteuerung ankündigen, grundsätzlich folgenden „wichtigen Hinweis“ bei:
„Sollte nach einer künftigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder des Bundesfinanzhofs dieser Steuerbescheid Ihrer Auffassung nach hinsichtlich der Besteuerung von Leibrenten und anderen Leistungen aus der Basisversorgung nach § 22 Nummer 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG zu Ihren Gunsten zu ändern sein, benötige ich weitere Unterlagen von Ihnen. Von Amts wegen kann ich Ihren Steuerbescheid nicht ändern, weil mir nicht alle erforderlichen Informationen vorliegen.“
Die in diesem Hinweis steckende Obrigkeitsstaatsphilosophie, die den Steuerzahler als Untertan behandelt, der gefälligst selbst zu beweisen hat, ob er dem Staat zu viel Steuern gezahlt hat, ist unglaublich. Dass der Fiskus ein einnehmendes Wesen hat und lieber nimmt als gibt, ist zwar allseits bekannt. Doch die jetzt von den Finanzämtern aufgebaute Drohkulisse hat es in sich. Entweder ziehst du als steuerzahlender Rentner deinen Einspruch zurück. Wenn du das nicht tust, sage ich dir aber vorsorglich, dass du selbst bei einer Korrektur der Rentenbesteuerung persönlich dafür Sorge zu tragen hast, dass du mir als Staat nachweist, dass du zu Unrecht zu viel Steuern bezahlt hast. Diese Beweislastumkehr ist in dieser Dimension eines demokratischen Gemeinwesens absolut unwürdig.
Für den Fall, dass ein Einsprecher seine Zustimmung zum Vorläufigkeitsvermerk versagt, kündigen die Finanzämter in ihren Briefen an betroffene Rentner noch ein weiteres Abschreckungsinstrument an: Sie zwingen die Einsprecher dann mit einer ablehnenden Einspruchsentscheidung auf den Klageweg. Wenn du Steuerzahler nicht spurst, dann zwinge ich dich in die Spur. Der Amtschef des Ministeriums, das in Berlin einen solchen Verfahrensweg im Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern vorgeschlagen hat, heißt Olaf Scholz. Der Mann kann bald Bundeskanzler dieses Landes sein. Das kann ja heiter werden.