Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 29-2018

Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit

Weil die etablierte Politik und relevante Medien die Alltagswelt vieler Bürger ausblenden, avanciert die schillernde AfD immer stärker zum Protest-Ventil.

OMER MESSINGER/AFP/Getty Images

„Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd, und es gab keine Pogrome in dieser Stadt.“ So deutlich korrigierte gestern der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in seiner Regierungserklärung im sächsischen Landtag die fast hysterische und falsche Berichterstattung zahlreicher Leitmedien zu den Ereignissen in Chemnitz am 26. und 27. August nach den tödlichen Messerstichen. Selbst die Kanzlerin und ihr Regierungssprecher hatten bekanntlich diese Falschmeldungen in die Öffentlichkeit transportiert und ihnen damit erst recht Publizität verschafft. Gleichwohl ließ Kretschmer auch keinen Zweifel daran, „dass Rechtsextremismus die größte Gefahr für unsere Demokratie ist.“

Lange genug haben viele Bürger aus allen sozialen Schichten die Erfahrung machen müssen, dass die Integrationsprobleme selbst in der 3. und 4. Generation der ursprünglichen „Gastarbeiter“-Generation nicht kleiner, sondern eher größer geworden sind – vor allem bei Türken. Mit der Masseneinwanderung der vergangenen drei Jahre unter der Flagge des „Asylrechts“ hat sich die Angst vor Parallelgesellschaften, vor Kriminalität, vor kultureller Überfremdung signifikant verstärkt. Was Heinz Buschkowsky, langjähriger sozialdemokratischer Bürgermeister aus Berlin-Neukölln immer wieder anschaulich beschrieben hat, wurde lange vor allem in seiner eigenen Partei nicht gehört, geschweige denn akzeptiert.

Bisher wenige
Wer rückt von seiner Chemnitz-Aussage ab?
Seine Nachfolgerin, die heutige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD), wurde vom Berliner Tagesspiegel bereits im März kurz nach ihrem Amtsantritt gefragt, „ob die SPD sich gescheut habe, Probleme im Zusammenhang mit Migration offen anzusprechen und so Raum gelassen habe, den Rechtspopulisten genutzt hätten.“ Ihre Antwort war eindeutig: „So ist es. Ich erlebe es so: Viele Menschen sehen, dass es Leute gibt, die auf Regeln und Gesetze pfeifen. Manche haben Angst, abends U-Bahn zu fahren, fühlen sich in bestimmten Vierteln nicht sicher. Die Menschen erwarten von der Politik eine Antwort darauf. Wenn, ich sage es in Anführungszeichen, die „da oben“ aber erklären, da gebe es gar kein Problem, dann wenden sich die Bürger Parteien zu, die das aussprechen, was sie selbst jeden Tag erleben. Das Thema innere Sicherheit ist immens wichtig. Es ist die Basis für alles andere.“

Wenn ich mir die häufig undifferenzierte und pauschale Stimmungsmache gegen das „braune Chemnitz“ vor Augen führe, dann werden sich die etablierten Parteien nicht wundern müssen, wenn sie fast ausnahmslos weiter an die schillernde AfD verlieren. Auf die Stigmatisierung mit der verbalen Nazi-Keule, die übrigens in ihrem maßlosen Gebrauch auch eine schamlose Bagatellisierung der Nazi-Verbrechen darstellt, reagieren besorgte Bürger immer öfter mit der gleichgültigen Bemerkung: „Dann bin ich eben ein Nazi!“ Extremismus bekämpft man nicht mit Ausgrenzung, sondern mit dem Betrachten der Fakten. Wer besorgte Bürger erreichen will, muss selbst raus aus den ideologischen Schützengräben.

METZGERS ORDNUNGSRUF 11 – 2018
Die Rentenlügen von SPD und Union
Doch die Fakten werden nicht nur im Bereich innere Sicherheit und Migration geleugnet. Gerade in der Sozial- und Steuerpolitik gärt es im Volk. Vor allem die bürgerliche Mitte der Gesellschaft, deren Einsatz für die Demokratie gerade jetzt wieder von Politikern so wohlfeil eingefordert wird, reagiert zunehmend allergisch, wie großzügig die Regierenden in Berlin wie in den Ländern mit Steuergeld umgehen. Obwohl bereits ein lediger Facharbeiter in der Automobilindustrie den Spitzensteuersatz zu bezahlen hat, sind aus dem Bundesfinanzministerium statt Steuerentlastungsideen eher Steuererhöhungsphantasien zu vernehmen. Selbst die im Koalitionsvertrag versprochene Teilentlastung beim Solidaritätszuschlag wird im „Kampf gegen einen deutschen Trump“ zumindest von SPD-Regierungsseite wieder leise in Frage gestellt.

Nur wer die Wirklichkeit leugnet und die Alterung der Gesellschaft ausblendet, kann in der Rente das Niveau auf viele Jahre festzurren wollen, selbst wenn das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern sich immer stärker zu Lasten der Jüngeren verschlechtert. Ohne rot zu werden, versprechen die gleichen Realitätsleugner im selben Atemzug, auf eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters ebenfalls zu verzichten. Diese unhaltbare Versprechungsorgie in der Rentenpolitik wird künftige Wutbürger züchten. Zum einen, weil das Renteneintrittsalter bei weiter steigender Lebenserwartung hundertprozentig erhöht werden wird, zum andern, weil die Jüngeren nicht nur länger arbeiten, sondern auch mehr Steuern und Beiträge für weniger eigene Rentenansprüche als ihre Vorgängerkohorten bezahlen müssen.

Eine Politik, die von der leistungsbereiten Mitte der Gesellschaft erwartet, dass diese weiter ihren Beitrag für unser Gemeinwesen leistet, hat diesen Abermillionen Bürgern gegenüber eine Bringschuld. Die lässt sich in wenigen Sätzen akzentuieren: Lasst uns mehr von den Früchten unserer Arbeit! Senkt endlich die Steuerbelastung auf unsere Einkommen! Sorgt bei der Ausgestaltung von Sozialleistungen dafür, dass sich der eigene Arbeitseinsatz immer lohnt! Betreibt Zukunftsvorsorge und keine „Nach uns die Sintflut“-Politik!

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