Die Wirecard-Affäre, die größte betrügerische Pleite eines DAX-Unternehmens in der deutschen Finanzmarktgeschichte, treibt immer seltsamere Blüten. Noch im Februar 2019 hatte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Klage gegen die „Financial Times“ (FT) eingereicht, deren Redakteur Dan McCrum wieder einmal fundiert recherchierte Beiträge über die Bilanzmanipulationen des damaligen deutschen Börsenlieblings Wirecard veröffentlicht hatte. Der Vorwurf der deutschen Aufsichtsbehörde an den britischen Journalisten: Verdacht der Kursmanipulation. Er mache sich mit seiner Negativberichterstattung zum Handlanger von Leerverkaufs-Spekulanten, die auf einen Ausverkauf der Wirecard-Aktie wetteten.
Das Ermittlungsverfahren der Münchner Staatsanwaltschaft gegen McCrum ist inzwischen eingestellt. Der investigative FT-Journalist erhält in diesem Jahr den Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik. An diesem Montag wurde ihm auch der deutsche Reporterpreis verliehen. Per Videobotschaft hielt ausgerechnet Olaf Scholz die Laudatio, die am Sonntagabend vorab sogar in einem kurzen Ausschnitt im ZDF-„heute journal“ zu sehen war. Anchorman Claus Kleber fand es in seiner kurzen Anmoderation lediglich „apart“, dass ausgerecht der Minister, dessen nachgeordnete Behörde den von ihm jetzt Belobigten einst verklagte, heute lobende Worte für den Journalisten findet.
Es grenzt an Heuchelei, wenn der Bundesfinanzminister in seiner Laudatio McCrums Arbeit als „einen Meilenstein des investigativen Journalismus“ lobt. Der Brite habe sich „große Verdienste um den Rechtsstaat, unser Gemeinwesen und – und das will ich hier deutlich sagen – auch um den Finanzstandort Deutschland erworben.“ Zwar verschweigt Scholz nicht, dass es staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen den FT-Journalisten gab. Er sei „froh, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt hat und sich jetzt auf die Täter konzentriert“. Davon, dass die Ermittlungen auf eine Strafanzeige seiner BaFin zurückgingen, kein Wort von Scholz und erst recht kein Wort der Entschuldigung. Angesichts des laufenden parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist das Verhalten des SPD-Kanzlerkandidaten fast dummdreist zu nennen. Denn damit spornt er das Aufklärer-Trio im Untersuchungsausschuss – Florian Toncar von der FDP, den Grünen Danyal Bayaz und Fabio de Masi von den Linken – erst recht an.
Und die drei MdBs fördern mit ihren Kleinen Anfragen immer neue Beispiele zutage, die belegen, wie blind und einseitig die BaFin auf die erhobenen Vorwürfe reagierte. Ganz aktuell ist einer Antwort auf eine Anfrage des Grünen Bayaz zu entnehmen, dass die Bundesbank massive Einwendungen gegen das von der BaFin am 18. Februar 2019 für zwei Monate verfügte Leerverkaufsverbot erhoben hatte. Doch die dem Bundesfinanzminister unterstellte Behörde, deren Mitarbeiter selbst rege mit Wirecard-Aktien handelten, wie man inzwischen weiß, setzte sich über die Bundesbank-Bedenken damals einfach hinweg.
Das behördlich verordnete Leerverkaufsverbot, ein absolutes Novum übrigens, weil es das gegen eine einzelne Aktie noch nie zuvor gegeben hatte, wirkte wie ein staatlicher Persilschein für das Wirecard-Unternehmen. Die BaFin stellte sich damit eindeutig auf die Seite des Wirecard-Managements, das immer von einer Verschwörung gegen ihr Unternehmen fabulierte, wenn kritische Medienberichte erschienen und Shortseller am Markt gegen die Aktie zu wetten begannen. FDP-MdB Toncar nennt das damalige BaFin-Leerverkaufsverbot ein „Milliardengeschenk“ für die Wirecard-Vorstände Markus Braun und Jan Marsalek.
Bis heute gab es an der Spitze der BaFin keine personellen Konsequenzen. BaFin-Chef Felix Hufeld ist immer noch Präsident. Olaf Scholz, der wohl früher in die Causa Wirecard persönlich involviert war, als er bis heute preisgibt, hält bis auf weiteres seine schützende Hand über ihn, auch um der Peinlichkeit willen, jetzt den Journalisten zu loben, dem die BaFin vor knapp zwei Jahren die Staatsanwaltschaft auf den Hals hetzte. Scholz – der Pharisäer!