Ich bekenne freimütig, bereits im Juni 1999 für eine obligatorische, also verpflichtende zweite kapitalgedeckte Säule als Ergänzung zur umlagefinanzierten gesetzlichen Rente geworben zu haben. Ich war damals Abgeordneter der Grünen im Deutschen Bundestag. Walter Riester hatte seine Vorstellungen mit den Haushalts- und Finanzpolitikern der rot-grünen Regierung im kleinen Kreis abgestimmt und grünes Licht für seine obligatorische kapitalgedeckte Rente erhalten. Jeder Arbeitnehmer sollte einen bestimmten Prozentsatz von seinem Lohn für diese zweite Säule ansparen müssen. Der Zeitpunkt der Einführung war deshalb günstig, weil damals die Rentenversicherungsbeiträge als Folge einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts komplett von der Besteuerung ausgenommen wurden, was bei den meisten Arbeitnehmern zu einer höheren Nettolohnauszahlung führte. Deshalb wäre der obligatorische Abzug für die meisten leicht verschmerzbar gewesen.
Doch aus dem Projekt, das sich am Vorbild der Schweiz orientierte, wurde nichts. Als die BILD-Zeitung im Juni 1999 titelte: „Auch das noch! Riester plant Zwangsrente“ bekamen Kanzler Gerhard Schröder und der Grüne Joschka Fischer kalte Füße. Das Obligatorium wurde aus dem Gesetzentwurf gestrichen und stattdessen eine überaus bürokratische Lösung mit steuerlicher Förderung gestrickt. Das Produkt verkaufte sich anfangs schlecht, weshalb es später mit zusätzlichen Provisionsanreizen für die Versicherungsbranche aufgemotzt wurde. Zwar stiegen dann die Verkaufszahlen, doch die Verkaufsförderung ging zu Lasten der Rendite. Die Nullzinspolitik der Notenbanken in Verbindung mit den Anlageregelungen für die Einzahlungen machten die Riester-Verträge zunehmend uninteressant.
Deshalb kehrt das Obligatorium auf die Agenda der deutschen Politik zurück. In Schweden gibt es eine staatlich organisierte zweite kapitalgedeckte Säule in der Rente. In der Schweiz wurde die Verpflichtung bereits 1985 eingeführt und soll als Ergänzung zur 1. Säule ein Alterseinkommensniveau von mindestens 60 Prozent sichern. In Deutschland beträgt das Rentenniveau der Gesetzlichen Rente derzeit 48 Prozent, was für viele Geringverdiener automatisch in die staatliche Grundsicherung führt. Die geplante großkoalitionäre Grundrente wird dieses Problem nicht lösen, sondern viele neue Ungerechtigkeiten schaffen, weshalb sie möglicherweise auch an rechtlichen und praktischen Hürden scheitern wird.
Auf dem CDU-Bundesparteitag in Leipzig wird ein entsprechender Antrag des Sozialflügels der Partei zur Abstimmung stehen, mit dem ein staatlich organisiertes Standardvorsorgeprodukt für alle Arbeitnehmer eingeführt werden soll: verpflichtend! Auch der hessische Sozialminister Thomas Schäfer (CDU) trommelt weiter für seine Deutschland-Rente, einen Fonds, der ohne Gewinnabsicht zum Selbstkostenpreis verwaltet werden soll. Auch die Verbraucherschützer mit ihrem Vorsitzenden und ehemaligen grünen Finanzpolitiker Klaus Müller denken mit ihrer Extra-Rente in eine ähnliche Richtung. Sie orientieren sich am schwedischen Modell.
Im Gegensatz zur Versicherungswirtschaft halte ich einen Staatsfonds nicht für einen ordnungspolitischen Fehler, wenn es um die Organisation eines lebensstandardwahrenden Alterseinkommens für eine alternde Gesellschaft geht. Denn solange Sparer ein staatliches Obligatorium auf eigenen Wunsch verlassen können, weil sie nachweisen, dass sie bei privaten Anbietern eine bessere Lösung finden, entsteht hier keine Wettbewerbsverzerrung. Außerdem: Was nutzt es den vielen freiwillig Vorsorgenden, wenn sie später für eine immer größere Gruppe von Menschen, die aus Unwissenheit oder Gleichgültigkeit überhaupt nicht zusätzlich vorsorgen, mit ihren Steuern aufkommen müssen.