Gute Menschen, vulgo „Gutmenschen“, gibt es in allen politischen Lagern. Diese Erfahrung musste als jüngstes Beispiel eines moralischen Furors Carsten Linnemann machen, der Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Union. Denn auch eigene Parteifreunde, nicht nur die politische Konkurrenz, stigmatisierte ihn wegen einer Aussage, die ihm Gesinnungsjournalisten bei der dpa in einer Agenturmeldung in den Mund gelegt hatten: „Grundschulverbot“ für Migrantenkinder! Das Wort hatte er im Interview mit der Rheinischen Post überhaupt nicht gebraucht, sondern völlig zurecht darauf hingewiesen, dass ein Schulunterricht in der Grundschule nur Sinn macht, wenn die Kinder Deutsch verstehen und sprechen.
Andere Beispiele aus dieser Woche: Da fordern Tierschutzorganisationen eine höhere Besteuerung von Fleisch, um die Lachgas- und Methangasproduktion (beides Klimagase) der Landwirtschaft, die aus der Massentierhaltung resultiert, einzudämmen. Der Klimaschutz hat nach der innerdeutschen Flugverbots-Debatte und der Mehrwertsteuersenkungsdebatte für Fernverkehrstickets der Deutschen Bahn ein neues Opfer gefunden. Sofort hängen sich Agrarsprecher der Bundestagsfraktionen zustimmend aus dem Fenster und versuchen, sich beim Grünen Zeitgeist lieb Kind zu machen. Fakten interessieren scheinbar nicht. Dass der Fleischkonsum – trotz Greta Thunberg und der medial hoffierten „Fridays for Future“-Bewegung – auch bei jungen Menschen eher wieder steigt und nur 1 Prozent der Bevölkerung sich vegan und gerade mal 6 Prozent vegetarisch ernähren, spielt für die Verteuerungs- oder Verbotsapostel keine Rolle. „Gutmenschen“ scheinen ihre moralische Überlegenheit vor allem dadurch beweisen zu wollen, dass sie anderen Menschen ihren Lebensstil vorschreiben. Erfreut registriert man in diesem Kontext, dass sich wenigstens der konservative Grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg an dieser Stelle eindeutig positioniert. Es sei nicht Aufgabe der Politik, den Leuten zu sagen, was sie essen dürfen und was nicht und wie sie sich fortbewegen. Auch ein innerdeutsches Flugverbot ist für ihn keine Lösung, wie er in einem dpa-Interview kundtat.
Im Verkehr werden ähnliche Ammenmärchen erzählt. Der öffentliche Verkehr, der allgemein als umweltfreundlich gilt, soll mittel- und langfristig das konventionelle Auto und den Lkw-Verkehr ersetzen. Das Auto wird vom Grünen Zeitgeist in einem Ausmaß dämonisiert, das allen Fakten Hohn spricht. Fast 80 Prozent der gesamten Beförderungsleistungen werden vom motorisierten Individualverkehr erbracht. Nur etwa 15 Prozent leistet der öffentliche Verkehr. Wer glaubt, eine flächendeckende Automobil-Kompensation durch Bahnen und Busse organisiert zu bekommen, träumt. Obwohl die Bahn im Jahr 2017 gerade einmal 2,8 Milliarden Personen transportierte, Busse und Straßenbahnen insgesamt 9,5 Milliarden, weist der Bundeshaushalt 2019 für den schienengebundenen Verkehr (Fern- und Nahverkehr) Ausgaben von fast 13 Milliarden Euro aus. Zum Vergleich: Automobil bewegten sich gut 58 Milliarden Menschen. Rechnet man die vom Bund übernommenen Altlasten des Bundeseisenbahnvermögens hinzu, hinter dem euphemistischen Begriff verstecken sich vorwiegend die laufenden Pensionszahlungen für rund 170.000 ehemalige Bahnbeamte, dann kostet die Schiene den Steuerzahler rund 20 Milliarden Euro. Für die Bundesfernstraßen dagegen, die das Rückgrat der Verkehrsleistungen auf der Straße bilden, weist der Bundeshaushalt für Erhaltung und Aus- und Neubau sowie die Betriebskosten gerade mal 10,8 Milliarden Euro aus.
Ergänzend und abschließend noch ein Hinweis auf die volkswirtschaftliche Relevanz der deutschen Fahrzeugindustrie. 880.000 gut bezahlte Beschäftigte arbeiten in den automobilen Produktionsstätten. Rechnet man Zulieferer aus den unterschiedlichsten Branchen hinzu, verdienen rund 1,75 Millionen Menschen über die Automobilität ihr Geld. 4,7 Prozent trägt der Fahrzeugbau zur Bruttowertschöpfung der deutschen Volkswirtschaft bei. In keinem anderen Land der Welt würde eine so wichtige Branche so systematisch stigmatisiert wie bei uns. Auch das ein schlagendes Beispiel für das Leben im deutschen Absurdistan.