Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 31-2019

Leben in Absurdistan

Die deutsche Erregungskultur hat sich einer „political correctness“ ausgeliefert, die ohne Sinn und Verstand moralisiert und die Realität ausblendet.

imago images / ZUMA Press

Gute Menschen, vulgo „Gutmenschen“, gibt es in allen politischen Lagern. Diese Erfahrung musste als jüngstes Beispiel eines moralischen Furors Carsten Linnemann machen, der Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Union. Denn auch eigene Parteifreunde, nicht nur die politische Konkurrenz, stigmatisierte ihn wegen einer Aussage, die ihm Gesinnungsjournalisten bei der dpa in einer Agenturmeldung in den Mund gelegt hatten: „Grundschulverbot“ für Migrantenkinder! Das Wort hatte er im Interview mit der Rheinischen Post überhaupt nicht gebraucht, sondern völlig zurecht darauf hingewiesen, dass ein Schulunterricht in der Grundschule nur Sinn macht, wenn die Kinder Deutsch verstehen und sprechen.

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Deshalb regte er eine „Vorschulpflicht“ für Migrantenkinder an, um zunächst die deutsche Sprache zu lernen. Notfalls müsse die Einschulung auch zurückgestellt werden. Bei Migrationsanteilen in Grundschulklassen deutscher Großstädte von teilweise mehr als 70 Prozent eine Forderung, die der Bildungsfähigkeit von deutschen wie ausländischen Kindern nur gut täte. Doch die Schublade, in die politische Freunde wie Konkurrenten, etablierte Medien wie auch die „sozialen“ (eher unsozialen) Netzwerke, den Abgeordneten aus Paderborn sogleich steckten, stand bereit: „Rassist!“ So stigmatisierend erspart sich die „Gutmenschen“-Fraktion jegliche inhaltliche Debatte über ein substanzielles Bildungsproblem.

Andere Beispiele aus dieser Woche: Da fordern Tierschutzorganisationen eine höhere Besteuerung von Fleisch, um die Lachgas- und Methangasproduktion (beides Klimagase) der Landwirtschaft, die aus der Massentierhaltung resultiert, einzudämmen. Der Klimaschutz hat nach der innerdeutschen Flugverbots-Debatte und der Mehrwertsteuersenkungsdebatte für Fernverkehrstickets der Deutschen Bahn ein neues Opfer gefunden. Sofort hängen sich Agrarsprecher der Bundestagsfraktionen zustimmend aus dem Fenster und versuchen, sich beim Grünen Zeitgeist lieb Kind zu machen. Fakten interessieren scheinbar nicht. Dass der Fleischkonsum – trotz Greta Thunberg und der medial hoffierten „Fridays for Future“-Bewegung – auch bei jungen Menschen eher wieder steigt und nur 1 Prozent der Bevölkerung sich vegan und gerade mal 6 Prozent vegetarisch ernähren, spielt für die Verteuerungs- oder Verbotsapostel keine Rolle. „Gutmenschen“ scheinen ihre moralische Überlegenheit vor allem dadurch beweisen zu wollen, dass sie anderen Menschen ihren Lebensstil vorschreiben. Erfreut registriert man in diesem Kontext, dass sich wenigstens der konservative Grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg an dieser Stelle eindeutig positioniert. Es sei nicht Aufgabe der Politik, den Leuten zu sagen, was sie essen dürfen und was nicht und wie sie sich fortbewegen. Auch ein innerdeutsches Flugverbot ist für ihn keine Lösung, wie er in einem dpa-Interview kundtat.

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Geradezu absurd ist die Debatte um eine deutsche „Verkehrswende“. Bei diesem Wort sollten ohnehin alle Alarmglocken schrillen, wenn man sich die Blaupause der sogenannten „Energiewende“ anschaut. Wenn Sonne und Wind ausfallen, müssen fossil befeuerte Kraftwerke den regenerativ erzeugten Strom ersetzen und erhöhen so den CO2-Ausstoss. Bis zum 31. Dezember 2022, wenn alle sieben derzeit noch Strom liefernden Atomkraftwerke in Deutschland endgültig vom Netz sind, müssen dann noch einmal fast 10.000 MW Grundlaststrom (CO2-frei!) kompensiert werden. Was das für den Strompreis und die Versorgungsstabilität und -qualität bedeutet, kann sich jeder ausmalen. Mit die höchsten Strompreise der Welt haben wir schon heute. Nach dem Abschalten der AKWs sollen dann auch die deutschen Kohlekraftwerke vom Netz gehen. Wie dieser Doppelausstieg, dem bis dato auf dem Globus niemand folgt, in einer hochtechnisierten Volkswirtschaft mit ihrem Energiebedarf in der Realität funktionieren soll, dazu schweigt der Grüne Zeitgeist. Der Strom kommt ja aus der Steckdose und im Zweifelsfall aus französischen AKW und polnischen Kohlekraftwerken.

Im Verkehr werden ähnliche Ammenmärchen erzählt. Der öffentliche Verkehr, der allgemein als umweltfreundlich gilt, soll mittel- und langfristig das konventionelle Auto und den Lkw-Verkehr ersetzen. Das Auto wird vom Grünen Zeitgeist in einem Ausmaß dämonisiert, das allen Fakten Hohn spricht. Fast 80 Prozent der gesamten Beförderungsleistungen werden vom motorisierten Individualverkehr erbracht. Nur etwa 15 Prozent leistet der öffentliche Verkehr. Wer glaubt, eine flächendeckende Automobil-Kompensation durch Bahnen und Busse organisiert zu bekommen, träumt. Obwohl die Bahn im Jahr 2017 gerade einmal 2,8 Milliarden Personen transportierte, Busse und Straßenbahnen insgesamt 9,5 Milliarden, weist der Bundeshaushalt 2019 für den schienengebundenen Verkehr (Fern- und Nahverkehr) Ausgaben von fast 13 Milliarden Euro aus. Zum Vergleich: Automobil bewegten sich gut 58 Milliarden Menschen. Rechnet man die vom Bund übernommenen Altlasten des Bundeseisenbahnvermögens hinzu, hinter dem euphemistischen Begriff verstecken sich vorwiegend die laufenden Pensionszahlungen für rund 170.000 ehemalige Bahnbeamte, dann kostet die Schiene den Steuerzahler rund 20 Milliarden Euro. Für die Bundesfernstraßen dagegen, die das Rückgrat der Verkehrsleistungen auf der Straße bilden, weist der Bundeshaushalt für Erhaltung und Aus- und Neubau sowie die Betriebskosten gerade mal 10,8 Milliarden Euro aus.

Höhere Fleischsteuer
Darf’s ein bisschen mehr sein? Aber sicher doch!
Angesichts der erbrachten Verkehrsleistungen im „Modal Split“ zeigt dieses Zahlenspiel vor allem eines: Der öffentliche Verkehr ist teuer und wenig leistungsfähig. Niemals lässt sich ein massives Umswitchen vom motorisierten Individualverkehr auf Schiene und Busse kapazitätsmäßig leisten. Vom erzwungenen Mobilitätsverzicht einer auf Mobilität angewiesenen Gesellschaft ganz zu schweigen. Wenn der Grüne Zeitgeist heute lautstark nach der Ticket-Verbilligung für die öffentlichen Verkehrsmittel ruft, verkennt er, dass diese bereits heute massiv subventioniert werden. Denn die echten Ticketerlöse decken im Schnitt deutlich weniger als die Hälfte der Kosten. Im Gegensatz dazu steuert der dämonisierte Autoverkehr jede Menge Einnahmen in die öffentlichen Kassen. Allein die Energiesteuer auf Benzin und Dieselkraftstoff, die früher als Mineralölsteuer firmierte, erbrachte in den vergangenen Jahren im Schnitt jährlich rund 36 Milliarden Euro. Dazu addiert werden muss auch die gesetzliche Mehrwertsteuer von 19 Prozent. Schon mit dieser an der Zapfsäule kassierten Quellensteuer steuern die Auto- und Lkw-Fahrer weit mehr Geld zur Finanzierung der Verkehrswege bei, als Bund, Länder und Gemeinden für die Straße ausgeben. Dazu kommen noch 9 Milliarden Euro jährlich aus der Kraftfahrzeugsteuer und 7,5 Milliarden Euro aus der LKW-Maut. Der dämonisierte Auto- und Güterstraßenverkehr wirkt für den Fiskus als Cashcow, der weit mehr einbringt als er kostet.

Ergänzend und abschließend noch ein Hinweis auf die volkswirtschaftliche Relevanz der deutschen Fahrzeugindustrie. 880.000 gut bezahlte Beschäftigte arbeiten in den automobilen Produktionsstätten. Rechnet man Zulieferer aus den unterschiedlichsten Branchen hinzu, verdienen rund 1,75 Millionen Menschen über die Automobilität ihr Geld. 4,7 Prozent trägt der Fahrzeugbau zur Bruttowertschöpfung der deutschen Volkswirtschaft bei. In keinem anderen Land der Welt würde eine so wichtige Branche so systematisch stigmatisiert wie bei uns. Auch das ein schlagendes Beispiel für das Leben im deutschen Absurdistan.

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