Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 16-2020

Italiens Klagen über mangelnde Solidarität sind unbegründet

Die EZB hat mit ihren Anleihekäufen längst de facto Eurobonds eingeführt. Das Hochschuldnerland Italien hat davon massiv profitiert, während der Euro-Norden haftet.

imago Images

Man wäre eine Unmensch, wollte man nicht helfen angesichts der Bilder von verzweifelt kämpfenden Ärzten und Pflegekräften, die sich in Norditalien, Spanien oder Frankreich seit mehr als einem Monat um Zehntausende von Covid-Patienten bemühen. Nicht nur in Italien wird auf der populistischen Rechten medienwirksam an der Legende gestrickt, Europa sei nicht zur Solidarität fähig. Vor allem die reichen Deutschen verweigerten ihre Unterstützung. In der Tat war es mehr als nur peinlich, dass in den Anfangswochen sogar medizinische Unterstützung verweigert wurde, weil etwa der Export von Atemschutzmasken nach Italien vom deutschen Bundesgesundheitsminister untersagt wurde. Es mussten erst russische und chinesische Hilfsflugzeuge in Mailand landen, bis in Berlin und anderen europäischen Hauptstädten begriffen wurde, dass man in der Not unbürokratisch hilft.

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Trotzdem darf in der EU und der Euro-Zone auch in der Ausnahmesituation einer Pandemie nicht dem falschen Motto gehuldigt werden: „Not kennt kein Gebot!“ Italiens Politiker vor allem, aber auch spanische und französische, erwecken ganz ungeniert den Eindruck, Solidarität in der Krise verlange vor allem eine gemeinsame europäische Kreditaufnahme – vulgo Eurobonds oder Corona-Bonds. Sie instrumentalisieren eine epochale Herausforderung, um ihr altes Ziel einer Vergemeinschaftung der Staatsschulden zu erreichen, das bisher immer am Widerstand der solideren Nordländer unter Federführung Deutschlands gescheitert ist. Diese Länder pochten immer auf den Maastricht-Vertrag und sein hochheiliges Versprechen, dass in Europa kein Land für die Schulden anderer Länder haftet. Auch wenn in der Unionsfraktion die Vorbehalte gegen Corona-Bonds nach wie vor groß sind, während der Koalitionspartner SPD sie weitgehend tolerieren würde, schließt in Berlin niemand Wetten darauf ab, dass Kanzlerin Merkel am 24. April bei der nächsten Video-Regierungskonferenz tatsächlich für ein deutsches Nein wirbt. Viel wahrscheinlicher scheint, dass zur Finanzierung eines gigantischen europäischen Wideraufbauprogramms („Recovery Funds“), mit dem bis zu 1,5 Billionen Euro zur Bewältigung der Corona-Rezessionsfolgen mobilisiert werden, doch gemeinsam begebene europäische Anleihen verabredet werden. Die Transfer-Union Europa wäre damit endgültig vollendet.
Die EZB hat Eurobonds längst eingeführt

In den vergangenen zehn Jahren hat kein Euro-Mitgliedsland, wenn man mal von Griechenland absieht, mehr europäische Solidarität erfahren als Italien. Vor allem die Europäische Zentralbank (EZB) garantierte diese Unterstützung – und zwar mit Billigung vieler Regierungen in Europas Hauptstädten. Schon unter EZB-Präsident Jean-Claude Trichet kaufte die EZB ab dem Jahr 2010 vor allem italienische, spanische und griechische Staatsanleihen, um die Marktzinsen für diese Krisenstaaten niedrig zu halten. Als 2012 die Refinanzierungskosten für die Euro-Schuldnerstaaten im Zuge der Euro-Krise innerhalb kurzer Zeit förmlich explodierten, sprach Trichet-Nachfolger Mario Draghi seinen magischen Satz, die EZB werde alles tun, um den Euro zu verteidigen. Das OMT-Programm – Outright Monetary Transactions (vorbehaltlose geldpolitische Geschäfte) – wurde eingeführt, bis heute aber nie genutzt. Denn nach Draghis Rettungserklärung sanken die Zinssätze an den Märkten wieder. Italien mit seiner gigantischen Staatsverschuldung und seiner chronisch unsoliden Haushaltspolitik profitierte gewaltig. Auch die seit fünf Jahren von der EZB über verschiedene Programme stattfindenden Staatsanleihekäufe über mehr als 2,1 Billionen Euro halfen vor allem Italien. Auch in der aktuellen Coronakrise war die EZB sofort zur Stelle. Mit ihrem aktuellen Notfall-Anleihekaufprogramm (PEPP) will sie bis zum Jahresende zusätzlich Anleihen in Höhe von 750 Milliarden Euro erwerben. Fast alle bisherigen Restriktionen, die das Kauf-Volumen für Staatsanleihen beschränkten, werden aufgegeben. Man kann davon ausgehen, dass wieder ein großes Volumen italienischer Staatspapiere ins Portfolio der EZB gelangt. Obwohl Italien nur über ein schwaches Bonitäts-Rating von „BBB“ verfügt, kann es sich derzeit übrigens zu niedrigen 1,7 Prozent für zehnjährige Staatsanleihen refinanzieren. Außerhalb der Euro-Zone müssen Länder mit vergleichbarer Bonitätseinstufung dagegen deutlich höhere Zinsen bezahlen: Ungarn etwa 2,8 Prozent, Indonesien 8,2 Prozent.

Natürlich hat selbst Deutschland als Folge der EZB-Politik massiv an Zinsausgaben gespart. Doch der größte Profiteur der EZB-„Eurobonds“-Politik war Italien, das hunderte von Milliarden Euro an Zinsausgaben durch die EZB-Marktinterventionen sparte, wenn nicht sogar allein dadurch zahlungsfähig blieb. Dass die Euro-Staaten in Höhe ihrer Kapitaleinlagen für notleidende Staatspapiere im Portfolio der Zentralbank haften, unterschlägt man in Italien. Deutschland haftet im Zweifel mit 27 Prozent. Die inzwischen 68. Nachkriegsregierung Italiens unter Regierungschef Guiseppe Conte kämpft auf allen Kanälen gegen die in ihren Augen „überholten Regeln“ des Maastricht-Vertrags und des derzeit ohnehin ausgesetzten europäischen Stabilitätspakts. Man gewinnt immer stärker den Eindruck, dass ein Schuldnerland wie Italien seine Gläubiger längst erpressen kann. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass in der Corona-Krise nicht auch noch die letzten Barrieren einer einstens verabredeten Stabilitätsgemeinschaft, in der kein Euro-Land für die Schulden anderer Staaten aufzukommen hat, eingerissen werden. Der Euro ist ohnehin schon auf dem Weg zur Weichwährung. Wird der Weg weiter beschritten, ist dieser Währung kein langes Leben mehr beschieden.

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