Pointierter als Ludwig Erhard kann man die Ursachen der Geldentwertung, vulgo Inflation genannt, nicht zuspitzen: „Die Inflation kommt nicht über uns als ein Fluch oder als ein tragisches Geschick; sie wird immer durch eine leichtfertige oder sogar verbrecherische Politik hervorgerufen.“
Generationen von Politikern, aber auch das gemeine Volk, haben sich lange in einer Wohlstandsillusion eingerichtet, die auf Wohlstandsgewinn auf Pump ausgerichtet ist. Statt einer langfristig tragfähigen Prosperität, die echten Produktivitätsgewinnen geschuldet ist, sonnt man sich in einer Schein-Wohlfahrt, die häufig genug vor allem mit Krediten finanziert wird. Der Staat wuchert immer weiter. Während in den 1960er Jahren zu Erhards Zeiten die Staatsquote, also der Indikator für den Umfang und die wirtschaftliche Bedeutung der Staatstätigkeit, bei etwa einem Drittel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) lag, ist sie in den vergangenen Jahrzehnten massiv gestiegen. 2021 lag die Staatsquote auf einem Rekordniveau von knapp 52 Prozent des BIP.
Für Ludwig Erhard war „der Gedanke unerträglich, dass mit wachsendem Wohlstand auch der Umfang staatlicher und kollektiver Vorsorge wachsen sollte“. So beschrieb einst der kluge Kurt Biedenkopf Erhards Mantra. Und weiter: „Ihm (Erhard) wäre es ordnungspolitisch richtig erschienen als Antwort auf mehr Wohlstand auch mehr Raum für Selbstverantwortung zu gewähren.“
Sozialkonsum frisst Investition!
Doch davon kann in diesem Land schon lange keine Rede mehr sein. In geradezu abenteuerlicher Weise werden Sozialleistungen gesetzlich verankert, die immense Lasten in die Zukunft verlagern. Allein in der Ära von Angela Merkel wurden der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung hohe dreistellige Milliardensummen aufgehalst, die in den kommenden Dekaden die umlagefinanzierten Sozialkassen und die öffentlichen Haushalte zu sprengen drohen. Die solide wirtschaftliche Lage des vergangenen Jahrzehnts, als die Beschäftigung auf Rekordniveau stieg, die Steuereinnahmen sprudelten und die EZB-Nullzinspolitik die Zinsausgaben des Staates um eine dreistellige Milliardensumme reduzierte, wurde buchstäblich verprasst. Für Sozialkonsum vor allem, während die so dringend nötige Substanzerhaltung der Infrastruktur gnadenlos vernachlässigt wurde.
Was heute allseits beklagt wird, ist die Folge einer schrankenlosen sozialpolitischen Freigebigkeit, die im Ergebnis auf den Nenner gebracht werden kann: Konsum frisst Investition! Die schwarze Null, für die sich in der Großen Koalition vor allem die Union auf die Schultern klopfte, ist bei Lichte betrachtet ein Betrug. Denn während die offiziell ausgewiesene deutsche Staatsverschuldung bis zur Corona-Pandemie um etwa 20 Prozentpunkte sank, wuchs die implizite Verschuldung durch die in die Zukunft verlagerten Kosten der Sozialpolitik gewaltig. Würde der Staat wie ein privates Unternehmen bilanzieren, müssten die Finanzminister des Bundes und der Länder etwa für künftige Pensionen und Renten hohe Rückstellungen bilden. Nur weil das nicht der Fall ist, kann sich die Politik diesen rauschhaften Bilanzbetrug leisten.
Die Inflations-Gesundbeter von der EZB
Vom verstorbenen früheren Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer stammt der Satz: „Dass das Zeitalter der Inflation vorüber ist, habe ich noch nicht entdeckt. Aber wir sind weiter auf Entdeckungsreise.“ Viel zu lange haben Notenbanker, Politiker und auch die Akteure an den Finanzmärkten die Risiken der gewaltig aufgeblähten Bilanzsummen der großen Zentralbanken negiert. Dabei haben sich im vergangenen Jahrzehnt gewaltige Vermögenspreisblasen gebildet – vor allem im Immobilienmarkt, aber auch an den Börsen. Auf der Suche nach Rendite floss immense Liquidität in diese Märkte und machte Vermögensbesitzer zumindest auf dem Papier immer reicher.
Doch auch linke Ökonomen und viele Politiker freuten sich über die Folge der Nullzinspolitik. Plötzlich war Staatsverschuldung vermeintlich kein Problem mehr, weil Fremdkapital nicht nur keinen Zins kostete, sondern sich Käufer von sicheren deutschen Staatsanleihen sogar mit Negativzinsen begnügten. Nicht nur in der EZB wurde jahrelang das Gespenst der Deflation bemüht, um die schier schrankenlose Geldschöpfung zu rechtfertigen.
Während die Fed den Ausstieg wohl bereits kurzfristig zumindest mit der ersten kleinen Zinserhöhung einleitet und auch Schritte zur Bilanzreduktion vorbereitet, übt man sich bei der EZB immer noch im Gesundbeten. Schaut man sich die aktuellen Inflationsprognosen der europäischen Notenbank an, dann untertreibt sie weiter grandios. Laut der jüngsten EZB-Prognose liegt die Inflation in diesem Jahr bei knapp über 3 Prozent und sinkt in den kommenden beiden Jahren wieder auf unter 2 Prozent.
Alle diese angesichts der realen Zahlen viel zu optimistischen Prognosen haben vor allem einen Grund: Die EZB hat viel stärker die Schuldentragfähigkeit der Euro-Schuldenländer im Blick, deren Staatsschulden sie monetarisiert. Der Kaufkraftverlust der Normalbürger ist für die Mehrheit im EZB-Rat kein großes Thema. Systematisch vernachlässigt die EZB ihr Mandat, für Preisstabilität zu sorgen. Letztlich enteignet sie damit – wie eine vor allem auf Kreditfinanzierung beruhende Sozialpolitik – die Masse der kleinen Leute. Auch das kann man Betrug nennen.