Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 27-2021

Im Land der Klima-Illusionisten

„Global denken, lokal handeln“ galt einmal als grüner Leitspruch. Doch in der Klimapolitik wird angesichts der Fakten umgekehrt ein Schuh draus.

Fridays For Future Demonstration in Bonn, 2. Juli 2021

IMAGO / NurPhoto

Ob sich die Flutkatastrophe in der Eifel tatsächlich als Wahlkampf-Katalysator für die Grünen erweist, werden erst die kommenden Wochen zeigen. Denn inzwischen rückt doch in den Vordergrund, dass die monokausale Ursachenerklärung durch den Klimawandel reichlich konstruiert wirkt, weil es Extremniederschläge in historischer Zeitbetrachtung sowohl in dieser wie in anderen Regionen Deutschlands immer wieder mal gab – nicht selten sogar mit noch höheren Niederschlagsmengen und Wasserständen. Außerdem ist inzwischen vollkommen zurecht die desaströse Katastrophen-Warnpolitik ins Blickfeld geraten, weil zuständige Behörden sowie öffentlich-rechtliche Sender sträflich vernachlässigt haben, die betroffenen Bürger vor den lebensbedrohlichen Fluten zu warnen. Denn diese Katastrophe war ein Naturereignis mit präziser Vorankündigung durch eine für die Hochwasserwarnung eingerichtete europäische Behörde (EFAS), auf die Jörg Kachelmanns privater Wetterkanal schon Tage vorher und auch der Deutsche Wetterdienst (DWD) noch am Tag vor der Flut mehr als deutlich aufmerksam machten.

Doch der Klima-Romantizismus in Deutschland hat längst weit um sich gegriffen. Am Postulat „lokal handeln“ verhebt sich der (grüne) deutsche Michel, wenn es um die Klimapolitik geht. Nationale, regionale oder lokale Naturkatastrophen, seien es Dürren in Hitzeperioden, Stürme oder Starkniederschläge: immer ungenierter werden sie dem menschengemachten Klimawandel zugeschrieben, der durch die Kohlendioxidemissionen einer ständig wachsenden Weltbevölkerung verursacht wird. Nicht nur die Grünen erzählen dieses Narrativ, sondern längst auch Politiker der SPD und der Union. Die SPD verspricht in ihrem Bundestagswahlprogramm ein „klimaneutrales Deutschland“. Die Union wird ganz konkret: „Wir setzen verbindlich die Treibhausgasneutralität Deutschlands bis 2045 um.“ Und die Grünen behaupten selbstgewiss: „Mit dem Klimaschutz-Sofortprogramm führen wir unser Land auf den 1,5-Grad-Pfad.“

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Dieses klimapolitische Angebertum wächst vor allem im grün-ökologischen Biedermeier-Idyll, als ob an einer ambitionierten deutschen oder europäischen Klima-Politik das Weltklima genesen würde. Die Rechnung für diese Illusion wird teuer, wird Wohlstand und Arbeitsplätze kosten, aber keine einzige Naturkatastrophe verhindern. Dieser monokausale Trugschluss wird eher dazu führen, dass die Menschen – enttäuscht von der Wirkungslosigkeit eines nationalen (oder europäischen) Alleingangs – schon bald gegen eine zu harte Klimapolitik aufbegehren. Frankreichs Gelbwesten-Proteste gegen geplante Spritpreiserhöhungen lassen grüßen. Aber auch das Votum der Schweizer Stimmbürger, die am 13. Juni in einer Volksabstimmung gegen das vorgelegte CO2-Gesetz stimmten. Denn abstrakt sind viele für mehr Klimaschutz. Aber wenn es konkret wird, die eigenen Lebensumstände sich gravierend verändern müssten und die individuelle Rechnung präsentiert wird, dann ticken auch Zeitgeist-Grünwählerinnen und -wähler plötzlich sehr egoistisch.
Naiv: Deutschland geht voran, die Welt folgt!

Es ist ohnehin unfassbar, wie naiv angesichts der globalen Faktenlage die Vorstellung ist, dass die Welt von der deutschen Klimapolitik zu eigenen Anstrengungen motiviert wird. Im Gegenteil: Vor allem die Umsetzung der deutschen Energiewende, die Unternehmen und Bürgern die teuersten Stromkosten der Welt beschert hat, lässt Politiker in vielen Staaten der Welt davon Abstand halten.

Deutschlands Anteil am globalen CO2-Ausstoss beträgt derzeit 2 Prozent, die gesamte Europäische Union (plus Großbritannien) ist mit etwa 8 Prozent dabei. Weil die wachsende Weltbevölkerung und das Streben nach materiellem Wohlstand die globale Entwicklung prägen, bedeutet der Aufstieg von immer mehr Staaten aus absoluter Armut auch immer mehr Hunger nach Energie, die überwiegend durch fossile Brennstoffe gedeckt wird. Die Großmacht China ist heute für 28 Prozent des globalen Kohlendioxid-Ausstoßes verantwortlich und nimmt fast im Wochenrhythmus neue Kohlekraftwerke in Betrieb. Auch in vielen anderen Regionen der Welt steigen die Emissionen. Im Jahr 1990 waren die Staaten der heutigen EU plus Großbritannien noch für rund ein Drittel der globalen Klimagasemissionen verantwortlich. Demnächst wird die 10 Prozent-Marke unterschritten. Ifo-Chef Prof. Clemens Fuest bringt das auf den Punkt: „Man möchte gern glauben, dass der Rückgang der Emissionen, die von der EU verursacht werden, eine wünschenswerte Folge der EU-Klimapolitik ist. Tatsächlich ist es aber in erster Linie das Wachstum der Emissionen aus dem Rest der Welt, das den Anteil der EU schrumpfen lässt.“ Seit dem Pariser Klimaabkommen vom Dezember 2015, das inzwischen von 192 Staaten der Welt ratifiziert wurde, ist der globale CO2-Ausstoß nicht gesunken, sondern um rund 2,5 Prozent gestiegen.

Dazu paßt, dass  das OPEC-Ölkartell und seine Partnerländer sich am vergangenen Wochenende darauf verständigt haben, ihre Tagesproduktion ab August um 400.000 Barrel zu steigern. Selbst die noch bestehenden Produktionskürzungen sollen im September 2022 generell aufgehoben werden, sollten es die Marktbedingungen zulassen. Über einen günstigeren Preis drücken die Anbieter, hinter denen Staaten wie Saudi-Arabien, der Iran und Russland stehen, fossile Energien in den Markt und unterlaufen auch damit die von der deutschen und europäischen Politik angestrebte Nachfragereduktion.

Es ist keineswegs so, dass alle glauben, die Menschheit hätte in der Corona-Pandemie das Verzichten gelernt, weil der CO2-Ausstoß im Shutdown um 6,5 Prozent gefallen ist: Die Emissionen müssten bis 2030 Jahr für Jahr um 7,6 Prozent schrumpfen, um das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Der Corona-Shutdown zeitigte individuell und volkswirtschaftlich gewaltige Schäden. Doch selbst dieser von der Politik verordnete Stillstand im Ausnahmezustand begrenzte den CO2-Ausstoß nicht wirksam genug. Welchen massiven Eingriff in die Weltwirtschaft die Umsetzung der Pariser Klimaziele bedeutet, mag man sich gar nicht ausmalen. Erst recht nicht, wenn Deutschland und Europa einen hohen Preis für ihre Vorbildfunktion zahlen, aber das Klima nicht retten, weil ihrem ökologischen Pfad der Tugend kaum jemand folgt.


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