Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 34-2018

Grüne im Höhenrausch

„Tarek-Al-Wazir als Ministerpräsident?“ Das Grünen-affine mediale „Juste Milieu“ hyperventiliert und die Wähler goutieren die „Wohlfühl-Partei“ der Stunde.

© Getty Images

Viele Journalisten mögen die Grünen. Mit deutlichem Vorsprung vor der SPD präferieren sie laut Umfragen diese Partei. Umso verständlicher, wie sich die Medien derzeit um die Partei der Stunde kümmern, die nicht nur in Umfragen, sondern auch bei realen Wahlen bei den Wählern punktet wie nie. Im reichen Hessen führt mit Tarek-Al-Wazir ein Grüner Wirtschaftsminister mit ganz deutlichem Vorsprung das Beliebtheits-Ranking der Landespolitiker an. Annalena Baerbock und Robert Habeck, das Realo-Duo an der Grünen Parteispitze, sind das neue Dream-Team unter den Parteivorsitzenden in Deutschland. Während den Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD in den kommenden Monaten die Ablösung droht, bejubeln Grüne wie Medien unisono ihr noch junges Spitzen-Duo. Winfried Kretschmann, der altersweise schwäbische Obergrüne, verkörpert in Baden-Württemberg bereits im achten Regierungsjahr den Idealtypus des honorigen Landesvaters. Und jetzt orakelt selbst die Neue Zürcher Zeitung: „Tarek Al-Wazir könnte Ministerpräsident in Hessen werden.“

Gemach, gemach, Freunde der Grünen. Auf dem Teppich bleiben! Ministerpräsident könnte der hessische Wirtschaftsminister nur werden, wenn er mit Linken und SPD eine mehrheitsfähige Koalition zustande brächte. Dafür müssten die Grünen stärker als die SPD abschneiden und Tarek Al-Wazir alle Vorbehalte gegen die hessischen Linken aufgeben. Das halte ich für ausgeschlossen. Viel wahrscheinlicher wird eine Neuauflage von Schwarz-Grün. Sollte es für die bisherige Koalition mandatsmäßig nicht reichen, regiert eben dann in Wiesbaden die FDP in einem Jamaika-Bündnis mit.

Doch mir geht es mit diesem Ordnungsruf weniger um die Spekulation über den hessischen Wahlausgang und dessen disruptive Auswirkungen auf die Bundesregierung und die sie tragenden drei Parteien, als um die programmatische Positionierung der Wohlstandspartei „Die Grünen“. In meinen Jugendjahren nutzten CDU-Politiker im Kampf mit der SPD gern den Kalauer: „Allen wohl und niemand weh – SPD!“ Damit versuchten sie die wohlfahrtsstaatlichen Sirenenklänge der Sozialdemokratie, die in den Siebziger Jahren während der sozialliberalen Koalition die dramatischste Sozialausgabensteigerung aller Zeiten in Gesetze gegossen hat, zu persiflieren. Das misslang in beispielloser Weise, weil die Christdemokraten selbst schon lange in der Sozialpolitik in der Wolle gefärbte Sozialdemokraten sind und das dann auch in den folgenden Jahrzehnten in Regierungsverantwortung auslebten.

Bei den Grünen, die in ihren Anfängen in den Achtziger Jahren nicht nur sozialpolitisch links tickten, weshalb sie von der SPD auch lange als „Fleisch von unserem Fleisch“ mehr geächtet als geachtet wurden, gab es in den Neunziger Jahren – in der letzten Regierungsperiode von Kanzler Helmut Kohl – eine Phase, in der sie sehr grundsätzlich auch die Grenzen wohlfahrtsstaatlicher Leistungsfähigkeit in den Blick nahmen. Ich weiß, wovon ich schreibe, weil ich damals neben Christine Scheel, Margareta Wolf und Andrea Fischer selbst zur Grünen Reformer-Fraktion im Bundestag zählte. Plötzlich wurde staatliche Schuldenpolitik als „Raubbau an der nächsten Generation“ gebrandmarkt, rückte die strukturelle Konsolidierung der Alterssicherungssysteme, die vom demographischen Wandel bedroht werden, ins Blickfeld. Die langfristige Tragfähigkeit der Sozialversicherung wie der öffentlichen Finanzen galt vielen Grünen plötzlich als Gebot einer generationengerechten und nachhaltigen Politik. Selbst der BDI unter Hans-Olaf Henkel stufte die Grünen während der ersten rot-grünen Bundesregierung ab 1998 eher als Reformmotor ein als die SPD.

Doch diese nachdenkliche Zukunftsvorsorge-Debatte bei den Grünen ist längst einem etatistischen Relaunch gewichen, in dem mehr und neue soziale Leistungen versprochen werden. Ob in der Familienpolitik, bei Gesundheit und Pflege, in der Alterssicherung: Man muss schon mit der Lupe suchen, wenn man wissen will, wie die Grünen ihre Volksbeglückung seriös finanzieren wollen. Das Wort Generationengerechtigkeit gehört zwar immer noch zum Grünen Wortschatz, aber hat längst keine programmatischen Konsequenzen mehr. Denn sonst müssten die Grünen Amok laufen gegen die aktuelle Rentenpolitik der Großen Koalition. Doch da scheuen sie sich, weil sie dann den rentennäheren Jahrgängen auch schonungslos eine Erhöhung des Renteneintrittsalters nahebringen müssten. Doch so viel Ehrlichkeit vertragen auch ihre Wählerinnen und Wähler nicht. Deshalb hält man in der Frage lieber still. Auch in der Steuerpolitik scheinen die Grünen das Geld ihrer Wähler in den Kassen des Staates besser aufgehoben zu sehen als in deren Portemonnaies. Jedenfalls sind von der Grünen Opposition keine Vorschläge für eine ersatzlose Abschaffung des Solidaritätszuschlags oder für eine deutliche Abflachung des Einkommensteuertarifs zu hören. Auch der Grüne Staat hat ein einnehmendes Wesen.

Der „Versöhnung von Ökologie und Ökonomie“ reden Grüne oft das Wort, gerade auch dann, wenn sie mit der Union und/oder FDP koalieren. Doch diese Sonntagsphrase ist auf einem Feld längst entzaubert, das zur Grünen Kernkompetenz gezählt wird: der erneuerbaren Energie! Das Multimilliarden Euro teure Energieeinspeisegesetz (EEG) hat den deutschen Privathaushalten und der Wirtschaft zwar die höchsten Strompreise der Welt beschert. Ökonomisch stellte diese gigantische Subvention eine Innovationsbremse dar, wie alle langjährigen Untersuchungen über die Mitnahmeeffekte dieser teuren Einspeisevergütung belegen. Ökologisch ist die Energiewende zum GAU geworden, weil der Kohlendioxidausstoß in Deutschland in den vergangenen Jahren gestiegen, statt gesunken ist. Wenn sich die Nachhaltigkeit Grüner Politik im Energiesektor widerspiegelt, dann muss man sich um die Zukunftsfähigkeit ihrer Politikkonzepte in der Renten-, Gesundheits- und Sozialpolitik erst recht Gedanken machen.

Wer „blühende Landschaften“ verspricht und dann nicht liefert, wird irgendwann abgestraft. Das Schicksal hat die Union im Osten längst ereilt. Die Grünen müssen aufpassen, dass sie mit ihrer wohlklingenden „Zukunftspartei“-Rhetorik nicht ganz schnell an ihrem eigenen ökologischen Nachhaltigkeits-Anspruch scheitern.


Wahlwette Hessen:

Wer über alle genannten Parteien hinweg am nächsten an den Ergebnissen landet, gewinnt.

Ihre Wetten nehmen wir ab sofort entgegen.

Annahmeschluss ist der Wahlsonntag (28.10.2018 ) um 16:30 Uhr. Das Wettergebnis wird am Wahlsonntag um 17.45 Uhr veröffentlicht.

Auf die Gewinner wartet:

1. Platz: eine Flasche Champagner von Tante Mizzi
2. Platz: zwei Bücher aus dem Shop nach Wahl
3. Platz: ein Buch aus dem Shop nach Wahl

++ Abstimmung geschlossen ++
Die mobile Version verlassen