Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 24-2018

GroKo-Motto: Nach uns die Sintflut!

Die Große Koalition III unter Angela Merkel hat kostspielige Folgen. Die Nachhaltigkeitslücke für Staat und Sozialversicherungen steigt um rund 60 Prozentpunkte.

Axel Schmidt/AFP/Getty Images

Mit Hilfe von Generationenbilanzen lassen sich die langfristigen Wirkungen der Fiskal- und Sozialpolitik eines Staates quantifizieren. So können wissenschaftlich tragfähige Analysen über die Nachhaltigkeit politischer Entscheidungen und ihre intergenerativen Verteilungswirkungen erstellt werden. Würde eine Regierung im Stil eines ehrbaren Kaufmanns handeln, dann würde sie alles daran setzen, die Nachhaltigkeitslücke möglichst gering zu halten, um künftigen Generationen keine untragbaren Lasten aufzubürden.

In den gängigen Schuldenstandsanalysen ist fast immer nur von der expliziten Staatsverschuldung die Rede. Dahinter verbergen sich die Kredite von Bund, Ländern und Kommunen sowie der Sozialversicherungen einschließlich aller Extrahaushalte. Zum Jahresende 2017 beliefen sich diese expliziten Schulden auf 1.965.438.000.000 Euro. In Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), der volkswirtschaftlichen Leistung unseres Landes, ergab das einen Wert von 64,1 Prozent. Denn das deutsche BIP des vergangenen Jahres lag bei 3,26 Billionen Euro. Gegenüber dem Höchststand der Staatsschuldenquote im Jahr 2010 mit 81 Prozent nähert sich Deutschland damit endlich wieder dem Maastricht-Höchstwert von 60 Prozent expliziter. Die jetzt schon fast zehn Jahre währende Wachstumsphase samt hoher Beschäftigungsquote beschert Fiskus und Sozialversicherungen Jahr für Jahr neue Einnahmenrekorde.

Das macht Politiker übermütig, lässt sie auf der Suche nach Wählerzustimmung immer neue soziale Wohltaten ausrufen. Volle Kassen waren immer schon Gift für solide Politik. Denn nicht im Blick steckt die implizite Verschuldung, die sich aus den Leistungszusagen der Rentenversicherung, der Beamtenversorgung, der Kranken- und Pflegeversicherung, aber auch einer ungesteuerten Zuwanderung ergibt. Deren Nachhaltigkeitslücke beträgt aktuell rund 4,1 Billionen Euro, immerhin 132 Prozent des BIP. Erfreulicherweise ist laut der von der Stiftung Marktwirtschaft und dem Forschungszentrum Generationenverträge der Universität Freiburg (https://www.stiftung-marktwirtschaft.de/inhalte/presse-und-aktuelles/pressedetails/update-generationenbilanz-2018-kosten-der-grossen-koalition/show/News/) vorgelegten Update 2018 die gesamte Nachhaltigkeitslücke gegenüber dem Vorjahr von 224 auf 200 Prozent gesunken. Selbstverständlich ist dieser ehrliche Gesamtschuldenstand nach wie vor viel zu hoch – zumal in dieser guten Konjunkturlage!

Doch jetzt setzt sich eine verantwortungslose Regierung in Szene, die im Kampf gegen „Populismus und Radikalismus“ (O-Ton Hubertus Heil) ohne Rücksicht auf den demografischen Wandel stabile Renten und mehr Mütterrente verspricht. Allein die Festschreibung des heutigen Rentenniveaus auf 48 Prozent wird unter der Annahme, dass der Beitragssatz nicht über 22 Prozentpunkte steigen darf, die Nachhaltigkeitslücke um 52 Prozentpunkte erhöhen. Sollten Politiker auf die Idee verfallen, die von der Bundesregierung in ihrem aktuellen Rentenpaket bis zum Jahr 2025 garantierte maximale Beitragshöhe von 20 Prozentpunkten auch darüber hinaus fortzuschreiben, dann würde die Nachhaltigkeitslücke um weitere 62 Prozentpunkte des BIP explodieren. Zum Vergleich: Die geplante Ausweitung der Mütterrente trägt mit 6 Prozentpunkten zur Nachhaltigkeitslücke bei.

Es ist ein Irrsinn, was die Berliner Koalition hier auf den Weg bringen will. Binnen einer Legislaturperiode macht sie die gewaltigen positiven Effekte zunichte, die der Nachhaltigkeitsfaktor der rot-grünen Rentenreform im Jahr 2003 sowie die Erhöhung des Renteneintrittsalters 2006 in der Großen Koalition I bewirkt hatten. Nach Überzeugung nahezu aller Fachleute wurde mit diesen gewaltigen Reformschritten drei Viertel der Nachhaltigkeitslücke in der Rentenversicherung erfolgreich geschlossen, die sich aufgrund der demografischen Entwicklung einstellen würde. Wenn man alle geplanten Maßnahmen der Bundesregierung saldiert, steigt die Nachhaltigkeitslücke des Staates und der Sozialversicherungen binnen dieser Legislaturperiode um gut 60 Prozentpunkte. Das Duo Angela Merkel und Olaf Scholz stehen für die teuerste Große Koalition aller Zeiten.

Was besonders fassungslos macht: Die Sozialpolitiker sollten durch die Entwicklungen in der Pflegeversicherung gewarnt sein. Der aktuelle Gesundheitsminister Jens Spahn muss die Suppe auslöffeln, die ihm sein Vorgänger Hermann Gröhe eingebrockt hat. Um bis zu 0,5 Prozentpunkte muss der Pflegebeitragssatz zum Jahresbeginn 2019 steigen, um die Kostenexplosion aufzufangen. Zum Fiasko für die Pflegeversicherung sind die von Gröhe eingeführten „Pflegegrade“ geworden, die zu massiven Ausgabensteigerungen führen. Wie üblich beschönigten die Sozialpolitiker bei Reformbeginn die gewaltigen Folgekosten. Man muss aber kein Hellseher sein, um spätestens für das Jahr 2020 ein gewaltiges Finanzierungsproblem in allen Zweigen der Sozialversicherung und bei den Pensionslasten der Beamten zu prognostizieren. Obwohl noch zu rot-grünen Reformzeiten Ziel aller Anstrengungen eine absolute Obergrenze von 40 Prozentpunkten beim Gesamtsozialversicherungsbeitrag war, steuern Sozialdemokraten und Union mit ihren aktuellen Gesetzesvorhaben zielstrebig auf eine deutliche Überschreitung zu. Sie scheinen nach dem Motto zu handeln: Nach uns die Sintflut!

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