Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 50-2020

Für die Mittelschicht ist der Traum vom Eigenheim ausgeträumt

Mussten sich Bauherren vor zehn Jahren mit vier Jahreseinkommen verschulden, sind es heute bereits 6,6. Die Erschwinglichkeitsquote stieg um 50 Prozent.

Bei einer Veranstaltung des Berlin-Ablegers der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) wurde vergangene Woche über die Ursache für rapide steigende Hauspreise und Mieten diskutiert. Selbst im Jahr der Corona-Pandemie, die wegen der politisch verfügten Lockdowns zu einem der schärfsten Konjunktureinbrüche der Nachkriegszeit in Deutschland führte, keimte im Frühjahr nur wenige Monate lang die Hoffnung auf stagnierende oder gar sinkende Immobilienpreise. Längst kennen die Preise wieder nur eine Richtung: sie steigen überdurchschnittlich.

Im November 2020 mussten Bauwillige fast 300.000 Euro Kredite aufnehmen, um sich ihren Wunsch von den eigenen vier Wänden zu erfüllen. Höher war die erforderliche Fremdfinanzierungssumme noch nie. Im Jahr 2019 lag die durchschnittliche Darlehenssumme bei Baufinanzierungen zum Vergleich bei 266.000 Euro. Entsprechend hat sich bis heute auch das Eigenkapital reduziert, das Bau- und Kaufinteressenten aufbringen können. Aktuell beträgt der Eigenkapitalanteil gerade mal noch 14,7 Prozent, während der Fremdkapitalanteil auf den Rekordwert von 85,3 Prozent gestiegen ist.

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Noch vor wenigen Jahren lag die Norm bei unter 80 Prozent. Dass sich immer weniger Menschen aus der Mittelschicht ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung leisten können, signalisiert auch die sogenannte Erschwinglichkeitsquote. Sie setzt die benötigte Darlehenssumme ins Verhältnis zum verfügbaren Haushaltseinkommen. Dieser Wert ist innerhalb der vergangenen zehn Jahre, vor allem seit Mitte des letzten Jahrzehnts, förmlich explodiert. Reichten im September 2010 noch vier Jahreseinkommen, sind heute 6,6 erforderlich, um die nötige Kreditsumme abzudecken. In den ersten fünf Jahren der vergangenen Dekade konnten Kaufwillige den Preisanstieg infolge der sinkenden Zinsen gerade noch verkraften. Doch seit fünf Jahren ist dieser kleine Zinseffekt durch die hohe Immobilienpreisinflation weit übertroffen.

Heute sind in den Großstädten Eigentumswohnungen fast ausnahmslos unerschwinglich. Vor fünf Jahren galt diese Aussage des Immobilienverbandes IVD nur für München. Der frühere Ifo-Chef Werner Sinn brachte die Erschwinglichkeitsdramatik auf einen einfachen Nenner: „Ein junger Professor, der heute nach München kommt, kann sich keine Immobilie leisten. So weit sind wir gekommen.“ Nach IVD-Lesart sind Eigentumswohnungen auch in Hamburg, Berlin, Stuttgart und Frankfurt für Durchschnittsbürger offiziell unerschwinglich. Diese Bewertung trifft der immobilienverband, wenn ein Haushalt mehr als ein Viertel seines Einkommens für die Finanzierung aufbringen muss. Bei Eigentumswohnungen können Kaufinteressenten von den Metropolen noch aufs Land ausweichen, weil die Preise in vielen ländlichen Regionen offiziell noch als erschwinglich gelten. Doch für Einfamilienhäuser gilt diese Land-Option nach den IVD-Daten nicht mehr. Ein Einfamilienhaus mit gutem Wohnwert ist in Deutschland nicht mehr erschwinglich. Der Neubaupreis-Index ist selbst im Corona-Krisenjahr 2020 um nicht weniger als 8 Prozent gestiegen.

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Jens Spahn: Seit 2002 im Bundestag und im Geschäft
Während die einen Experten den knapper werdenden Boden, immer strengere Auflagen des Gesetzgebers für den Hausbau und das knappe Angebot verantwortlich machen, ist für Gunter Schnabl von der Universität Leipzig die Zinspolitik der Notenbanken für den Ausschluss der Mittelschicht vom Wohnungseigentum hauptverantwortlich, wie er bei der Berliner Veranstaltung eindringlich betonte. Billiges Geld treibt die Hauspreise. Die mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie erneut verschärfte Tiefzins- und Anleihekaufpolitik der Notenbanken ist für Schnabl der Hauptgrund des Immobilienbooms. Er verwies auch auf entsprechende frühere Erfahrungen in Japan, Südeuropa und den USA. Über die verteilungsökonomischen Folgen dieser Preishausse war sich das Podium der Experten in Berlin allerdings einig. Während das Vermögen von Immobilienbesitzern wächst, ihnen sogar den Kauf zusätzlicher Immobilien erleichtert, beklagt Schnabl, dass junge Arbeitnehmer und Menschen aus der Mittelschicht „faktisch vom Immobilienmarkt ausgesperrt“ werden. Ihnen fehle sowohl das Eigenkapital wie die nötigen Sicherheiten für die Kreditaufnahme. Deshalb hätten sie auch nichts vom günstigen Zinsumfeld.

Vom Zinsumfeld profitierten nicht nur reiche Privatpersonen und große Unternehmen, sondern vor allem der Staat. Dieser könne sich dank der tiefen Zinsen günstig refinanzieren, werde damit übrigens auch für Arbeitnehmer immer attraktiver, so Schnabl: „Der beliebteste Arbeitgeber ist heute nicht Siemens oder Daimler, sondern die staatliche Verwaltung. Sie bietet die sichersten Arbeitsplätze und kann sich günstig über die Notenbanken finanzieren.“ Zu Schnabls Aussage passen auch Daten aus dem Bundesfinanzministerium. Immerhin 7 Milliarden Euro nahm der Fiskus in diesem Jahr durch Negativzinsen ein, weil ihm die Käufer von Staatsanleihen mehr als den Nominalbetrag bezahlen mussten.

Ein Ende der Zins- und Anleihekaufpolitik der Notenbanken ist nicht in Sicht. Sowohl die Fed wie auch die EZB haben in ihren letzten Gremiensitzungen des Jahres 2020 ihre ultralockere Geldpolitik nochmals ausgeweitet. Als Rechtfertigung dient wie immer die Krisen-Intervention. Doch die Kollateralschäden werden ausgeblendet – wie hier der Ausschluss der Mittelschicht vom Immobilienmarkt.

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