Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 04-2022

Der Finanzkraftausgleich lähmt die politische Eigeninitiative

Noch nie wurde im Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern so viel umverteilt wie 2021. Doch die Umverteilungsgläubigkeit lähmt den Reformwillen in den wirtschaftsschwachen Bundesländern.

IMAGO / IlluPics

17,1 Milliarden Euro wurden nach vorläufigen Berechnungen im vergangenen Jahr im Finanzkraftausgleich (früher Länderfinanzausgleich) umverteilt. Das waren satte 2,4 Milliarden Euro mehr als im Jahr zuvor. Wirtschaftsstarke Länder zahlen, wirtschaftsschwache Länder freuen sich über den Geldsegen. Mehr als die Hälfte dieser großen Summe, nämlich neun Milliarden Euro, steuerte Bayern bei. Dann folgen Baden-Württemberg mit vier Milliarden und Hessen mit 3,6 Milliarden Euro. Hamburg führte dem Ausgleichssystem 230 Millionen Euro zu.

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Neu im Kreis der Geberländer findet sich Rheinland-Pfalz, das dank der prosperierenden Gewinne des Mainzer Pharmaunternehmens Biontech und der darauf entfallenden Steuern vom Nehmer- zum Geberland wurde und erstmals 287 Millionen Euro in den Finanzausgleich einzahlte. Dafür stieg Nordrhein-Westfalen, das zwei Jahre zuvor zum Geberland geworden war, wieder ab und empfing 200 Millionen Euro aus dem Ausgleichstopf.

Fünf Geberländern stehen 11 Nehmerländer gegenüber. Der Bremer Finanzsenator Dietmar Strehl (Grüne) jubilierte bei der Vorlage der Zahlen: „Der Finanzkraftausgleich ist ein wichtiges Instrument, um die in der Verfassung angestrebte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in ganz Deutschland herzustellen. Wir sind froh über den klugen Kompromiss, der den Föderalismus insgesamt stärkt.“ Pro Kopf der Bevölkerung erhält der Stadtstaat Bremen mit 1.233 Euro die größte Unterstützung. Dann folgen Berlin mit 983 Euro und Sachsen-Anhalt mit 911 Euro pro Einwohner. In absoluten Zahlen dominiert allerdings das Land Berlin mit 3,6 Milliarden Ausgleichsvolumen vor Sachsen mit 3,2 Milliarden und Sachsen-Anhalt mit rund zwei Milliarden Euro.

Die jüngste Reform des Finanzausgleichs hat das System verschlechtert

Das grundgesetzliche Gebot der „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ diente der übergroßen politischen Mehrheit in den Ländern auch bei der letzten Reform 2017 vor allem dazu, möglichst viel Umverteilungsmasse zu organisieren. Alle Versuche, die Komplexität im Umverteilungssystem zu reduzieren, mehr Eigenverantwortung auf die Länderebene zu übertragen und ihre Steuerkraft mit einem Zuschlagsrecht auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer zu stärken, scheiterten am Widerstand der großen Ländermehrheit. Der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, aber auch der grüne Ministerpräsident des Geberlandes Baden-Württemberg, blieben einsame Rufer im föderalen Umverteilungs-Club.

Das Ergebnis bestätigt alle Befürchtungen, dass die Reform die zuvor beklagten ungerechten Verteilungswirkungen nicht nur zementiert, sondern teilweise noch verstärkt hat. Prof. Wolfgang Scherf von der Universität Gießen, ein anerkannter Experte zum Thema Finanzausgleich, kommt in einer ersten Analyse zu dieser bitteren Erkenntnis. Ihre Wirtschaftskraft durch eine kluge und innovationsfreundliche Politik zu stärken oder auch nur die eigene Steuerverwaltung schlagkräftiger zu machen, lohnt sich für die Nehmerländer kaum. Denn der Geldsegen, den ihnen der Finanzkraftausgleich bringt, füllt ihre Kassen mehr, als wenn sie sich zu eigener Reformanstrengung aufrafften. Doch ist ein solches System wirklich gerecht, das die Bequemen zulasten der Tüchtigen fördert?

Das Problem mit der Gerechtigkeit und der Gleichheit

Gerhard Schwarz reflektiert dieses Thema sehr grundsätzlich in seiner Kolumne in der Neuen Zürcher Zeitung. Er hält es aus liberaler Sicht für geradezu verheerend, dass sich in der gesellschaftspolitischen Debatte längst ein Wortpaar wie selbstverständlich eingenistet hat: Gerechtigkeit und Gleichheit. Doch das seien eben nicht die zwei Seiten der gleichen Medaille, auch wenn selbst konservative und liberale Köpfe dieses Zerrbild längst bedienen. Für Aristoteles überragte die Gerechtigkeit alle anderen Tugenden. Für Thomas von Aquin zählte sie zu den Kardinaltugenden. Gleichheit sei dagegen kein eigenständiger Wert. Wer strebe schon danach, dass alle Menschen gleich krank oder gleich arm seien. Gleichheit hält Schwarz eher für einen sekundären Wert, der nur in Verbindung mit positiven Dingen sinnhaft ist.

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Natürlich sei die Gleichheit vor dem Gesetz in der Tat eine Anforderung der Gerechtigkeit, aber auch eine Bedingung für die individuelle Freiheit in einem Staat. Der Anspruch auf Gleichheit des Wohlstands, also die Gleichheit der Ergebnisse des wirtschaftlichen Tuns, ist es eben nicht, schlussfolgert Schwarz, denn das ließe sich nur auf totalitäre Art erfüllen. In vielerlei Hinsicht sei mehr Ungleichheit gerecht und mehr Gleichheit ungerecht. Menschen unterscheiden sich in ihren Fähigkeiten, ihrem Willen und ihrer Bereitschaft zur Leistung, aber auch ihren Interessen und ihren Vorstellungen von einem guten Leben.

Friedrich August von Hayek folgerte daraus in seinem Werk „Die Verfassung der Freiheit“, dass es einer massiven Ungleichbehandlung der Menschen bedürfe, wenn man erreichen wolle, dass es allen ähnlich gut geht. Wer eine solche Ungleichbehandlung nicht will und die unterschiedlichen Begabungen und Leistungen nicht staatlich ausgleichen will, landet beim Begriff der Leistungsgerechtigkeit.

Selbstverständlich muss eine liberale und humane Gesellschaft für jene sorgen, die vom Schicksal benachteiligt sind. Doch wenn ein Staat darüber hinausgeht und jene, die im Leben Glück haben, zu sehr zur Kasse bitte, ist das nicht gerecht, sondern egalitär, bilanziert Schwarz. Das gefährde jenen Fortschritt der Zivilisation, der sich stets aus einer Mischung aus Zufall, Können, Einsatz und Risiko nähre.

Die Risikobereitschaft und Innovationskraft eines Forscherpaars bescherte ihrer Firma in Mainz im vergangenen Jahr sagenhafte Gewinne. Die Stadt Mainz profitierte von den sprudelnden Steuereinnahmen. Das Land Rheinland-Pfalz stieg plötzlich zum Geberland im Finanzkraftausgleich auf. Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist manchmal von solchen Zufällen abhängig. Sie kann aber auch durch eine wettbewerbsorientierte Föderalverfassung gestärkt werden. Dazu gehört auch ein eigenes Steuererhebungsrecht der Länder. Eigene Anstrengungen müssen belohnt werden. Die bequeme Umverteilungsgläubigkeit dagegen muss als Einladung zum Nichtstun geächtet werden.

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