Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 12 - 2018

Einen Euro kann man nicht zweimal ausgeben

Wer die Sozialausgaben massiv steigert, kann nicht gleichzeitig die Investitionen erhöhen, ohne neue Kredite aufzunehmen. Das lernt Olaf Scholz gerade.

© Michele Tantussi/Getty Images

„Eher legt sich ein Hund einen Wurstvorrat an als eine demokratische Regierung eine Budgetreserve.“ Das Zitat von Joseph Schumpeter, einem der einflussreichsten Nationalökonomen in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, beschreibt zutreffend die Mentalität der herrschenden Politik. So wenig wie der Christdemokrat Wolfgang Schäuble ein „Spar“politiker war, so wenig setzt sein sozialdemokratischer Nachfolger Olaf Scholz dessen „Sparpolitik“ fort. Nicht nur linke Sozialdemokraten werfen das dem Bundesfinanzminister am Tag der Präsentation seines Haushaltsplanentwurfs für das laufende Jahr zwar vor. Doch mit der Realität hat das wenig zu tun.

Deutschland: gefährlicher Müßiggang
Schäuble hatte seine schwarze Null wesentlich zwei Faktoren zu verdanken: der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und der guten Konjunktur mit einem florierenden Arbeitsmarkt. Nach Berechnungen der Bundesbank mussten die öffentlichen Haushalte Deutschlands in den vergangenen zehn Jahren, also seit Beginn der Finanzkrise 2008 und der darauf einsetzenden Niedrigzinspolitik, insgesamt 290 Milliarden Euro weniger an Zinsen bezahlen als bei Durchschnittszinssätzen, wie sie im Jahr zuvor galten. 2007 betrug die Durchschnittsverzinsung der deutschen Staatsschulden 4,3 Prozent per annum, 2017 lag sie bei knapp unter 2 Prozent im Jahr. Dass dieser massive Vorteil für den Staat gleichzeitig massive Substanzverluste für Sparer bedeutet, ist auf Tichys Einblick schon oft kritisiert worden. Auch die volkswirtschaftlichen Allokationsverluste, die dadurch entstehen, dass Investoren wegen des Wegfalls der Risikoprämie Zins oft ohne Verstand ihr Geld in vermeintlich hochrentierliche, aber riskante Anlageformen stecken, müssten eigentlich bekannt sein.
Das Danäer-Geschenk der EZB firmiert als „Sparpolitik“

Der Selbstbetrug der Politik drückt sich in einer schlichten Zahl aus. Im vergangenen Jahr gaben Bund, Länder und Gemeinden rund 50 Milliarden Euro an Zinsen weniger aus, als sie zehn Jahre zuvor in ihren Haushalten zu bezahlen gehabt hätten. Ohne diese Zinsersparnisse hätte Deutschland im vergangenen Jahr keinen Budgetüberschuss verzeichnet, hätten weder Wolfgang Schäuble noch die meisten seiner Länderkollegen „schwarze Nullen“ oder gar Schuldentilgungen vermelden können. Für dieses Danaer-Geschenk der EZB hat sich das Narrativ „Sparpolitik“ in den Köpfen festgesetzt. Jahrelang sind verantwortliche Regierungspolitiker damit auch gern hausieren gegangen. So wirkmächtig ist dieses angebliche „Spar“-Narrativ, dass sich Olaf Scholz schon seit Wochen aus der eigenen Partei heftige Kritik gefallen lassen muss, weil er keine neuen Kredite aufnehmen will, um in der Spur von Schäubles „schwarzer Null“ zu bleiben.

Drei quälende Debattentage
Mini-GroKo: Kein Aufbruch, nur Trotz und leere Worte
Die Hauptangriffsflanke bietet der Haushaltsentwurf des Bundesfinanzministers, der in der SPD bereits als „Wolfgang Scholz“ stigmatisiert wird, vor allem mit dem Rückgang der bundesstaatlichen Investitionsmittel, die sich in der von ihm vorgelegten mittelfristigen Finanzplanung niederschlägt. Denn die Investitionen werden von derzeit 37 Milliarden Euro im Jahr auf 33,5 Milliarden Euro im Jahr 2022 sinken. Die nackten Zahlen belegen das Gegenteil von dem, was Christ- und Sozialdemokraten lautstark in ihrem Koalitionsvertrag versprochen haben: Zukunftsinvestitionen!
Mehr Sozialstaat statt Zukunftsinvestitionen

Weil allerdings die Sozialausgaben massiv gesteigert werden, wächst in der mittelfristigen Finanzplanung das Haushaltsvolumen des Bundes von heute rund 240 Milliarden auf deutlich über 260 Milliarden Euro. Union und SPD kennen bei der Ausweitung neuer sozialer Leistungen keine Grenzen. Schon seit einer Reihe von Jahren wachsen die Sozialausgaben stärker als die volkswirtschaftliche Jahresleistung, das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Steigende Sozialausgaben gehen also auch zu Lasten der dringend benötigten Investitionen, die für den Kapitalstock unserer Volkswirtschaft unerlässlich sind, weil sich daraus wieder zukünftiges Wachstum generiert.

Nicht die vermeintliche „Sparpolitik“ ist ursächlich für das Absinken der Investitionsquote, sondern die weitere Aufblähung des Sozialstaates. Die gewaltigen Ausgabesenkungen bei den Zinsen und die massiven Einnahmesteigerungen bei Steuern und Sozialabgaben haben die Regierungen der vergangenen Jahre sofort verprasst, statt sie für Investitionen und eine Entlastung der Steuer- und Abgabepflichtigen einzusetzen, die – zumindest als Singles – fast nirgendwo auf der Welt so hoch abkassiert werden wie in Deutschland.

Akute Ignoranz
Politisch gewollte Staatsverwahrlosung
Doch ich fürchte, es ist vergebliche Liebesmühe, auf Einsicht und Vernunft der Berliner Regierung zu hoffen. Deshalb wird die verbreitete Kritik an den sinkenden Investitionsausgaben nicht zu einem Verzicht auf die Ausweitung sozialstaatlicher Leistungsversprechungen führen. Der Sargnagel für die „schwarze Null“ ist in den Koalitionsfraktionen längst geschlagen. Der Widerstand in der Unionsfraktion ist im Zweifelsfall wie immer überschaubar. Munter wird deshalb auch Deutschland wieder sein Heil in neuen Krediten suchen, weil „wir uns nicht tot sparen dürfen und ansonsten die Zukunftsfähigkeit des Landes gefährdet“ sei.

So oder so ähnlich wird es in den kommenden Monaten auf allen Kanälen tönen. Kritische Stimmen werden genau so wenig Gehör finden wie in der Vergangenheit. Denn sonst hätte sich die verlogene Erzählung von der deutschen „Sparpolitik“ nicht in der Öffentlichkeit festsetzen können. Vielleicht muss man auch Schumpeters Bonmot um eine Variante ergänzen: „Der Wähler will immer mehr Sozialstaat von der Politik. Deshalb bestraft er echte Sparpolitik mit Stimmentzug.“

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