Erst am Montag stand der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“, so die offizielle Bezeichnung eines wirtschaftswissenschaftlichen Beratungsgremiums der Regierung, das in den Medien meist kurz als „die Wirtschaftsweisen“ tituliert wird, wieder im Fokus. Die zu diesem Zeitpunkt noch drei verbliebenen Mitglieder des regulär fünfköpfigen Gremiums legten ihr Sondergutachten 2020 vor, in dem sie die gesamtwirtschaftliche Lage angesichts der Corona-Pandemie analysierten. Das fiel erstaunlich wenig alarmistisch aus. In ihrem Basisszenario taxierten die Ökonomen Lars Feld, Volker Wieland und Achim Truger den Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im laufenden Jahr auf gerade mal 2,8 Prozent. Selbst im schlechtesten Szenario beziffern sie den Einbruch der Jahreswirtschaftsleistung im laufenden Jahr auf „nur“ 5,7 Prozent. Und sie rechnen überwiegend mit einer schnellen V-förmigen Rezession, in der auf den Einbruch eine rasche Erholung folgt.
Ob der relativ sanfte Rückgang, den die Wirtschaftsweisen prognostizieren, wohl auch dem politischen Druck geschuldet ist, unter dem speziell der erst am 17. März vom Rumpfgremium gewählte neue Vorsitzende Lars Feld steht? Die Horrorzahlen aus der Wirtschaft und vom Arbeitsmarkt, die bereits im Tagesrhythmus in der Öffentlichkeit auftauchen, ließen nämlich auch eine wesentlich pessimistischere Sicht auf die wirtschaftliche Entwicklung als realistisch erscheinen. Doch einer Bundesregierung, die mit einer Billionen-„Bazooka“ um jeden Arbeitsplatz kämpfen will, wie Arbeitsminister Hubertus Heil erst jetzt wieder kundtat, sind rosa eingefärbte Projektionen des eigenen Sachverständigenrats sicher willkommener als Niedergangs-Arien.
Doch die politischen Attacken von Scholz förderten im Sachverständigenrat bei den drei verbliebenen Mitgliedern einen Abwehrreflex, der vor zwei Wochen in der Wahl von Feld zum neuen Vorsitzenden der Wirtschaftsweisen gipfelte. Weil die Wahl einstimmig ausfiel, muss auch der Wirtschaftsweise Achim Truger, der erst im vergangenen Jahr auf dem Gewerkschaftsticket in den Sachverständigenrat berufen worden war, zugestimmt haben. Wäre der Bundesfinanzminister bei seinem Veto geblieben, hätte er also fortan die Ablösung des amtierenden Vorsitzenden betreiben müssen. Der Widerstand des christdemokratischen Wirtschaftsministers Peter Altmaier, der Feld stützt, wäre noch unnachgiebiger gewesen. Dem hat Olaf Scholz jetzt Tribut gezollt und seinen Widerstand aufgegeben. Deshalb hat das Bundeskabinett an diesem Mittwoch die zwei Professorinnen als neue Mitglieder des Sachverständigenrats bestätigt. Der offiziellen Ernennung durch den Bundespräsidenten steht damit nichts mehr im Wege.
Doch unabhängig vom jetzt wieder kompletten Rat der Wirtschaftsweisen wird seine Besetzung auch künftig weiteren Konfliktstoff bieten. Denn die politischen Versuche, alle ordoliberalen Positionen in der Politikberatung möglichst auszumerzen, werden sich fortsetzen. Angesichts der Hyperverschuldung der öffentlichen Haushalte und angesichts der unbegrenzten Staatsfinanzierung durch die Notenbanken, die sich nach der Corona-Pandemie global endgültig einbürgert, wünschen sich vor allem Sozialdemokraten, Grüne und Linke wirtschaftspolitische Berater, die einer auf Verschuldung beruhenden modern monetary theory huldigen. Da sind dann Berater wie Lars Feld und andere ordoliberale Ökonomen endgültig nicht mehr gefragt.