Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 29-2020

„Die Stimmung ist besser als die Lage!“

Die typisch deutsche Haltung, lieber schwarz zu malen, ist nach der Corona-„Entschleunigung“ einer geradezu leichtfertigen Gutgläubigkeit gewichen. Davor warnt zu Recht DIHK-Präsident Eric Schweitzer.

DIHK-Präsident Eric Schweitzer

imago images / Metodi Popow

Zum Wochenauftakt störte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) Eric Schweizer die sommerliche Leichtgläubigkeit der Deutschen mit dem Zitat: „Die Stimmung in Deutschland ist besser als die Lage.“ Mit Verweis auf eine Umfrage unter den DIHK-Mitgliedsbetrieben machte Schweitzer darauf aufmerksam, dass die Hälfte der Betriebe mit einer Besserung ihrer Geschäftslage erst im kommenden Jahr oder sogar noch später rechnet. Nicht ohne Grund geht der DIHK deshalb von einem Minus von 10 Prozent beim diesjährigen Bruttoinlandsprodukt aus, ist damit deutlich pessimistischer als die Bundesregierung. Zurecht machte der DIHK-Präsident auch auf die Exportrisiken der deutschen Volkswirtschaft aufmerksam. In der Industrie hängt jeder zweite Arbeitsplatz am Export. Da die Corona-Pandemie in den USA und anderen Ländern derzeit mit ungebremster Dynamik weiter wütet, müssten eigentlich alle Alarmglocken schrillen.

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Doch die Bundesbürger scheinen solche berechtigten Mahnrufe schlicht zu negieren. Es ist Sommer, man will reisen und feiern. Bei den allermeisten Arbeitnehmern tendieren die finanziellen Verluste durch Kurzarbeit gegen Null. Zwar haben schon Hunderttausende ihren Arbeitsplatz verloren, aber im Gegensatz zu Freiberuflern und Unternehmern stellt sich das Gros der abhängig Beschäftigten in der Corona-Krise bisher nicht sonderlich schlecht. Von Personalchefs ist sogar immer häufiger zu hören, dass sich Teile ihrer Belegschaften die „Entschleunigung“ des Corona-Lockdowns auch als Dauerzustand vorstellen könnten. Weniger arbeiten, noch dazu von zuhause, bei kaum spürbaren finanziellen Einbußen: Das klingt doch nach volkswirtschaftlichem Schlaraffia. Dass mit solchen Haltungen aber die Produktivität, die in Deutschland ohnehin bereits seit Jahren beständig abnimmt, erst recht nicht auf die Beine kommen kann, versteht sich von selbst. Und wer will künftig noch Unternehmer werden, wenn eine vom Staat stillgelegte Wirtschaft, vor allem dessen wirtschaftliche Existenzgrundlage gefährdet oder gar zerstört.

Die Gesundbeter in der Bundesregierung retten ja angeblich mit dem großen „Wumms“ jeden Arbeitsplatz. Bisher scheint die Rechnung aufzugehen, weil die Insolvenzzahlen am kurzen Ende ja sogar gesunken sind. Doch spätestens, wenn die vom Bundestag Ende März wegen der Corona-Krise beschlossene Aussetzung der Insolvenzantragspflicht Ende Septem-ber 2020 ausläuft, wird das böse Erwachen kommen. Dann werden bis Ende Oktober hunderte, wenn nicht tausende Betriebe in Konkurs gehen und Arbeitsplätze verschwinden. Banken werden Kredite abschreiben müssen und in Einzelfällen selbst in Schwierigkeiten geraten. Schlägt dann die sommerliche Gutgläubigkeit wieder in herbstliche Tristesse um – mit allen Folgen für den Konsum der Verbraucher, der doch in den vergangenen Jahren zunehmend zur Konjunkturstütze diente?

Leichtfertige Gutgläubigkeit hat aber auch das Gros der Journalisten erfasst. Wer die Bewertungen des EU-Gipfels in deutschen Medien auf einen Nenner bringen will, versteht die Welt nicht mehr. Weil noch nie so viel Geld (1,85 Billionen Euro!) in die EU-Geldverteilungsmaschinerie gesteckt wurde wie in den kommenden sieben Jahren, hat Europa angeblich seine Handlungsfähigkeit bewiesen und gewonnen. Dass dabei das laut den europäischen Verträgen bestehende Kreditaufnahmeverbot ausgehebelt und der Weg in eine EU-Transferunion so gut wie unumkehrbar eingeleitet wurde, ist den meisten kaum eine kritische Randbemerkung wert. Warum die italienische oder auch die spanische Regierung innenpolitisch umstrittene, aber dringend notwendige Reformen ihrer Sozialsysteme und Arbeitsmärkte noch durchsetzen sollten, wo sie jetzt doch fast dreistellige Milliardensummen an Zuschüssen aus Brüssel erhalten und darüberhinaus hohe zinsgünstige Kredite, die erst bis 2058 abbezahlt sein sollen, fragt sich kaum einer der zahllosen gutgläubigen Journalisten.

Dabei dürfte die Illusionsblase vom angeblich reichen Deutschland, das seine Wirtschaft nach politischem Gusto aus- und wiederanschalten, privatwirtschaftliche Arbeitsplätze mit Staatsknete sichern und quasi nebenbei auch südeuropäische EU-Mitgliedstaaten alimentieren sowie die Hauptlasten der Migration nach Europa tagen kann, schon sehr bald platzen.

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