Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 10-2019

Die Schalmeienklänge der Staatsoligopolisten

Wettbewerb ausschalten, Innovationen staatlich vorausplanen, europäische Großunternehmen schaffen: Emmanuel Macrons Protektionismus findet in Berlin Gehör.

GONZALO FUENTES/AFP/Getty Images

Zuhause hat Emmanuel Macron jede Menge Probleme. Seinen innenpolitischen Absturz versucht Frankreichs Präsident jetzt mit einer Überdosis europapolitischer Vorschläge zu überspielen, publizistisch am Montag in allen 28 EU-Ländern gleichzeitig lanciert. Schließlich wird in drei knapp drei Monaten in Europa gewählt.

Macrons protektionistische Vorstellungen klingen für ordnungspolitische Ohren fatal. Er will Unternehmen in der EU unter politischen Schutz stellen. Es klingt nach einer europäischen Variante von Donald Trumps „America first“-Ideologie. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge sollen Unternehmen in der EU bevorzugt werden. Ihre Wettbewerber will er bestrafen, knebeln oder schlicht verbieten, sollten sie „unsere“ strategischen Interessen und Werte untergraben. Zu „unseren“ Werten zählt er etwa den Datenschutz, Umweltstandards, aber auch das Bezahlen „angemessener“ Steuern.

Er steckt für die Industriepolitik des Staates also ein weites Feld ab, das in seiner pathetischen Überhöhung naiv und großspurig zugleich klingt. Doch diese staatlichen Allmachtsphantasien versteht die Berliner Regierungskoalition nur zu gut. Ein ähnlicher Grundton an Staatsgläubigkeit durchzieht ja auch die „Nationale Industriestrategie 2030“, die Wirtschaftsminister Peter Altmaier kürzlich in Berlin präsentierte. Er wandelt mitnichten auf den Spuren seines berühmtesten Vorgängers der Fünfziger Jahre, Ludwig Erhard. Altmaier klingt wie die deutsche Ausgabe französischer Planification-Wirtschaftspolitik aus den Nachkriegstagen. Von Staat ist viel, von Wettbewerb und Markt nur sehr wenig zu lesen. Altmaier scheut sich nicht einmal, allen technologischen Umbrüchen der digitalen Welt zum Trotz, eine Zielvorgabe von 25 Prozent Industrie-Anteil an der Volkswirtschaft festzuschreiben. Mit dieser Vorgabe läuft die Politik Gefahr, den gewaltigen Strukturwandel im Zuge der digitalen Revolution zu behindern, der neue Dienstleistungsbereiche entstehen lässt.

Der deutsche Wirtchaftsminister unterschlägt mit seiner Fixierung auf nationale und europäische Champions, dass Deutschland allein über etwa 1.300 „Hidden Champions“ verfügt, also wenig bekannte mittelständische Weltmarktführer, die in Nischen erfolgreich sind. Diese Kritik an Altmaier formuliert auch der neue Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) Gabriel Felbermayer zusammen mit fünf Kollegen. Deutschland brauche nicht weniger, sondern mehr Wettbewerb, auf keinen Fall eine noch höhere Konzentration in der Wirtschaft. Im Gutachten des IfW wird die berechtigte Frage aufgeworfen, ob es für die Widerstandskraft der deutschen Wirtschaft langfristig nicht wichtiger ist, 1.300 solcher Unternehmen zu haben als etwa drei Großkonzerne a la Google, deren Erfolg oder Misserfolg hohe systemische Relevanz hätte. Staatlicher Schutz für bestimmte Konzerne, heißen sie nun Siemens, Thyssen-Krupp oder Deutsche Bank, widerspreche allen ordnungspolitischen Prinzipien unserer Marktwirtschaft. Der Staat sei nicht allwissend und könne die zukünftigen „Gewinner“ nicht identifizieren. Altmaiers Antwort auf Chinas ökonomische Strategie läuft nach Ansicht der Kieler Wissenschaftler Gefahr, in einem Protektionismus- und Subventionswettlauf zu münden, in dem Deutschland nur verlieren könne.

Dass der französische Präsident selbstverständlich auch einen europaweiten Mindestlohn favorisiert und damit den Unternehmen in der EU zuerst höhere Arbeitskosten auferlegen will, ehe er sie dann durch protektionistische Schutzmaßnahmen vor Konkurrenz abschirmen und damit zur Bequemlichkeit verdammen will, sorgt gewiss nicht für wirtschaftliche Dynamik. Die ökonomische Erfahrung zeigt, dass Innovation durch Wettbewerb in offenen Märkten entsteht. Doch Macron will Innovationen durch einen mit enormen Summen der Steuerzahler ausgerüsteten Innovationsrat herbeiplanen lassen. Das ist politische Großmannssucht, die an der Wirklichkeit zerschellen wird.

Noch ist die Wettbewerbsbehörde der EU ein Hort liberaler ordnungspolitischer Grundüberzeugungen. Gerade erst hat die populäre dänische EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager die Fusion der Zugsparten von Siemens mit dem französischen Alstom-Konzern untersagt. Eine Fusion hätte die Konkurrenzsituation auf den Märkten für Eisenbahn-Signalanlagen und Höchstgeschwindigkeitszüge (ICE und TGV) massiv beeinträchtigt, so ihre Behörde.

Die Entscheidung fiel gegen erbitterte politische Widerstände aus Paris und Berlin sowie die Vorstände beider Konzerne. Doch Vestager hat wenig Chancen, dieses Ressort für ihr Land in der nächsten Legislaturperiode noch einmal zu besetzen. Die Staatsinterventionisten in Paris, Berlin und anderswo werden diesen Wettbewerbsanker in in der EU in der neuen Amtsperiode wohl endgültig schleifen.

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