Konrad Adenauer, dem ersten Nachkriegskanzler der Bundesrepublik, wird fälschlicherweise das Zitat untergeschoben: „Was schert mich mein Geschwätz von gestern!“ Auf FDP-Chef Christian Lindner, der zum Auftakt dieser Woche dem Bundeskabinett eine rasch produzierte Kabinettsvorlage für einen 2. Nachtragshaushalt zum Bundeshaushalt 2021 lieferte, trifft dieser Satz aber zu wie der Nagel auf den Kopf. Womöglich würde der wortgewandte liberale Spitzenpolitiker für seine Wendehals-Politik in Sachen grundgesetzkonformer Schuldenpolitik aber lieber ein echtes Adenauer-Bonmot verwenden: „Es kann mich doch niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden.“
Heute amtiert der FDP-Parteivorsitzende als Bundesfinanzminister in einem Amt, für das die FDP offenbar viele Prinzipien aufzugeben bereit ist. Er „boostert“, um ein Modewort aus Corona-Tagen zu verwenden, den letztjährigen Verfassungsbruch der Großen Koalition und steigert die verfassungswidrige Umgehung der Schuldenbremse auf jetzt 60 Milliarden Euro, mit denen er nicht benötigte Corona-Kreditermächtigungen einem Nebenhaushalt zuführt, um sie später für Investitionen in den Klimaschutz und die Transformation des Landes nutzen zu können. Lindner markiert hier den liberalen Vollstrecker einer schuldenfixierten Koalition, ohne zu merken, dass er damit den angeblich erfolgreichen Einsatz seiner Partei für den Erhalt der Schuldenbremse komplett diskreditiert.
Dass der Bundesrechnungshof und alle Landesrechnungshöfe die neue Regierung vor diesem Missbrauch der Schuldenregel bereits vor ihrem Amtsantritt eindringlich gewarnt haben: Sei’s drum! Dass auch der profilierte ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof diesen Trick als verfassungswidrige Umgehung der Schuldenbremse einstuft: Ohne Belang! In der Opposition erinnert sich die Unionsfraktion, die als Regierungsfraktion noch im vergangenen Jahr bei dieser Umgehungsaktion eifrig mitmachte, an die Verfassungsnorm der Schuldengrenze und will, wie Fraktionschef Ralph Brinkhaus und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt am Dienstag ankündigten, das Bundesverfassungsgericht anrufen: Immerhin!
Wenn EZB-Direktoriumsmitglieder irrlichtern
Kapriolen der besonderen Art dreht auch die Wirtschaftswissenschaftlerin Isabel Schnabel. Die Dame saß bis 2019 fünf Jahre lang als Mitglied im „Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“. Seit Januar 2020 ist sie für Deutschland Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) und fällt seither vor allem dadurch auf, dass sie die exzessive und interventionistische Geldpolitik der EZB schön redet. Die zunehmend galoppierende Inflation ignorierte sie bis vor kurzem. Noch im September ließ sie sich wie folgt dazu aus: „Rechnet man also die Basiseffekte der Pandemie heraus, ist die Inflation momentan weiterhin eher zu niedrig als zu hoch.“ In den letzten Wochen hat EZB-Direktorin Schnabel zwar immerhin die seit einer Generation nicht mehr gekannten Inflationsraten zu registrieren begonnen, nimmt aber weiterhin penetrant impertinent nicht zur Kenntnis, dass dieser wachsende Kaufkraftschwund zu den Risiken und Nebenwirkungen der herrschenden Niedrigzinsen und der Geldschwemme der EZB zählt.
Was Isabel Schnabel kürzlich zur Niedrigzinspolitik der EZB und den Staatsanleihekäufen zum Besten gab, ist blanker Unsinn. Sie verstieg sich zu der Behauptung, dass die EZB die Zinsen erst erhöhen könne, wenn sie die Anleihekäufe einstelle. Denn sonst würden Buchverluste entstehen, weil der Preis der in der EZB-Bilanz liegenden Anleihen fällt, wenn der Zins steigt. Dadurch würden die Eurozentralbanken freiwillig Verluste in ihren Bilanzen ausweisen müssen. Das würde Verluste beim Steuerzahler zur Folge haben, der die Bilanzverluste dann wieder ausgleichen müsse. Markus C. Kerber hat in einem TE-Beitrag in dieser Woche auf diese Schnabel-Argumentation bereits aufmerksam gemacht.
Noch ein kurzer Rapport zu Buchverlusten bei der Zentralbank: Buchverluste werden erst dann zu tatsächlichen Verlusten, wenn Anleihen vor Endfälligkeit verkauft werden. Es sieht bisher überhaupt nicht danach aus, dass sich die EZB in den nächsten Jahren von ihrem Anleihebestand trennen will. Selbst wenn sie bei vorzeitigem Verkauf Verluste erzielen würde, stehen trotzdem erhebliche Bewertungsreserven in ihren Büchern, mit denen sie diese Verluste abfedern könnte. Aber selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass die Notenbank ihr Eigenkapital verlieren würde, gibt es keine zwingende Pflicht, dieses mit Steuergeld wieder aufzufüllen. Denn eine Zentralbank kann auch mit negativem Eigenkapital operieren, das sie mit der Zeit durch einbehaltene Gewinne wieder aufstocken kann. Dafür gibt es Beispiele aus der jüngeren Geschichte, etwa Israel.