Offizielle Daten für den CO2-Ausstoß des Jahres 2019 liegen zwar noch nicht vor. Doch die Denkfabrik Agora, hinter der als Gesellschafter die Mercator-Stiftung und die European Climate Foundation stehen, preschte mit einer überraschenden Bilanz am Dienstag dieser Woche vor: „CO2-Preis drückt Treibhausgasemissionen und Kohleverstromung 2019 auf Rekordtiefs.“ Weil diese Denkfabrik erstklassig vernetzt ist mit der Umweltadministration und den einschlägigen Ministerien, kann als gesichert gelten, dass sich ihre Zahlen wie in der Vergangenheit als richtig bestätigen.
Ausgerechnet der über viele Jahre von den „Energiewende“-Befürwortern als untauglich diskreditierte europäische Emissionshandel (EU-ETS) war 2019 hauptverantwortlich für einen Emissionsrückgang um immerhin sechs Prozent oder 50 Millionen Tonnen CO2 in Deutschland. Den ETS kann man sich wie eine Art Börse vorstellen: Wer Kohlendioxid ausstoßen will, muss dafür Erlaubniszertifikate kaufen, die europaweit gehandelt werden. 2019 erreichten sie mit jahresdurchschnittlich rund 25 Euro pro Tonne CO2 ihren bisherigen Höchstpreis. Kohlekraftwerke sind am dreckigsten, benötigen also am meisten Erlaubniszertifikate. Das war für die Betreiber unwirtschaftlich, weshalb die Stromerzeugung in Steinkohlekraftwerken um 31 Prozent einbrach. Braunkohlekraftwerke reduzierten ihre Leistung um 22 Prozent. Dafür stieg der Stromabsatz des fossilen Energieträgers Erdgas um elf Prozent, weil Gaskraftwerke weniger CO2-Zertifikate benötigen. Weil gleichzeitig Wind und Sonne mitspielten und der Gesamtstromverbrauch der niedrigste der vergangenen 20 Jahre war, deckten erneuerbare Energien im vergangenen Jahr knapp 42,6 Prozent der Stromnachfrage und damit fast fünf Prozentpunkte mehr als 2018. Wind-, Wasserkraft, Solarstrom und Biogasanlagen produzierten erstmals mehr Strom als Kohle- und Kernkraftwerke zusammen.
Im Verkehrs- und Gebäudesektor sind dagegen im vergangenen Jahr die CO2-Emissionen weiter gestiegen und haben die Einsparerfolge in der Energiegewinnung teilweise zunichte gemacht haben. Obwohl die Öko-Szene ständig darauf hinweist, dass seit Mai 2019 das Thema Klimaschutz von der Bevölkerung konstant als erste politische Priorität genannt wird (vor Migration und Renten), steigt nicht nur der SUV-Fahrzeugbestand, sondern auch der Pkw-Bestand insgesamt weiter an. Auch für die Gebäudeheizung wurde mehr Erdgas und Heizöl verbraucht. Die Widersprüchlichkeit einer klimabewegten Öffentlichkeit belegen auch die derzeit im Tagesrhythmus veröffentlichten Rekordzahlen der Passagiere auf deutschen Flughäfen im vergangenen Jahr.
Augen zu und durch scheint als Motto bei Agora durch, wenn ihr Direktor Patrick Graichen warnt: „Es besteht die Gefahr, dass – nach dem Rückgang der Emissionen in den vergangenen beiden Jahren – im Zeitraum 2020 bis 2022 wieder ein Anstieg erfolgt. Wir müssen mehr Erneuerbare Energien zubauen, um den Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 auszugleichen und auch genügend Strom für Elektroautos und Wärmepumpen zu erzeugen.“
Der Grundwiderspruch der „Energiewende“ bleibt: Grundlastfähige Kraftwerke werden vom Netz genommen und müssen durch überwiegend volatile Erneuerbare Energien ersetzt werden. Gleichzeitig wird der Stromverbrauch durch E-Autos massiv gesteigert. Damit sind weitere Preisexplosionen beim ohnehin schon teuren deutschen Strom auch künftig garantiert. Um vieles einfacher wäre es doch, wenn sich die deutsche Politik mühte, das EU-ETS-Handelssystem auch sektorenübergreifend auszubauen, um damit mit marktwirtschaftlichen Methoden und möglichst effizient die Treibhausgasemissionen auch im Verkehr, bei der Gebäudenutzung und in der Landwirtschaft zu reduzieren. Denn nur wenn Klimaschutz effizient und in möglichst globalem Rahmen vorangetrieben wird, lässt sich der menschengemachte Klimawandel begrenzen. Staaten, die ohne Rücksicht auf die Kosten voranmarschieren, deindustrialisieren ihre Volkswirtschaft, reduzieren ihren Wohlstand und gefährden ihre soziale Stabilität. Deutschland befindet sich leider bereits auf diesem verhängnisvollen Pfad.
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