Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 07-2020

Die Abgrenzung zur AfD wird zum Maßstab der deutschen Politik

Eigenes programmatisches und personelles Profil ist für Parteien in Deutschland weniger wichtig als die kompromisslose Abgrenzung zur AfD. Das ist fatal.

Sean Gallup/Getty Images

Als Kolumnist muss man sich im aufgeregten politischen Meinungsklima erst einmal öffentlich bekennen: Ich gehöre nicht zu den Wählern oder Sympathisanten einer AfD, in der sich in den letzten Jahren zunehmend der nationale und sozialistische Flügel des Björn Höcke durchsetzt. Trotzdem bleibt zu den Fakten zunächst einmal festzuhalten: Die „Alternative für Deutschland“ ist eine Partei, der es nach der erfolgreichen Gründung der Grünen vor 40 Jahren als erster Neugründung gelungen ist, in einem atemberaubenden Tempo von weniger als sieben Jahren in alle 16 Länder-Parlamente einzuziehen, zur stärksten Oppositionsfraktion im Bundestag zu werden und trotz der Abspaltung der euroskeptischen Parteigründer auch bereits das zweite Mal in das Parlament der EU gewählt zu werden.

Als Abgeordneter saß ich selbst insgesamt zehn Jahre im Bundestag und im Landtag von Baden-Württemberg. Mein Credo war immer, dass vom Volk gewählte Abgeordnete gleiche Rechte und Pflichten haben. „Sie sind – wie es in Artikel 38 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes heißt – „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Jetzt bin ich natürlich nicht blauäugig, kenne die diversen Zwänge des politischen Geschäfts – vom Fraktionszwang bis zur Drohung mit der Nichtnominierung durch die Partei. Doch eines wusste ich immer: Bei geheimen Wahlen und in Abstimmungen zählt jede Abgeordnetenstimme in gleicher Weise. In Thüringen wählten im vergangenen Jahr 23,4 Prozent der Wähler die AfD, was einem Zugewinn von 12,8 Prozent entsprach. 22 Abgeordnete sitzen seither für diese Partei im Landtag. Sie votierten in geheimer Wahl für einen Ministerpräsidentenkandidaten der FDP, der im 3. Wahlgang gewählt wurde, weil er von seiner eigenen fünfköpfigen Fraktion sowie der 21-köpfigen CDU-Fraktion gewählt wurde. Rein rechnerisch hätte der FDP-Bewerber aus diesen drei Fraktionen 48 Stimmen haben können. Er erhielt aber „nur“ 45 Stimmen, während der Bewerber der rot-rot-grünen Minderheitsregierung, Bodo Ramelow, 44 Stimmen erhielt und damit 2 Stimmen aus dem Lager von CDU, FDP und AfD. Auch eine Stimmenthaltung wurde vermerkt.

Avanti Dilettanti
Der ewige Landtag – wie die Hysterie Thüringen in die Sackgasse trieb
Dass diese geheime Wahl die Republik sofort in einen Hyperventilierungs-Status versetzte, ist bekannt. Zumindest das politische Establishment und die gesamte Medienzunft waren sich einig: Das ist der „Dammbruch”, die Parallele zur ersten Regierungsbeteiligung von Nazis seit 1930. Wie geschichtsvergessen muss man übrigens sein, wenn man das Thüringen des Jahres 1930 mit dem heutigen Land vergleicht?! Die Bundeskanzlerin, Inhaberin eines Amtes mit Verfassungsrang auf Bundesebene, intervenierte schon anderntags aus Südafrika und verlangte eine unverzügliche Korrektur der Wahl. Dass diese Amtseinmischung unsere föderale Ordnung und die Souveränität des Thüringer Landtags mit Füßen tritt, regt im Land scheinbar kaum jemand auf. Dass der Bundespräsident, ebenfalls ein Verfassungsorgan, die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen einen Wahlmissbrauch nennt, „um die freiheitliche Demokratie und ihre Vertreter der Lächerlichkeit preiszugeben“, geht genauso unter. Dass Kandidaten bei demokratischen und geheimen Wahlen scheitern können, scheint für das Establishment nicht zu gelten, wenn plötzlich „falsche“ Mehrheiten zusammenkommen.

Seit Jahren versuchen die etablierten Parteien die neue rechte Konkurrenz durch Aus- und Abgrenzung klein zu halten. Je weniger das gelungen ist, umso aggressiver wird die Frage, „Wie hältst Du es mit der AfD?“, zum Maßstab allseits akzeptierter demokratischer Politik in Deutschland. Statt die Themen aufzugreifen, die Millionen von Wählern zur AfD getrieben haben, wird mit einem Kampf gegen die AfD-„Nazis“ fast ausschließlich auf Aus- und Abgrenzung gesetzt. Das radikalisiert übrigens ganz nebenbei die AfD weiter, weshalb der Höcke-Flügel auch zunehmend die Oberhand gewinnt. Aber es radikalisiert auch immer größere Teile von deren Wählerschaft, die vor allem im Osten immer weniger Sympathien für das deutsche Demokratie-Modell hegt. Diese Entwicklung ist verhängnisvoll.

Für eine im besten Sinn marktwirtschaftliche und bürgerliche Politik im Land geradezu fatal ist aber das AfD-Abgrenzungsstöckchen, das vom politischen und journalistischen Juste Milieu der Union wie der FDP bei jeder Gelegenheit unter die Nase gehalten wird. Es erzwingt praktisch einen kontinuierlichen programmatischen Linksruck im Land. Dieser politisch-mediale Mechanismus könnte dafür sorgen, dass uns im Land bei der nächsten Bundestagswahl eine linke Mehrheit blüht.

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