Seit den 1980er Jahren haben die Notenbanken der Welt die Bekämpfung der Inflation in den Mittelpunkt ihrer geldpolitischen Strategie gestellt. Als Inflationsziel formulierten viele Zentralbanken eine Prozentzahl von um oder maximal 2 Prozent. Bei einem Überschreiten signalisierten sie den Märkten, dass sie mit Zinserhöhungen gegensteuern wollten. Das funktionierte im Prinzip über Jahrzehnte leidlich. Doch nach der Finanzkrise 2010, als die Notenbanken die Märkte mit immer mehr Geld fluteten und die Zinsen immer weiter an oder gar unter die Nullzins-Marke drückten, um die Wirtschaft anzukurbeln, verharrte die offiziell ausgewiesene Inflationsrate oft weit unter der angestrebten Zielmarke von 2 Prozent. Selbst im Wirtschaftsboom mit rekordniedriger Arbeitslosigkeit wollte sich der Preisanstieg nicht beschleunigen – weder in den USA, noch in Japan, noch in Europa.
Jetzt hat die US-Notenbank Fed angekündigt, künftig auch überschießende Inflationsraten zu tolerieren und ein symmetrisches Übersteigen des 2 Prozent-Ziels zuzulassen. Da die bisherige Zielmarke über Jahre unterschritten wurde, will sie künftig auch jahrelange Überschreitungen zulassen. Sie will also zu niedrige Inflation durch spätere höhere Inflation symmetrisch ausgleichen. Das kann in der Praxis bedeuten, dass die Fed künftig auch 3 oder gar bis zu 4 Prozent Inflationsrate akzeptiert, ohne die Zinszügel anzuziehen. Ein ähnlicher Strategiewechsel bahnt sich in der EZB an. Die Debatte begann im Frankfurter EZB-Hauptquartier bereits im vergangenen Herbst und nicht erst, als Christine Lagarde Mario Draghi als Präsidentin folgte. Direkt nach dem Kursschwenk der Fed verkündete Philip Lane, der Chefvolkswirt der EZB, dass sie die Geldschleusen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, die derzeit als Begründung für alles herhalten muss, weiter geöffnet hält: „Wir können definitiv drauflegen, falls nötig.“ Die Folge dieses Notenbankschwenks: Die 2020er Jahre werden das Jahr-zehnt der Null- oder gar Negativzinsen bleiben. Damit werden sich alle Risiken, die sich mit der faktischen Abschaffung des Zinses als Risikoprämie verbinden, multiplizieren.
Zu Risiken und Nebenwirkungen ….
1. Die „Zombifizierung“ des Unternehmenssektors wird sich fortsetzen. Denn wo die Zinsen für das Fremdkapital selbst bei höheren Inflationsraten niedrig bleiben, werden auch nicht konkurrenzfähige Firmen am Markt bleiben und damit die Produktivitätsentwicklung von Volkswirtschaften bremsen.
2. Die Inflationsmessung ist höchst manipulativ. Zum einen werden in Deutschland die Kosten für das Wohnen im Inflationsindex nicht abgebildet – im Gegensatz zu den USA. Zum anderen fallen die Preiseffekte neuer Technologien in Summe eindeutig inflationsdämpfend aus, womöglich stärker als es die amtliche Statistik ausweist: „Digitalisierung frisst Inflation“.
3. Weil die Bevölkerung in den OECD-Ländern altert (Stichwort: demographischer Wandel), steigt die Sparquote, um für den Ruhestand vorzusorgen. Weil Zinsanlagen keine realen Vermögenzuwächse mehr versprechen, der Zins- und Zinseszinseffekt von den Notenbanken eliminiert wurde, werden Sachwerte in Mode bleiben. Die Börsen werden haussieren und vor allem die Marktkapitalisierung der Tech-Giganten und Quasi-Monopolisten (Google, Apple, Facebook und Amazon) weiter explodieren lassen. Aktien und Immobilien, Gold und andere Edelmetalle und Rohstoffe haben Konjunktur. Natürlich sorgt diese durch die Notenbank-Politik künstlich gepushte Hausse für eine Vermögenspreis-Inflation. Doch Blasen platzen irgendwann, zeigt die Geschichte. Deshalb spiegeln Aktienkurse und Immobilienpreise auch bei weitem nicht immer die tatsächliche Werthaltigkeit eines Unternehmens oder einer Immobilie wieder.
4. Weil die realwirtschaftliche Rezession als Folge des immer noch andauernden Corona-Pandemie-Schocks, aber auch der Strukturumbruch der industriellen Produktion – etwa im Automobil-Sektor -, auf Jahre hinaus die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften schwä-chen und damit signifikante Lohnzuwächse verhindern wird, werden stark steigende Löhne als Kostentreiber der Inflation ausfallen. Auch eine boomende Nachfrage wird sich bei sinkender Kaufkraft kaum einstellen. Deshalb wird die Vermögenspreisinflation so schnell nicht auf die Verbraucherpreise durchschlagen.
5. Wer wohlhabend ist, über Aktiendepots verfügt und Immobilien besitzt, freut sich an der Vermögenspreisentwicklung. Wer wenig oder nichts besitzt, das ist vor allem die junge Generation, kann sich etwa den Traum vom Eigenheim abschminken. Aus dem eigenen Einkommen erspart werden sich das immer weniger leisten können. Auch deshalb wird sich die Vermögensschere zwischen Alt und Jung weiter öffnen, zumal die Politik die älteren Kohorten mit einer freigebigen Sozialpolitik hofiert, die zusätzlich das Einkommen der Jüngeren schmälert. Denn die „Erben-Generation“ wird die Zeche bezahlen müssen.