Die Analyse, die vielleicht nicht ganz zufällig an dem Tag dem Bundestag zugeleitet wurde, an dem die künftigen Ampel-Koalitionäre ihre 22 Arbeitsgruppen-Gesprächsergebnisse den Verhandlungsspitzen ihrer Parteien zur Klärung der strittigen Fragen vorlegen, müsste eigentlich wie eine Bombe bei allen einschlagen, die immer noch mehr schuldenfinanzierte Wohltaten in den Koalitionsvertrag schreiben wollen. Denn in seiner Analyse zur Lage der Bundesfinanzen schreibt Kay Scheller Klartext. Der Präsident des Bundesrechnungshofs (BRH) als Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, schreibt wörtlich:
„Die guten Haushaltsabschlüsse und die anstrengungslose Konsolidierung in den Jahren 2014 bis 2019 haben ein trügerisches Sicherheitsgefühl hervorgerufen. Weniger als zwei Jahre Corona-Pandemie haben ausgereicht, die Bundesfinanzen empfindlich zu schwächen. Jetzt gilt es, möglichst schnell das Ruder herumzuwerfen. Bloßes Zuwarten auf bessere wirtschaftliche Verhältnisse wird nicht reichen, um den Bundeshaushalt resilient zu machen, die anstehenden großen Zukunftsaufgaben endlich anzugehen und gleichzeitig die nachfolgenden Generationen vor einer überbordenden Schuldenlast zu bewahren. Die Versuchung einer weiteren, von den Begrenzungen durch die Schuldenregel befreiten Verschuldung ist dabei nicht das Mittel der Wahl, um die jetzt anstehenden Aufgaben zu lösen.
Staatliche Mittel stehen nicht unbegrenzt und auch nicht für jeden Zweck bereit. Nur mit finanzwirksamen Strukturreformen kann es gelingen, die finanziellen Folgen der Corona-Pandemie zu überwinden und die anstehenden, generationenübergreifenden Anforderungen wie Klimaschutz, Digitalisierung und Bildung entschlossen und wirksam anzugehen. Stabile tragfähige Staatsfinanzen und die Bewältigung dieser für Deutschland zukunftsentscheidenden Aufgaben sind dabei die zwei Seiten einer Medaille: Sie sollen künftigen Generationen ein selbstbestimmtes Leben in einer lebenswerten Umwelt und finanziellen Spielraum zur ökonomischen Zukunftsgestaltung ermöglichen. Die (unproduktiven) Zinslasten aus einer ungebremsten Staatsverschuldung würden beiden Zielen massiv schaden.
Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, nach einem ehrlichen Kassensturz zu einer finanziell nachhaltigen Haushaltspolitik zurückzukehren. Der Bundeshaushalt muss stabilisiert werden, um die gewaltigen finanzwirtschaftlichen Lasten und Herausforderungen bewältigen zu können. Der demografische Wandel und die zukunftsrelevanten Aufgaben im Klimaschutz, bei der Digitalisierung und Bildung, bei der Modernisierung und dem Ausbau der Infrastruktur sowie die Verpflichtungen Deutschlands im europäischen und internationalen Kontext erlauben kein Zuwarten.“
Statt eines ehrlichen Kassensturzes sucht die Ampel neue Kreditquellen
Doch der BRH ist ein „Ritter ohne Schwert“, wenn der Gesetzgeber seine Mahnungen ignoriert. Den ehrlichen Kassensturz, den der BRH einfordert, missverstehen die künftigen Ampel-Koalitionäre völlig anders. Sie suchen vor allem nach Tricks und Kniffen, um die grundgesetzliche Schuldenregel, für deren Erhalt sich der BRH vehement ins Zeug legt, zu umgehen. Zinsänderungsrisiken, auf die der Rechnungshof-Präsident als Konsequenz einer nicht nur temporären Inflationsdynamik hinweist, blenden selbst Haushaltspolitiker der künftigen Regierungsfraktionen aus. Dabei sorgt die Schuldenlast des Bundes, die in den Jahren 2020 bis 2022 um fast 50 Prozent auf nahezu 1,5 Billionen Euro explodiert sein wird, in der Folge für eine Verdoppelung des jährlichen Anschlussfinanzierungsvolumens des Bundes. Wurden im vergangenen Jahr 227,5 Milliarden Euro Kredite für die Anschlussfinanzierung der Staatspapiere fällig, werden daraus im Jahr 2023 bereits 441 Milliarden Euro. Jeder Prozentpunkt Zinserhöhung kostet dann jährlich bereits 4,5 Milliarden Euro an zusätzlichen Zinsausgaben.
„Das langfristige Tragfähigkeitsrisiko der gesetzlichen Rentenversicherung ist bekannt. Es resultiert aus der demografischen Entwicklung, aber auch aus erheblichen Leistungsausweitungen der letzten Jahre, die weitgehend ohne Rücksicht auf die mittel- und langfristigen Finanzierungsmöglichkeiten des Rentensystems auf den Weg gebracht worden sind. Je länger Reformen unter Einbeziehung der Stellschrauben Beitragssatz, Rentenniveau und Renteneintrittsalter ausbleiben, desto mehr steigt das Risiko eines weiter ausufernden Bundeszuschusses. Trotzdem gibt es bislang keine Beschlüsse zu tragfähigen Lösungsansätzen für eine langfristige Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung.“
Zu Recht weist der BRH auch darauf hin, dass der Finanzplan die voraussichtlich benötigten Bundeszuschüsse an die Krankenversicherung ausblendet. Während im Soll des laufenden Jahres rund 31 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt an die Krankenversicherung fließen sollen – offiziell der Corona-Pandemie geschuldet – ist im kommenden Jahr mit 28,5 Milliarden Euro fast die gleiche Summe vorgesehen. Doch ab 2023 soll sie wieder auf 14,5 Milliarden Euro sinken und auf diesem Betrag bis 2025 festgeschrieben werden. Nicht nur der BRH zweifelt angesichts der Leistungsausweitungen der letzten Jahre daran, dass die Ausgaberisiken für die Krankenversicherung korrekt dargestellt sind. Hier werden entweder die erforderlichen Bundeszuschüsse absichtlich unterzeichnet, weil massive Beitragssteigerungen für die Versicherten das Kostenrisiko abdecken sollen. Oder man geht sehenden Auges ein massives Unterdeckungsrisiko im Bundeshaushalt ein.
Eine leicht lesbare und ehrliche Analyse der Staatsfinanzen
Zur Schuldenregel des Grundgesetzes, die SPD, Grüne und Linke und eine Reihe von keynesianischen Ökonomen am liebsten schnellstmöglich beseitigen wollen, schreibt der BRH ebenfalls Klartext:
„Ihre eigentliche Bewährung steht der Schuldenregel jetzt bevor. Der für ihre Einführung vor allem maßgebliche Gedanke der Generationengerechtigkeit als Ausdruck von Nachhaltigkeit hat mit dem Zuwachs der Gesamtschuldenlast des Bundes um nahezu 50 % noch einmal stark an Gewicht gewonnen. Die Schuldenregel jetzt abzuschaffen oder in der Weise zu ‚reformieren‘, dass sie Schlupflöcher für zusätzliche Kredite und damit für eine zusätzliche Staatsverschuldung öffnet, würde die kommenden Generationen noch stärker belasten und käme einer finanzpolitischen Kapitulation gleich. Eine Wohlstand schaffende Finanzpolitik, die öffentliche Gemeingüter in der erforderlichen Güte und im erforderlichen Umfang bereitstellt sowie gleichzeitig für eine angemessene soziale Absicherung sorgt, ist auf Dauer nur auf Grundlage solider öffentlicher Finanzen möglich. Dies verlangt aber gerade in der aktuellen Situation eine klare Prioritätensetzung und den Mut, die hierfür notwendigen Entscheidungen zu treffen.“