Das zu Ende gegangene Jahrzehnt hat den öffentlichen Haushalten nicht nur Windfall-Profite wegen der Niedrigzinsen beschert und sprudelnde Steuereinnahmen wegen der hohen Beschäftigungsquote. Es war auch ein Jahrzehnt, in dem letztmals die geburtenstarken Jahrgänge nahezu komplett im Arbeitsleben standen. Das sorgte noch einmal für eine Atempause bei den Kosten einer alternden Gesellschaft. Doch die schlagen in den Zwanziger Jahren zunehmend und brutal durch: Mehr Pensionäre denn je sind von der schrumpfenden aktiven Generation zu alimentieren, mehr Rentnerinnen und Rentner denn je durch Sozialbeiträge und Steuern zu finanzieren. Gleichzeitig explodieren die Ausgaben der Krankenversicherungen und Pflegekassen. Bereits im kommenden Jahr drohen steigende Krankenkassenbeiträge, wie der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen diese Woche prophezeite.
Statt die demographische Atempause zu nutzen, um Vorsorge für die teuren Folgen der säkularen Alterung unserer Gesellschaft zu treffen, hat die Politik in der Ära von Kanzlerin Angela Merkel die Probleme nahezu komplett verschärft. Bis auf die Erhöhung des Renteneintrittsalters in der ersten Merkel-Legislaturperiode, die aber vor allem dem SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering zu verdanken war, wurden nur teure zusätzliche soziale Wohltaten beschlossen: die abschlagsfreie Rente mit 63 für langjährig Versicherte, die Mütterrenten I und II, in den nächsten Wochen noch die Grundrente. Gleichzeitig wurden unter den CDU-Gesundheitsministern Hermann Gröhe und Jens Spahn die Leistungskataloge der Krankenkassen massiv ausgeweitet. Die ursprüngliche Teilkaskoversicherung für die Pflege wird immer stärker in Richtung Vollversicherung umgebaut. Eigenes Vermögen und das von Angehörigen wird immer weniger in Anspruch genommen. Was das für die Beitragssätze in der Pflegeversicherung bedeutet, zeichnet sich immer schneller ab: Sie dürften sich binnen eines guten Jahrzehnts nahezu verdoppeln.
Die Vernunft geböte es, angesichts der demographischen Zäsur sofort den Weiterbau am sozialpolitischen Wolkenkuckucksheim einzustellen. Doch stattdessen produzieren Linke, Sozialdemokraten und Grüne, aber auch die AfD, ständig neue sozialpolitische Wunschkataloge. Auch die Union steht in der Tendenz im Zweifel immer für mehr Staat. Vor allem die jüngeren Generationen müssten die Annahme solcher Wahlkampfversprechungen durch die Nichtwahl dieser Volksbeglückungsparteien verweigern. Denn sie vor allem werden die Zeche über viele Jahre hinweg durch ständig steigende Steuern und Abgaben zu bezahlen haben, im Gegenzug aber immer weniger staatliche Leistungen erwarten dürfen.
Wie traurig es um die Entlastungsdebatte der Steuerpflichtigen bestellt ist, hat in dieser Woche der Rekordüberschuss des Bundeshaushalts 2019 belegt. Von der FDP und vom Wirtschaftsflügel der Union wurde zwar pflichtschuldigst eine Steuerentlastung angemahnt. Doch das Gros der Politiker scheut das Wort Steuerentlastung wie der Teufel das Weihwasser. Denn wenn Politiker den Bürgern mehr von den Früchten ihrer Arbeit ließen, dann fehlten ihnen ja die (vermeintlichen) Spielräume für immer noch mehr Sozialstaat. Wie weit die SPD inzwischen vom Volk weg ist, beweist ihre neue Doppelspitze im Wochenrhythmus. Immer neue Steuern fordern Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Sie scheinen sich den Staat als „Raupe Nimmersatt“ vorzustellen, der in seiner Allmacht die Bürger gnadenlos aussaugen darf. Doch im Gegensatz zum gleichnamigen Kinderbuch endet die staatliche Gefräßigkeit nicht als hübscher Schmetterling. Das Platzen der über Jahrzehnte genährten Sozialstaats-Illusion bedroht unsere Gesellschaft und Demokratie im Kern. Diese Gefahr wird schneller als viele glauben zum Megathema dieses Jahrzehnts werden und den Klimawandel in den Hintergrund drängen.