Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 9 -2018

Das Grundsteuer-Roulette ist eröffnet

Ran an den Speck lautet die Losung, wenn der Gesetzgeber die verfassungswidrige Grundsteuer neu ordnet. Denn der Hunger des Fiskus ist seit jeher unstillbar.

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Das Bundesverfassungsgericht hat wieder einmal den Gesetzgeber in die Schranken verwiesen. Bei der Erbschaftsteuer haben die Karlsruher Richter ihn im vergangenen Jahrzehnt gleich zweimal zur Neuordnung gezwungen. Jetzt war die kommunale Grundsteuer an der Reihe, von der alle Praktiker in den Kommunen und in der Steuerverwaltung seit vielen Jahren wussten, dass der zugrundliegende Bewertungsmaßstab, die sogenannten Einheitswerte, meilenwert von der Realität entfernt sind. Regierungen aller Couleur verschließen seit Jahrzehnten die Augen davor, dass Einheitswerte aus dem Jahr 1964 in Westdeutschland und von 1935 in Ostdeutschland Lichtjahre weg sind von der realen Entwicklung der Grundstücks- und Immobilienpreise.

1964 war Ludwig Erhard Deutschlands Bundeskanzler. Die blutjungen Beatles belegten damals im März und April fünf Wochen lang mit ihrem Hit „J Want to Hold Your Hand“ Platz 1 der deutschen Single-Hitparade. Die TV-Gerätehersteller freuten sich über den Verkaufsboom, den ihnen die Olympischen Sommerspiele in Tokio bescherten. Man muss sich solche historischen Fakten vor Augen führen, um zu begreifen, wie impertinent gleichgültig die Politik das heikle Thema über fünf Jahrzehnte aussaß.

Irre Immobilienpreisexplosion

Wie irre sich die Immobilienpreise entwickelt haben, zeigen allein einige Beispiele deutscher Großstädte seit dem Jahr 2004 (!). In Berlin explodierten die Kaufpreise in den vergangenen 13 Jahren um 139 Prozent, in München um 137 Prozent. Im Geleitzug zogen auch die Mieten an: in Berlin um 73 Prozent, in München um 53 Prozent. Natürlich sind die Preise nicht in allen Regionen so extrem gestiegen. Doch im Durchschnitt des vergangenen Jahrzehnts haben sich die Mieten mit Jahresraten von mehr als 4 Prozent erhöht.

Zwar regelt der Bundesgesetzgeber die Grundsteuer, ist dabei aber zwingend auf die Länder angewiesen. Das Grundsteueraufkommen fließt zu 100 Prozent in die Kassen der Gemeinden. Die wussten sich seit vielen Jahren bereits zu helfen, indem sie die vom jeweiligen Gemeinderat zu beschließenden kommunalen Hebesätze mit schöner Regelmäßigkeit erhöhten. Im Grundsteuer-Hebesatz-Ranking der Landeshauptstädte führt Berlin mit teuren 810 Prozent vor Bremen mit 695. Die günstigen Schlusslichter bilden Saarbrücken mit 460 Prozent sowie Düsseldorf mit 440. Die Schwankungsbreite der kommunalen Hebesätze ist enorm. Es gibt sage und schreibe noch kleine Gemeinden in Deutschland, die überhaupt keinen Hebesatz auf den Grundsteuermeßbetrag erheben. In den Flächenländern schwanken die Hebesätze zwischen 45 und 959 Punkten. Im Bundesdurchschnitt lag der kommunale Grundsteuerhebesatz B im Jahr 2017 bei rund 380 Punkten.

Eigentümer und Mieter tragen die Lasten

Was sich in nackten Zahlen hier so spröde liest, macht in Euro ganz erhebliche Unterschiede. Denn es trifft nicht nur Millionen von Eigentümern, sondern auch Millionen von Mietern, weil die Kosten der Grundsteuer komplett auf die Mieter umgelegt werden. Ein bebautes Mehrfamilienhaus im Wert von 70.000 Euro, dessen Steuermesszahl 3,5 Promille beträgt, ergibt einen Steuermessbetrag von 245 Euro. Diese Zahl wird dann mit dem Hebesatz der jeweiligen Gemeinde in Prozent multipliziert. In Duisburg mit einem hohen Hebesatz von 855 Prozent würde die Grundsteuer 2.095,10 Euro im Jahr betragen. In Ingelheim am Rhein, das einen sehr niedrigen Hebesatz von nur 80 Prozent verlangt, würden dagegen für das gleiche bebaute Grundstück nur 196 Euro Grundsteuer jährlich fällig.

Für die Städte und Gemeinden geht es insgesamt bei dieser kommunalen Steuer um viel Geld. Im vergangenen Jahr vereinnahmten sie rund 14,5 Milliarden Euro aus der Grundsteuer, mehr als 2 Milliarden Euro mehr als etwa im Jahr 2013. Die rege Bautätigkeit und die permanente Anhebung der kommunalen durchschnittlichen Hebesätze bewirken diese kontinuierliche Aufkommenssteigerung. Je nach Bundesland macht die Grundsteuer heute zwischen 9 Prozent und 16 Prozent aller kommunalen Einnahmen aus.

Die immensen Wertsteigerungen bei Immobilien wecken bei der bevorstehenden gesetzlichen Neuregelung jetzt vielfältige politische Begehrlichkeiten. Die reichen Besitzer sollen einfach mehr bezahlen, denken die Umverteiler. Doch so einfach ist die Grundsteuer-Welt nicht. Denn diese Steuer ist keine Subjektsteuer, sondern eine Objektsteuer. Nicht die individuelle Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen steht im Fokus, sondern das Objekt. Deshalb ist es unerheblich, ob das Grundstück im Besitz eines reichen oder armen Menschen ist, ob ein Millionär zur Miete wohnt oder ein Geringverdiener. Die Grundsteuer ist jeweils gleich hoch.

Wird die Wertermittlung zum U-Boot einer Nettovermögensteuer?

Trotzdem werden Sozialdemokraten, Linke und Grüne hundertprozentig auf die Idee verfallen, diese Wertsteigerungen nach ihrer Gerechtigkeitslogik abzuschöpfen. Dazu wäre aber eine außerordentlich aufwändige Werterhebung durch die Steuerverwaltung notwendig, die Jahre beansprucht und die auch laufend mit großem Aufwand fortgeschrieben werden müsste, sollte sie tatsächlich aktuelle Werte abbilden. Heute entfallen bei insgesamt 35 Millionen Grundstücken im Durchschnitt 400 Euro Grundsteuer pro Grundstück an. Allein der Erhebungsaufwand für das, was linken Politikern, aber auch manchen Stadtkämmerern vorschwebt, stünde in keinem Verhältnis zum bisherigen Aufkommen. Deshalb ist von vornherein allen politischen Beteuerungen zu misstrauen, dass die Grundsteuerreform aufkommensneutral umgesetzt werden soll. Allein schon wegen der dezentralen Hebesatzzuständigkeit der Gemeinden ist das aber ein Ding der Unmöglichkeit.

Politisch viel bedeutsamer ist allerdings eine Gefahr, die mit einer vom Gesetzgeber veranlassten aufwändigen Wertermittlung einherginge. Denn damit würde die Steuerverwaltung einen wichtigen administrativen Zwischenschritt auf dem Weg zu einer allgemeinen Nettovermögensteuer machen. Sie schwebt der politischen Linken in Deutschland ohnehin schon lange vor. Doch deren volkswirtschaftliche Risiken und Nebenwirkungen sind gewaltig. Denn eine Substanzbesteuerung würde im Unternehmenssektor Investitionen massiv ausbremsen und damit die Grundlage für wirtschaftliche Prosperität aushöhlen.

Am Gewerbesteuer-Roulettetisch sitzt in den kommenden 20 Monaten eine Reihe von Spielern, die mit gezinkten Karten spielen. Wir haben aufgrund der gemachten Erfahrungen mit dem Fiskus allen Grund, Bundes- und Länderregierungen genau auf die Finger zu schauen, um eine weitere kolossale Lastenverschiebung von Privat zum Staat zu verhindern. Bei den direkten Steuern hat die Politik ihre Entlastungs-Bringschuld längst nicht eingelöst. Den Solidaritätszuschlag gibt es immer noch. Und die Einkommensteuer mit ihrer unaufhaltsamen kalten Progressionswirkung hängt wie ein Mühlstein am Hals der Steuerzahler.

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