Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 19-2020

Das BVerfG, Italiens Kreditwürdigkeit, die EZB und der Euro

Italien steht vor der Herabstufung zum Junk-Segment. Ohne die unbegrenzte Unterstützung der EZB droht die nächste Euro-Krise. Und das Urteil des BVerfG?

imago Images

Als Bundesfinanzminister Olaf Scholz gestern auf den Urteils-Paukenschlag des Bundesverfassungsgerichts reagierte, mit dem die Karlsruher Richter das Anleihekaufprogramm (PSPP) der EZB als teilweise verfassungswidrig einstuften und gleichzeitig den Europäischen Gerichtshof (EuGH) für seinen juristischen Freifahrschein rügten, den dieser der EZB im Dezember 2018 dafür erteilt hatte, mochten sich viele über seine Interpretation des Urteils wundern: „Das Anleiheprogramm der Europäischen Zentralbank ist keine monetäre Staatsfinanzierung.“ Es sei grundgesetzkonform und ermögliche der Bundesbank deshalb auch in einer „langen Übergangsfrist“ von drei Monaten, sich weiter an den aktuellen Kaufprogrammen zu beteiligen. Außerdem beziehe sich das Urteil ja nicht auf das aktuelle Corona-Notfallkaufprogramm der EZB. Die nötigen Begründungen für die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Überprüfung der Verhältnismäßigkeit des alten PSPP-Programms ließen sich in dieser Frist sicher nachliefern. Angesichts der Corona-Krise sei eine engere und vertiefte Zusammenarbeit in Europa mit gemeinsamer Geld- und Fiskalpolitik nötig.

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Diese Einschätzung des Bundesfinanzministers ist dreist. Sie klingt, als ob der oberste Kassenwart der Bundesrepublik das höchste deutsche Gericht nach dem Motto interpretiert: Ihr rügt zwar in einer noch nie dagewesenen Deutlichkeit Entscheidungen der EZB, kritisiert den Europäischen Gerichtshof für seine Gefälligkeitsentscheidung als „willkürlich“ und attackiert auch Bundesregierung und Bundestag, weil sie ihrer grundgesetzlich gebotenen Prüfpflicht gegenüber den Auswirkungen europäischer Entscheidungen nicht nachgekommen sind. Aber was schert uns das, wir machen weiter wie bisher. Die passenden Begründungen lassen sich schnell finden.
„Ultra vires“- Kompetenzüberschreitungen der EZB und des EuGH

Dabei ist die Karlsruher Entscheidung in der Sache sehr klar. Das höchste deutsche Gericht qualifiziert die vom Rat der Europäischen Zentralbank bei ihren wiederholten Beschlüssen zum Anleihekaufprogramm PSPP getroffenen Entscheidungen als sogenannte „Ultra-vires-Maßnahmen“. Die EZB hat damit gegen die ihr von den europäischen Verträgen eingeräumten Kompetenzen zum Nachteil der nationalen Interessen Deutschlands verstoßen. Gleichzeitig bescheinigt das BVerfG – ein juristischer Konter ohnegleichen – dem höchsten Europäischen Gericht, seine Kompetenzen mit seinem Freibrief-Urteil zum EZB-Kaufprogramm ebenfalls überschritten zu haben. Karlsruhe macht deutlich, dass nach wie vor die Nationalstaaten in der Europäischen Union Herren der Verträge sind, weil die EU kein Zentralstaat, sondern „ein Staaten-, Verfassungs-, Verwaltungs- und Rechtssprechungsverbund ist“.

Unerwartet positiv
Stoppsignal für EZB aus Karlsruhe
Wer sich in die ausführliche Pressemitteilung des BVerfG vertieft , wird übrigens überrascht feststellen, dass es sich selbst bei der von Olaf Scholz so deutlich hervorgehobenen Richterentscheidung, es handle sich beim Anleiheprogramm um keine monetäre Staatsfinanzierung, um einen bedingten Leitsatz handelt. Denn das BVerfG begegnet den vom EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache von Peter Gauweiler entwickelten „Garantien“ für ein Ankaufsprogramm zwar durchaus mit „erheblichen Einwänden“, kommt aber zu dem Schluss, dass „ein offensichtlicher Verstoß gegen Art. 123 Abs. 1 AEUV“ (monetäre Staatsfinanzierung) „noch nicht festgestellt werden kann“. Wer sich die Begründungen des BVerfG für das einschränkende „noch“ genauer anschaut, wird hellhörig. Denn die aufgelisteten Einschränkungen, z. B. eine im Voraus volumenmäßige Begrenzung der Ankäufe, eine Obergrenze von 33 Prozent je Wertpapier, eine Ankaufsbegrenzung nach dem Kapitalschlüssel der nationalen Zentralbanken oder nur ein Erwerb von Investment-Grade-Titeln, galten im jetzt behandelten Fall des PSPP-Kaufprogramms. Doch das jetzt in der Corona-Pandemie aufgelegte Kaufprogramm PEPP, das von der EZB mit zunächst 750 Milliarden Euro avisiert ist, sieht ein bei Bedarf unendliches Aufstockungsvolumen vor. Außerdem sollen die Obergrenzen für die Anleihen wegfallen. Und selbst Sicherheiten mit Ramsch-Status akzeptiert jetzt die EZB als Sicherheiten von Banken.
Italiens Kreditwürdigkeit hängt am seidenen Faden

Warum der Bundesfinanzminister so ungeniert auf das Corona-Ankaufprogramm verweist, das vom Urteil des BVerfG tatsächlich formell nicht betroffen zu sein scheint, klingt wie das Pfeifen im Wald. Denn in Europa geht die Panik um, dass sich das Hochschuldnerland Italien, das gleichzeitig auch ein Hot-Spot der Corona-Pandemie ist, womöglich bald mit seiner Kreditwürdigkeit im Junk-Segment bewegt.

An diesem Freitag wird die Rating-Agentur Moody’s ihr neues Urteil über Italiens Bonität abgeben. Die Märkte sind hochnervös, weil die Agentur Fitch vor wenigen Tagen von BBB auf BBB- abgewertet hat. Trotz eines als „stabil“ eingestuften Ausblicks sind die Zinsen für italienische Staatspapiere seit Ende April wieder gestiegen – auf jetzt 1,9 Prozent. Standard & Poor’s hatten ihr Rating Ende April zwar bei BBB belassen, aber den Ausblick auf „negativ“ eingestuft. Italiens Verschuldung wird durch den wirtschaftlichen Shutdown, der einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von rund 8 Prozent in diesem Jahr bedeutet, sowie die nationalen Corona-Notfallpakete bis Ende 2020 von derzeit 135 auf mehr als 150 Prozent steigen. Ohne die EZB-Kaufprogramme würden die Zinsen Italiens sofort explodieren. Doch diese Gefahr existiert natürlich erst recht, wenn das italienische Rating auf Ramsch-Niveau sinkt. BBB- ist die niedrigste Einstufung im sogenannten Investment-Grade-Status. Alle Einstufungen darunter sind Hochzinsanleihen oder Junk-Bonds. Institutionelle Anleger und Fonds müssen sich dann von diesen Papieren verabschieden, was den Risikozins für die Emittenten noch weiter steigert. Und was ein Junk-Bond-Status für das aktuelle Corona-Kaufprogramm der EZB bedeuten würde, wenn man das Urteil des BVerfG analysiert, liegt auf der Hand.

Brief an die Politik
Nach Corona: Reguliert die Überlebenden nicht zu Tode!
Allerdings wird immer klarer, in welchem Dilemma Europa, die Euro-Zone, aber auch Deutschland stecken. Wenn die EZB nicht als „lender of last resort“, als Retter letzter Instanz, mit unbegrenzten Anleihekäufen Italien (und andere) in der Not rettet, dann sprengt Italien die europäische Währungsunion. Mit diesem Druckmittel als Schuldnerland operiert Italien auch recht ungeniert. Weil die deutsche Politik die Folgen eines italienischen Default scheut, wird sie – fast gleichgültig in welcher Regierungskonstellation – in den kommenden Monaten und Jahren nichts unversucht lassen, um Italien nicht im Staatsbankrott enden zu lassen. Ob es die EZB ist, die rettet, die Europäische Union oder auch die vermeintlich „reichen“ Nordeuropäer. Hier wirkt Merkels Mantra aus der Griechenland-Krise nach: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa!“

Wir sollten uns für die Jahre nach der Corona-Krise darauf einstellen, in Europa endlich offen den Grundsatzstreit auszutragen, ob die Euro-Zone eine Stabilitäts- oder eine Transferunion sein soll. Voraussetzung dafür ist aber die klare Ansage, dass die EZB nicht alle Probleme mit Billionenprogrammen, sprich der Druckerpresse, zudeckt. Hier kann das Karlsruher Verfassungsgerichtsurteil langfristig hilfreich sein. Nur wenn politisch hart und mit offenem Visier gekämpft wird, haben die Wähler die Chance, den zukünftigen Weg aktiv zu beeinflussen. Ein europäischer Zentralstaat durch die Hintertür muss jedenfalls verhindert werden.

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