Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 36-2019

Das Agenda-Setting der Öko-Bewegung wirkt

Für den Klimaschutz will die Union einen Schattenhaushalt. Die Bahn verklärt sich mit grünem Anstrich als klimaneutral. Und auf der IAA gibt’s Auto-Bashing.

John MacDougall/AFP/Getty Images

Um nicht weniger als eine „Menschheitsaufgabe“ handelt es sich mit den Worten der Kanzlerin beim Klimaschutz. Dem wird in den nächsten Tagen bis zur Sitzung des Klimakabinetts am 20. September und auch in den Monaten danach im politischen Berlin alles untergeordnet. Ob das breite Publikum die Brisanz ebenso empfindet, scheint eher fraglich. Obwohl das mediale Juste Milieu und das politische Establishment die „Klimakatastrophe“ pushen wie kaum ein anderes Thema, rangiert es beim Publikum nicht einmal unter den TOP 10-Angstthemen, jedenfalls, wenn man einer Langzeitstudie der R+V-Versicherung Glauben schenken will.

Doch das Agenda-Setting der Öko-Bewegung hat sich längst ausgezahlt. „Greenwashing“ steht derzeit überall auf der Tagesordnung. Während der innerparteiliche Wahlkämpfer und derzeitige Nebenerwerbs-Finanzminister Olaf Scholz das Publikum schon mal auf neue Schulden vorbereitet – auch hier muss als Begründung neben der Rezessionsbekämpfung der Klimaschutz herhalten –, verteidigt die Union offiziell die schwarze Null und die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse. Doch weil Merkels „Menschheitsaufgabe“ kein „Pillepalle“ duldet, werben die bayerische CSU und der CDU-Wirtschaftsminister seit Tagen offenbar mit zunehmendem Erfolg für eine 50 Milliarden Euro-Klimaanleihe, mit der Klimaschutzinvestitionen finanziert werden sollen. Als Startkapital schießt der Bund fünf Milliarden Euro in die Gründung einer „Bürgerstiftung Klimaschutz“, die im Bundeshaushalt als Ausgabe verbucht werden. Diese Stiftung kann Anleihen ausgeben, für die der Bund einen Zins von zwei Prozent garantiert. Bei einem Volumen von 50 Milliarden Euro müsste der Bundeshaushalt dann jährlich bis zu einer Milliarde Euro an Ausgaben für die zweiprozentige Garantieverzinsung dieser Klimaschutzanleihe einkalkulieren. Dass mit diesem Konstrukt die grundgesetzliche Schuldenbremse unterlaufen würde, weil sie einen gigantischen Schattenhaushalt schafft, liegt auf der Hand. Außerdem ist es hochgradig unwirtschaftlich, wenn der Staat für seine Kreditaufnahme keine Zinsen bezahlen muss, ja wegen der Negativzinsen sogar Geld für die Ausgabe von Staatsbonds bekommt – und er plötzlich Garantiezinsen deutlich über dem Marktniveau verbürgt.

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„Greenwashing“ herrscht auch bei der Deutschen Bahn. Die rühmt sich einer hundertprozentigen Klimaneutralität ihrer ICE-Fernverkehrsflotte. Um diesen Anspruch zu unterstreichen, ersetzt sie beim jeweils ersten und letzten Wagen eines ICE den roten Farbstrich durch einen grünen, wie Bahnvorstand Richard Lutz diese Woche in Berlin verkündete. So wörtlich wurde „Greenwashing“ bisher noch nie umgesetzt. Dabei ist die Klimaneutralität der Bahn eine Legende. Als ob es Ökostrom zu jeder Tages- und Nachtzeit gäbe, egal ob die Sonne scheint oder der Wind weht. Tatsächlich konsumiert auch die angeblich klimaneutrale Bahn nach wie vor Kohle- und Atomstrom – und zwar knapp die Hälfte ihres Gesamtstromverbrauchs. Auch hier hat das Öko-Narrativ von der umweltfreundlichen Bahn seine Fehlinformationsfunktion glänzend erfüllt. Ein mit vier Personen besetzter Mittelklasse-Diesel-Pkw, der im Schnitt sechs Liter Kraftstoff auf 100 Kilometer verbraucht, unterbietet beim CO2-Ausstoß pro Personenkilometer den Eisenbahnfernverkehr locker. Auch ein Kleinwagen (Fünf-Liter-Benziner), der nur mit 1,5 Personen besetzt ist (statistische Durchschnittszahl im Auto), liegt beim CO2-Ausstoß pro Personenkilometer auf dem Niveau des DB-Fernverkehrs.

Doch Auto-Bashing ist angesagt, wenn man sich die Berichterstattung rund um die IAA in Frankfurt vor Augen führt. Ob die angekündigten Demos am Wochenende tatsächlich die Schlagzeilen bestimmen werden, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist die Fahrzeugbranche in der Defensive. Manche Vorstände agieren, als ob sie sich von der Politik die Technologiezukunft des Autos vorschreiben ließen. Vor allem VW-Chef Herbert Diess setzt in einer Ausschließlichkeit auf die Elektromobilität mit batteriegetriebenen Fahrzeugen, die fassungslos macht.

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Dass Anspruch und Wirklichkeit in der Klima-Politik weit auseinanderklaffen, belegt vor allem der Gebäudesektor. Großspurig hat die Politik in den vergangenen Jahren ihre Klimaziele immer höher gesetzt und sie der EU auch rechtsverbindlich zugesagt. Bis zum Jahr 2030 will Deutschland den CO2-Ausstoß für die Beheizung der Gebäude um sage und schreibe 40 Prozent senken. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber die Förderbedingungen für die Wärmedämmung und den Einsatz der Solarenergie immer höher geschraubt. Vermieter, oft auch von ihren Mietern unterstützt, sind in einen Sanierungsstreik getreten, weil sie die hohen Kosten schrecken. Das Ergebnis: Klimapolitisch liegt ein verlorenes Jahrzehnt hinter der Wohnungswirtschaft. Der CO2-Ausstoß hat sich praktisch nicht verändert, ist sogar am kurzen Ende in der Tendenz wieder angestiegen. Wollte Deutschland die rechtsverbindlichen Zusagen an die EU einhalten, dann müssten innerhalb der kommenden 10 Jahre entweder 40 Prozent aller Gebäude in Null-Emissionsobjekte umgewandelt werden oder 80 Prozent aller Gebäude ihren heutigen CO2-Ausstoß für die Raumheizung mindestens halbieren. Wer halbwegs bei Verstand ist, weiß um die Unmöglichkeit. So einen Kraftakt kann weder die Bauwirtschaft stemmen, noch die Volkswirtschaft finanzieren.

Wer Klimaschutzpolitik wirkungsvoll und effizient betreiben will, muss Marktmechanismen mobilisieren. Der CO2-Emissionsrechtehandel ist dafür das geeignete Instrument, weil dann zunächst dort eingespart wird, wo die Effekte bei geringsten Kosten am größten sind. Die Entscheidungen treffen dann die Märkte und nicht Politiker. Doch weil die Politik immer stärker dirigieren und lenken will, bleibt die Hoffnung auf marktwirtschaftliche Lösungen wohl ein vergeblicher Wunsch.


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