Kurz nachdem der Bundesarbeitsminister für rund 21 Millionen Rentner die gute Nachricht verkündete, dass ihre Renten am 1. Juli im Westen um 3,45 Prozent und im Osten um 4,2 Prozent steigen, vereinbarte die IG-Metall für die Beschäftigten in der deutschen Metallindustrie eine Nullrunde für das laufende Jahr. Ähnliches gilt für die Chemieindustrie, wo ein Not-Tarifvertrag statt auf Lohnsteigerung ebenfalls auf Kurzarbeit und Beschäftigungssicherung setzt. Wegen der schon rund ein Jahr dauernden Rezession in der Industrie, die jetzt durch den Corona-Shutdown extrem verschärft wird und auf alle Sektoren unserer Volkswirtschaft ausstrahlt, gehören Lohnzuwächse der Arbeitnehmer der Vergangenheit an. Wer in Kurzarbeit kommt, dem blühen Einkommensverluste. Boni wegen erfolgreicher Unternehmensabschlüsse wird es nicht mehr geben. Steigende Arbeitslosigkeit wird dem Shutdown folgen – allen Politikerversprechungen zum Trotz. Denn der Staat wird niemals die brutalen Folgen der jetzt bevorstehenden starken Rezession auffangen können.
Sowohl die höchste Rentenerhöhung seit fünf Jahren als auch die Reformverweigerung der Rentenkommission wirken angesichts der aktuellen Lage des wirtschaftlichen Absturzes wie aus der Zeit gefallen. So sehr sich die Rentnergeneration in diesem stürmischen Jahr über eine signifikante Rentenerhöhung freuen mag: Bei ihren Kindern und Enkeln, die als Arbeitnehmer sinkende Einkommen, wenn nicht gar Arbeitslosigkeit erleben müssen, dürfte das eher auf Unverständnis stoßen. Dabei haben nahezu alle Rentenbeschlüsse der Großen Koalitionen unter Angela Merkel – bis auf die GroKo I mit der damaligen stufenweisen Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre – die Lasten der Rentenversicherung einseitig der jüngeren Generation aufgehalst: die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren, die Mütterrenten I und II oder die Grundrente. Die Folgen für die Beitragszahler und zunehmend auch die Steuerzahler sind gravierend. Doch sowohl für die Union wie auch die SPD sind die Rentner-Kohorten die wichtigste Wählergruppe. Und die wird gern bedient.
Im zehnjährigen konjunkturellen Aufschwung, der auch mit einem bis dato nicht dagewesenen Beschäftigungsaufwuchs und entsprechend steigenden Beitragseinnahmen verbunden war, ließen sich diese Wohltaten für die Rentenversicherung und den Bundeshaushalt scheinbar leicht verschmerzen. 2018 hatte die Bundesregierung noch schnell beschlossen, das Rentenniveau bis 2025 nicht unter den heutigen Wert von 48 Prozent fallen zu lassen. Der Beitragssatz sollte in der gleichen Zeit nicht über 20 Prozent steigen. Doch genau dieses Rententableau der Bundesregierung wird angesichts der bevorstehenden „Corona“-Rezession zur Makulatur.
Das MEA errechnet auch, was für Folgen ein rezessionsbedingt sinkendes Lohnniveau für das Rentenniveau bedeuten könnte, das derzeit bei knapp über 48 Prozent liegt. Im aktuellen Rentenbericht der Bundesregierung wurde noch damit gerechnet, dass die „Haltelinie“ beim Rentenniveau als erstes greifen würde und notfalls durch steigende Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt oder beschleunigte Rentenerhöhungen sichergestellt werden müsste. Weil die Renten aber durch die oben erwähnte Schutzregelung nicht gekürzt werden können, selbst wenn das Lohnniveau signifikant sinkt, könnte das Rentenniveau kurzfristig auf mehr als 52 Prozent steigen. Deutlicher als mit dieser Zahl lässt sich kaum belegen, dass sich die gesellschaftliche Verteilungsposition der aktuellen Rentner in der Krise klar verbessert.
Andererseits war mit einem Beitragssatzanstieg auf 20 Prozent des Bruttolohns frühestens im Jahr 2024 gerechnet worden. Jetzt könnte dieser Beitragsanstieg bei einer dramatischen Corona-Rezession bereits 2021 nötig werden. Um die „Haltelinie“ beim Beitragssatz nicht zu reißen, sind nach den MEA-Berechnungen bereits im gleichen Jahr zusätzlich 5 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt an Rentenzuschuss fällig. Diese Summe würde sich bis 2025 dann schrittweise auf zusätzlich 19 Milliarden Euro jährlich erhöhen. Das für die Rentnergeneration erfreuliche Fazit fasst MEA-Direktor Börsch-Supan so zusammen: „Rentenempfänger werden finanziell weniger von der Corona-Krise betroffen sein als die Erwerbsbevölkerung.“ Zurecht kritisiert er allerdings eine „Asymmetrie“ zu Lasten der Zahler. Die Erwerbsgeneration muss die Suppe auslöffeln, die ihnen vor allem die GroKo II und III eingebrockt hat.