Tichys Einblick
Nur Etikettwechsel

Corona-Bonds: Gemeinsame Anleihen in Europa sind der falsche Weg

Wer aus Mitleid mit Italien eine gemeinsame Kreditaufnahme der EU unterstützt, hebelt das wichtigste Recht des Bundestags aus, das Budgetrecht.

Die Bilder aus Italien und Spanien sind in der Tat dramatisch. Dort schlägt die Corona-Pandemie mit ihren hohen Todesraten brutaler zu als anderswo. Die normale menschliche Reaktion auf eine solche Katastrophe: Wie können wir helfen? Deutschland hat – nachdem der Bundesgesundheitsminister zu Beginn der Corona-Krise den Export von medizinischem Material auch in andere EU-Staaten untersagt hatte – inzwischen Schwerstfälle aus Norditalien in deutschen Kliniken versorgen lassen. Doch davon nimmt die italienische Öffentlichkeit wenig Notiz. Die chinesische und russische Unterstützung werden medial und von der Politik herausgehoben. Europa und vor allem Deutschland gilt als herzlos, weil es sich weigert, sogenannten „Corona-Bonds“ zur gemeinsamen Kreditaufnahme in der EU zuzustimmen. Gemeinsam mit Finnland, Österreich und den Niederlanden (in Südeuropa als „die geizigen Vier“ tituliert) wollen sich selbst der Bundesfinanzminister und bisher wohl auch die Bundeskanzlerin dem Begehr aus Italien entgegenstemmen, eine Haftungsgemeinschaft für von der EU aufgenommene Kredite einzugehen.

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Denn genau darauf läuft eine gemeinsame EU-Kreditaufnahme hinaus, die bereits zu Zeiten der Finanzkrise, damals als „Euro-Bonds“ deklariert, von den Südeuropäern vergeblich gefordert wurde. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie nimmt Italien dafür jetzt einen neuen Anlauf. Alte und tiefsitzende Vorurteile über Deutschland machen dort derzeit die Runde. Die reichen, aber geizigen Deutschen verweigerten die Solidarität in der Not, heißt es vielerorts. Die populistischen Parteien in Italien – und nicht nur sie – können die Verantwortung für ein völlig unzureichendes italienisches Gesundheitssystem, das sich jetzt in der Corona-Krise schonungslos zeigt, mit einem Deutschland- und EU-Bashing überlagern. In ganzseitigen Anzeigen in deutschen Tageszeitungen, aber auch per Interview des italienischen Ministerpräsidenten in einer der täglichen Corona-Sondersendungen nach der Tagesschau warben italienische Politiker für die gemeinsame europäische Kreditaufnahme. Linkspartei und Grüne sind diesem Werben längst erlegen. Sie waren schon vor zehn Jahren für Euro-Bonds. Auch in der SPD gab und gibt es eine große Bereitschaft zu einer europäischen Lösung. 
Wer das Budgetrecht des Bundestags abschaffen will, sagt Ja zu Corona-Bonds

Die Haushaltsautonomie ist für das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine „nicht entäußerbare Kompetenz“ des Deutschen Bundestags. Daher kann Deutschland ohne weitgehende Verfassungsänderungen keine unbegrenzten Garantien an Europa abgeben. Im Hintergrund steht der alte Grundsatzkonflikt, ab wann die Verlagerung von bisher dem Nationalstaat vorbehaltenen Souveränitätsrechten auf die supranationale Ebene EU die nationale Souveränität so dramatisch beschneidet, dass der Nationalstaat faktisch und de iure in einen Zentralstaat „Vereinigte Staaten von Europa“ mündet und damit untergeht.

Ich zitiere aus den Leitsätzen einer Entscheidung der Karlsruher Verfassungsrichter vom 7. September 2011 (2 BVR 987/10):

„Es dürfen keine dauerhaften völkervertragsrechtlichen Mechanismen begründet werden, die auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinauslaufen, vor allem wenn sie mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbunden sind. Jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Umfangs im internationalen oder unionalen Bereich muss vom Bundestag im Einzelnen bewilligt werden.“ …

„Die Bestimmungen der europäischen Verträge stehen dem Verständnis der nationalen Haushaltsautonomie als einer wesentlichen, nicht entäußerbaren Kompetenz der unmittelbar demokratisch legitimierten Parlamente der Mitgliedstaaten nicht entgegen, sondern setzten sie voraus. Ihre strikte Beachtung gewährleistet, dass die Handlungen der Organe der Europäischen Union in und für Deutschland über eine hinreichende demokratische Legitimation verfügen. Die vertragliche Konzeption der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft ist Grundlage und Gegenstand des deutschen Zustimmungsgesetzes.“

Nicht täuschen lassen
Corona-Bonds haben nichts mit Solidarität zu tun
Kritiker werden einwenden, dass diese hehren Grundsätze in der Vergangenheit schon oft gebeugt wurden, wenn man etwa an die systematische Verletzung der „No-Bailout-Klausel“ der Maastricht-Verträge denkt. Europa wollte eine Stabilitätsgemeinschaft bilden. Genau dies war einst Grundlage der Zustimmung Deutschlands zur Euro-Einführung. Kein europäischer Staat sollte für die Schulden und Verbindlichkeiten anderer Mitgliedstaaten haften. Indirekt hat bereits die unorthodoxe Geldpolitik der Europäischen Zentralbank mit ihrer Staatsfinanzierung Südeuropas zu einer Vergemeinschaftung geführt. Doch eine explizit vergemeinschaftete Fiskalpolitik durch eine gemeinsame europäische Kreditaufnahme, mit der die gute Bonität Deutschlands für eine günstigere Refinanzierung Italiens genutzt würde, hätte eine deutlich direktere Ausschaltung der nationalen Budgetverantwortung zur Folge. Denn bei europäischen Anleihen würde sich der Kreis der Nutznießer weder mit dem Kreis der Entscheidungsträger noch dem Kreis der Steuerzahler decken.

Glaubt jemand, dass Italien oder auch Frankreich, das immer wieder für eine gemeinsame europäische Schuldenpolitik wirbt, ihre nationale Budgethoheit auf dem europäischen Altar opfern würden? Die Widerstände in allen europäischen Mitgliedstaaten gegen die vollständige Aufgabe der nationalen Souveränität sind groß. Einen europäischen Zentralstaat wollen die wenigstens Bürger in den Mitgliedstaaten. Auch aus diesem Grund sollte die Bundesregierung standhaft bei ihrem Nein zu Corona-Bonds bleiben.

Wie hilft man den Corona-Krisenstaaten?

Deutschland hat sich bereits nach der Finanzkrise maßgeblich an der Finanzierung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) beteiligt. Dort liegen 410 Milliarden Euro parat, mit denen Italien und anderen Mitgliedstaaten finanzielle Hilfen geleistet werden könnten. Allerdings gibt es diese Hilfen nur auf Antrag und unter der Bedingung, dass sich das antragstellende Land Auflagen für seine Haushalts- und Finanzpolitik unterwirft. Die Hilfen sind also konditioniert. Aufgrund der unverschuldeten Tragödie, die vom Corona-Virus ausgelöst wurde, ließen sich die Auflagen abmildern.

Über einen EU-Fonds, den die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ins Gespräch brachte, lassen sich ebenfalls Hilfspakete für Italien und andere Krisenländer schnüren, die nicht auf den italienischen Schuldenstand durchschlagen. Auch die Europäische Investitionsbank (EIB) könnte ihr Portfolio verstärkt in Italien einsetzen.

Außerdem hilft bereits das massiv aufgestockte Staatsanleihen-Kaufprogramm der EZB, das der italienischen Notenbank den Aufkauf der eigenen Staatspapiere erlaubt. Derzeit sind jedenfalls die Refinanzierungskosten bei der Kreditaufnahme Italiens nicht das Problem. Der Zinssatz beträgt aktuell 1,5 Prozent für ein Land, dessen Schuldenstandsquote schon vor der Corona-Krise bei 133 Prozent des Bruttoinlandsprodukts lag. 

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