Die Bilder aus Italien und Spanien sind in der Tat dramatisch. Dort schlägt die Corona-Pandemie mit ihren hohen Todesraten brutaler zu als anderswo. Die normale menschliche Reaktion auf eine solche Katastrophe: Wie können wir helfen? Deutschland hat – nachdem der Bundesgesundheitsminister zu Beginn der Corona-Krise den Export von medizinischem Material auch in andere EU-Staaten untersagt hatte – inzwischen Schwerstfälle aus Norditalien in deutschen Kliniken versorgen lassen. Doch davon nimmt die italienische Öffentlichkeit wenig Notiz. Die chinesische und russische Unterstützung werden medial und von der Politik herausgehoben. Europa und vor allem Deutschland gilt als herzlos, weil es sich weigert, sogenannten „Corona-Bonds“ zur gemeinsamen Kreditaufnahme in der EU zuzustimmen. Gemeinsam mit Finnland, Österreich und den Niederlanden (in Südeuropa als „die geizigen Vier“ tituliert) wollen sich selbst der Bundesfinanzminister und bisher wohl auch die Bundeskanzlerin dem Begehr aus Italien entgegenstemmen, eine Haftungsgemeinschaft für von der EU aufgenommene Kredite einzugehen.
Wer das Budgetrecht des Bundestags abschaffen will, sagt Ja zu Corona-Bonds
Die Haushaltsautonomie ist für das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine „nicht entäußerbare Kompetenz“ des Deutschen Bundestags. Daher kann Deutschland ohne weitgehende Verfassungsänderungen keine unbegrenzten Garantien an Europa abgeben. Im Hintergrund steht der alte Grundsatzkonflikt, ab wann die Verlagerung von bisher dem Nationalstaat vorbehaltenen Souveränitätsrechten auf die supranationale Ebene EU die nationale Souveränität so dramatisch beschneidet, dass der Nationalstaat faktisch und de iure in einen Zentralstaat „Vereinigte Staaten von Europa“ mündet und damit untergeht.
Ich zitiere aus den Leitsätzen einer Entscheidung der Karlsruher Verfassungsrichter vom 7. September 2011 (2 BVR 987/10):
„Es dürfen keine dauerhaften völkervertragsrechtlichen Mechanismen begründet werden, die auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinauslaufen, vor allem wenn sie mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbunden sind. Jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Umfangs im internationalen oder unionalen Bereich muss vom Bundestag im Einzelnen bewilligt werden.“ …
„Die Bestimmungen der europäischen Verträge stehen dem Verständnis der nationalen Haushaltsautonomie als einer wesentlichen, nicht entäußerbaren Kompetenz der unmittelbar demokratisch legitimierten Parlamente der Mitgliedstaaten nicht entgegen, sondern setzten sie voraus. Ihre strikte Beachtung gewährleistet, dass die Handlungen der Organe der Europäischen Union in und für Deutschland über eine hinreichende demokratische Legitimation verfügen. Die vertragliche Konzeption der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft ist Grundlage und Gegenstand des deutschen Zustimmungsgesetzes.“
Glaubt jemand, dass Italien oder auch Frankreich, das immer wieder für eine gemeinsame europäische Schuldenpolitik wirbt, ihre nationale Budgethoheit auf dem europäischen Altar opfern würden? Die Widerstände in allen europäischen Mitgliedstaaten gegen die vollständige Aufgabe der nationalen Souveränität sind groß. Einen europäischen Zentralstaat wollen die wenigstens Bürger in den Mitgliedstaaten. Auch aus diesem Grund sollte die Bundesregierung standhaft bei ihrem Nein zu Corona-Bonds bleiben.
Wie hilft man den Corona-Krisenstaaten?
Deutschland hat sich bereits nach der Finanzkrise maßgeblich an der Finanzierung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) beteiligt. Dort liegen 410 Milliarden Euro parat, mit denen Italien und anderen Mitgliedstaaten finanzielle Hilfen geleistet werden könnten. Allerdings gibt es diese Hilfen nur auf Antrag und unter der Bedingung, dass sich das antragstellende Land Auflagen für seine Haushalts- und Finanzpolitik unterwirft. Die Hilfen sind also konditioniert. Aufgrund der unverschuldeten Tragödie, die vom Corona-Virus ausgelöst wurde, ließen sich die Auflagen abmildern.
Über einen EU-Fonds, den die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ins Gespräch brachte, lassen sich ebenfalls Hilfspakete für Italien und andere Krisenländer schnüren, die nicht auf den italienischen Schuldenstand durchschlagen. Auch die Europäische Investitionsbank (EIB) könnte ihr Portfolio verstärkt in Italien einsetzen.
Außerdem hilft bereits das massiv aufgestockte Staatsanleihen-Kaufprogramm der EZB, das der italienischen Notenbank den Aufkauf der eigenen Staatspapiere erlaubt. Derzeit sind jedenfalls die Refinanzierungskosten bei der Kreditaufnahme Italiens nicht das Problem. Der Zinssatz beträgt aktuell 1,5 Prozent für ein Land, dessen Schuldenstandsquote schon vor der Corona-Krise bei 133 Prozent des Bruttoinlandsprodukts lag.