Tichys Einblick
Verbale Abrüstung

Appell: Mehr Nüchternheit in der Klimawandel-Debatte!

Missionarisches Eiferertum beherrscht die Debatte nicht nur im Grünen Spektrum, sondern auch bei denen, die die den Klimawandel bestreiten oder seinen Folgen anders begegnen wollen.

imago/epd

„Kohlendioxid (CO2) ist kein Schadstoff, sondern ein unverzichtbarer Bestandteil allen Lebens.“ Diese Tatsache steht im AfD-Grundsatzprogramm, aber weniger aus physikalisch-chemischer Einsicht. Sie muss dort  dafür herhalten, die Gefahren des Treibhauseffekts als harmlos darzustellen. Durch fossile Verbrennungsvorgänge bei der Energieerzeugung und Wärmegewinnung sowie im Verkehrssektor – zu Land, auf dem Wasser und in der Luft – erhöhen wir Menschen spätestens seit Beginn der Industrialisierung den Kohlendioxid-Output. Die Ernährung der stark wachsenden Erdbevölkerung durch eine industrialisierte Landwirtschaft mit Massentierhaltung sorgt ebenfalls für einen immensen Methangasausstoß. Diese Treibhausgase absorbieren langwellige, von der Erdoberfläche ansonsten ins Weltall abgegebene Strahlung. Die Folge: Die untere Atmosphäre erwärmt sich, der sogenannte Treibhauseffekt entsteht.

Das ist wissenschaftlicher Konsens bei der überwältigenden Mehrheit von Forschern. Nur eine kleine Minderheit bezweifelt den Klimawandel grundsätzlich, findet aber bei vielen rechtsstehenden Parteien erstaunliche Resonanz. Damit geraten Fragen von Umfang, Ursachen und Folgen des Klimawandels in den Rechts-Links-Konflikt. Häufig greifen die Skeptiker des Klimawandels auf eine Studie des australischen Forschers John Cook aus dem Jahr 2013 zurück. Der hatte wissenschaftliche Beiträge, in deren Zusammenfassung die Worte Klimawandel oder Erderwärmung vorkamen, analysiert, um den Standpunkt des jeweiligen Forschers eindeutig festzustellen. Doch nur bei einem Drittel der wissenschaftlichen Beiträge konnte er einen eindeutigen eigenen Standpunkt der Autoren feststellen. Weil das bei zwei Dritteln nicht der Fall war, nimmt das etwa Geert Wilders von der niederländischen PVV gern als Argument, dass die Mehrheit der Klimaforscher keine eigene Position zum Klimawandel vertritt. Dass aber 97,1 Prozent der Forscher, die in ihren Untersuchungen einen eigenen Standpunkt vertreten, den Menschen als den wichtigsten Verursacher des Klimawandels einstufen, unterschlagen Wilders und Gleichgesinnte komplett.

Gerade hat die adelphi-Denkfabrik in Berlin die 21 stärksten, von ihr  rechtspopulistisch genannten  Parteien Europas und ihre Positionen sowie ihr Abstimmungsverhalten bei den Themen Klima- und Energiepolitik analysiert. Sieben dieser Parteien gehören zu einer Gruppe, die von den Autoren Alexander Carius und Stella Schaller zur Gruppe der Leugner oder Skeptiker des Klimawandels gerechnet werden. Die deutsche AfD zählt dazu, aber ebenso die österreichische FPÖ, die dänische DF oder die niederländische PVV. Dabei handelt es sich keinesfalls um Splittergruppen. In Deutschland ist die AfD im Bundestag stärkste Oppositionsfraktion. Die FPÖ ist im Nachbarland Österreich Regierungspartei, die DF stellt im dänischen und die PVV im niederländischen Parlament die zweitstärkste Fraktion. Elf Parteien im rechten Spektrum Europas thematisieren den Klimawandel nicht oder beziehen keine klare Position. Mit der ungarischen Fidesz, der lettischen LNNK und der finnischen PS sprechen sich aber auch drei sogenannter rechtspopulistische Parteien in Europa für Klimaschutz aus. In Europa ist also die Einordnung keineswegs so eindeutig wie es in der deutschen Debatte scheint.

Natürlich kritisiere ich das moralische Eiferertum der Deutschen Umwelthilfe und ihren Feldzug gegen die sparsamen Diesel-Verbrennungsmotoren, ohne die der Kohlendioxidausstoß in der langen Übergangsphase bis zum emissionsarmen Auto im Verkehrssektor steigen würde. Ich kritisiere das Pharisäertum vieler Grünen Politiker und Teilen ihrer Wählerschaft, die sich beispielsweise mehr Flugreisen leisten und mit PS-starken SUV-Boliden ihre Kinder selbst kürzeste Wege in Kita und Schule chauffieren, aber anderen Mobilitätsverzicht via Geldbeutel oder gar Fahrverbote vorschreiben wollen. Auch die Erhebung in quasi religiösen Status hilft nicht bei der nüchternen Bearbeitung eines großen Themas.

Doch auch den Klimawandel-Skeptikern rate ich zur Mäßigung. Denn Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Ich empfehle, regelmäßig die Schadensbilanzen der großen Rückversicherer zu studieren, die sich wie Seismografen der Klimaveränderung lesen. Dort schlagen sich Großschadensereignisse durch Extremwetterlagen in den harten Regulierungsdaten nieder. Der größte Rückversicherer der Welt, die Münchner Rück, liefert jeweils im I. Quartal eines Jahres die Klimafakten des Vorjahres. Der Bericht für das Jahr 2018, das in Deutschland das bisher heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen war, liegt noch nicht vor. Doch auch ein Blick in die Klimafakten des Jahre 2017, die am 14. März 2018 von der Munich Re auf ihrer Website freigeschaltet wurden, lohnt:

„Nach den Daten der US-Wetterbehörde NOAA vom Januar übertraf die globale Mitteltemperatur 2017 über Land- und Meeresoberflächen den Mittelwert des 20. Jahrhunderts von 13,9℃ um 0,84℃. Damit sind die aufeinanderfolgenden Jahre 2014 bis 2017 auch die vier wärmsten der Messreihe seit 1880. 2017 war auch das drittwärmste Jahr, das dem durch El Nino geprägten wärmsten Jahr 2016 folgte. Es war zugleich das wärmste Jahr ohne einen Einfluss von El Nino, der typischerweise die globale Mitteltemperatur erhöht. Vielmehr standen am Beginn des Jahres kühlneutrale Bedingungen und an seinem Ende schwache La-Nina-Bedingungen.
(…)

Die Bedrohung des Menschen und der Druck zu erhöhter Resilienz war angesichts vieler Hitzewellen, Dürreepisoden, Waldbrände, Überflutungen, aber auch einer extrem aktiven Hurrikansaison im Nordatlantik im Jahr 2017 evident. Dass der Klimawandel den deutlichen Langfrist-Trend bei der globalen Mitteltemperatur erklärt und bei vielen dieser Wetterextreme eine verstärkende Rolle spielt beziehungsweise immer stärker spielen wird, kann nicht mehr übersehen werden.“

Auch wer die Kapitalmärkte aufmerksam verfolgt, wird erstaunt feststellen, dass sich in den vergangenen fünf Jahren mehr als 100 Finanzkonzerne aus ihrem Kohle-Engagement verabschiedet oder es zumindest deutlich reduziert haben. Von Axa bis Wells Fargo haben die Investoren in den vergangenen Jahren Milliardensummen aus der Kohleindustrie abgezogen. Die Strategien der global agierenden Finanzkonzerne sind damit zu großen Unterstützern der internationalen Klimaschutzpolitik geworden. Wichtige Treiber dieser Entwicklung, die manchmal bei der heftigen Debatte um den in Deutschland vorgesehenen Ausstieg aus der Kohle übersehen wird, waren zwei Ereignisse. Seit 2015 setzt sich der britische Notenbankgouverneur Mark Carney dafür ein, Klimarisiken in die Überwachung des Financial Stability Board, einer Institution der G20 mit Hauptsitz in Basel, aufzunehmen. Außerdem haben im Jahr 2015 die meisten Staaten der Welt das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet.

Den Klimawandel-Skeptikern im rechten politischen Lager zu bedenken geben sollte eine Erkenntnis aus Österreich. Dort regiert die den Klimawandel eindeutig verneinende FPÖ in Wien in einer Koalition mit der ÖVP. Bei der letzten Nationalratswahl hat die FPÖ zwar 26 Prozent der Stimmen erhalten. Allerdings vertreten laut European Social Survey in Österreich nur 7,3 Prozent der Menschen die Ansicht, dass sich das globale Klima nicht oder vermutlich nicht verändert. Folglich scheinen auch viele Wähler der Rechten die Kraft der Fakten beim Klimawandel nicht zu leugnen.

Es hilft der notwendigen Klimadebatte nicht, wenn sie im ideologischen Grabenkrieg zwischen „Links“ und „Rechts“ zerrieben wird. Bei großen Fragen hilft nur Nüchternheit.

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