Tichys Einblick
Lindners Gefährliches Wende-Manöver

Wissing statt Teuteberg als FDP-Generalsekretär: Letzte Hoffnung Ampel im Bund?

FDP-Chef Christian Lindner blinkt heftig links und setzt offenbar auf sozial-liberal. Tritt der angeschlagene Parteivorsteher nach seinem Scheitern mit Jamaika im Frühjahr 2018 nun für die kommende Bundestagswahl 2021 die Flucht zu Rot-Grün an?

Volker Wissing

imago images / Sascha Ditscher

Christian Lindners heutige Personalentscheidungen erschüttern langjährige und erfahrene FDP-Granden im Bundestag wie in den Ländern. Sie fragen sich bereits: Setzt Lindner als Hauptverantwortlicher für den FDP-Absturz nach der Bundestagswahl von 10,7 Prozent auf derzeit fünf bis sechs Prozent in den Umfragen künftig auf eine wenig aussichtsreiche Ampel mit SPD und Grünen im Bund? Flieht er getrieben vom Mainstream nach links?

Links-liberale Störenfriede wie Ex-Bundesminister Gerhart Rudolf Baum dürften sich darüber freuen. „Die FDP ist viel zu weit nach rechts gerückt“, beklagte sich zu Sommerbeginn Dauernörgler Baum öffentlich. Dabei hatte der Altlinke-Liberale selbst der FDP seit Jahrzehnten mehr geschadet als genützt.

Sein Opfer hatte Lindner für den Kurswechsel seit Monaten im Visier. Die smarte FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg aus Brandenburg macht Lindner nun für die zahlreichen Wahlniederlagen und das Thüringen-Debakel verantwortlich.

„FDP-Parteichef Christian Lindner tauscht seine Generalsekretärin aus: Linda Teuteberg muss gehen, Nachfolger soll der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing werden“, heißt es lakonisch in der Welt. Ein Jahr vor der Bundestagswahl beim FDP-Bundesparteitag am 19. September in Berlin dürfen die Delegierten das neue Personal wählen.

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Im Beipack soll auch noch der sozialdemokratisch angehauchte Unternehmer Harald Christ das Amt des FDP-Schatzmeisters vom liberal-konservativen Hermann Otto Solms übernehmen. Wenn das kein Schwenk nach links ist. Harald Christ – jahrzehntelang in Diensten der SPD, seit März umgeschwenkt zur FDP. Immerhin hatte der damalige SPD-Fraktionschef und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier im Bundestagswahlkampf 2009 Unternehmer Christ in seinem Schattenkabinett vorgesehen. Mehr noch: Er war 2006/07 Landesschatzmeister der Hamburger SPD, 2010/12 Landeskassierer der Berliner SPD, 2015 Gründungsmitglied des SPD-Wirtschaftsforums und 2018 Mittelstandsbeauftragter der Sozialdemokraten bevor er im Dezember 2019 nach 31 Jahren Mitgliedschaft die SPD verließ.
Lindner braucht für sein Wende-Manöver Unterstützung

Lindner begründet sein FDP-Wende-Manöver damit: Er strebe nach der Bundestagswahl Regierungsverantwortung an. Deswegen sei seine Entscheidung auf Wissing gefallen, der beides könne, Regieren und Wahlkämpfen. Lindner: „Ich sag’s ganz offen, in der Führung der Partei brauche ich in dieser Lage mehr Hilfe und Unterstützung.“ Klingt nett, ist aber schon ein Offenbarungseid.

Doch es ist viel mehr. Nicht nur ein Richtungswechsel, sondern auch Lindners menschlicher Umgang mit seinem Spitzenpersonal spricht Bände. Linda Teuteberg durfte sich bei der Verkündung der Personalentscheidung nach dem Bundesvorstand nicht einmal auf der Bühne in der Parteizentrale verabschieden. Sie war nicht mehr gefragt. Dafür präsentierte Lindner seinen General in spe – Volker Wissing.

Verärgerte FDP-Funktionäre sprechen gar von der „Hinrichtung einer Generalsekretärin in der Öffentlichkeit“, die seit vielen Monaten vorbereitet wurde. Ein harter Vorwurf. Mit Sommerbeginn sei „Linda von Lindner endgültig mental weichgeklopft worden“, berichten jedoch Bundesvorständler.

Vor allem die Ost-Landesverbände und Frauen-Kreise sind ziemlich sauer auf den Parteichef, der jetzt seine eigenen Fehler kaschieren möchte. Sie sagen: „Was heißt denn jetzt FDP unter Lindner? Männer und Westen.“

Denn im FDP-Präsidium muss neben Teuteberg ein weiterer Ost-Vertreter seinen Stuhl räumen. Präsidiumsmitglied Frank Sitta aus Sachsen-Anhalt wird seine politischen Spitzenämter aufgeben. Quasi als Verfügungsmasse für den Chef. Denn Lindner wollte Teuteberg nach ihrer Degradierung – eigentlich lief ihre Amtszeit bis Mai 2021 – zunächst noch den Trostjob als Präsidiumsmitglied und Ost-Beauftragte anbieten. Doch die 39-Jährige hat ehrenhaft abgelehnt. Es wäre sonst eine weitere Erniedrigung für die talentierte FDP-Frau aus Potsdam, wenn sie dieses vergiftete Angebot angenommen hätte. 

Den Osten scheint die FDP-Führung so vorerst abgeschrieben zu haben, vermuten dort zahlreiche Funktionäre. Die letzten Wahlkämpfe im Osten wurden im Vergleich zu früheren Wahlen ohnehin von der Bundesparteizentrale lediglich mit einem Minimalbudget ausgestattet. 

Gleichzeitig mutiert die FDP an ihrer Spitze wieder zu einer Männerpartei. Dagegen hieß es im Mai 2018 im Gründungspapier einer neuen Taskforce, die Antworten auf das Frauenproblem liefern sollte: „Ein sinkender Frauenanteil ist für die Marke der neuen FDP nicht förderlich.“ Die FDP hat nach Teutebergs Demission erst recht ein Frauen-Problem. 

Ampel-Leuchten am FDP-Firmament

Aber auch inhaltlich störte die eher liberal-konservativ ausgerichtete Ost-Frau Lindners Kreise. Im Gegensatz zu Teuteberg setzt der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing im Regierungsbündnis mit SPD und Grünen als künftiger Generalsekretär jetzt ein klares Signal für eine Ampel. Ist er Lindners Hoffnung, dass SPD-Kanzlerkandidat, Bundesfinanzminister und Milliarden-Wohltäter Olaf Scholz, der jetzt vom medialen Mainstream nach oben geschrieben und gesendet wird, der FDP neue Chancen jenseits der CDU eröffnet? Offensichtlich. Anders können Wähler das Wendemanöver doch gar nicht interpretieren. Lindner kehrt nach dem politischen Absturz jetzt seine Begründung der Jamaika-Absage mit den Worten um: „Dann ist es besser zu regieren, als nicht zu regieren.“

Lindners Gefährliches Wende-Manöver
Schließlich regiert die FDP bereits in Rheinland-Pfalz und in Schleswig-Holstein mit den Grünen. Vor allem Lindners linke Hand treibt die Grünausrichtung der FDP voran. Zahlreiche Liberale sehen den Parlamentsgeschäftsführer der Bundestagsfraktion Marco Buschmann dafür verantwortlich. Der ehemalige und heimliche Bundesgeschäftsführer hält die Parteizentrale auch aus der Ferne weiter im Griff. 

Kann solch ein Links-Kurs gut gehen? Wohl kaum. Die FDP als wackliges Reserverad erst von Schwarz-Grün und nun von Rot-Grün wird am Ende an der Fünf-Prozent-Hürde womöglich erneut scheitern. Lindners Operation bleibt daher riskant. Denn so unumstritten ist die Lage seines Multi-Minister-Generals nicht.

Wissing geht ins doppelte Risiko

FDP-intern wird bereits über Wissing gelästert: Er scheine ja als Wirtschaftsminister genügend Zeit zu haben, um künftig durch die Kreisverbände zu tingeln. Zudem sei ja seit Monaten bekannt, dass ihm in der rheinland-pfälzischen Provinz langweilig wird. Er wollte längst wieder als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl „zum großen Sprung nach Berlin“ ansetzen.

Landesminister und gleichzeitig Generalsekretär geht das überhaupt? Theoretisch schon. Wissings Chefin, SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer, wird ihm das erlauben, weil sie selbst fast ein halbes Jahr als amtierende SPD-Vorsitzende wirkte. Also könnte Wissing bis zur Landtagswahl im März Minister bleiben, die Bundestagswahl im Herbst 2021 bestreiten und seine Spitzenkandidatur in der Provinz seiner Staatssekretärin, Daniela Schmidt, als Nachfolgerin überlassen. Die Risiken sind jedoch erheblich, wenn die FDP aus der Mainzer Regierung fliegt. „Wie soll er als General dann glaubhaft einen Bundestagswahlkampf führen“, fragt ein einflussreicher Liberaler.

Obendrein wird Wissing von FDP-Kollegen vorgeworfen, vor allem in der Verkehrspolitik an Freiheitseinschränkungen im Bundesrat beteiligt gewesen zu sein. Zum Beispiel beim geplanten Wochenendfahrverbot für Motorradfahrer und ebenso bei den Verschärfungen des Bußgeldkatalogs mit schnellerem Führerscheinverlust. Beides eigentlich ein No-Go für FDP-Politiker.

Auch bei der Anerkennung der Maghreb-Länder Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Drittstaaten zur Eindämmung der Asyleinwanderung ist Wissings FDP in der Mainzer Regierung zugunsten von Grünen und SPD umgefallen. Sie hat die Blockade der Anerkennung im Bundesrat brav mitgemacht.

Der politische Erfolg von Lindners Personal-Aktion ist daher längst nicht garantiert. Eine Schicksalskollegin von Wissing hat schließlich mit ähnlichen Operationen keinen Erfolg gehabt: Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) gab ihr Amt auf, um Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel als Generalsekretärin zu dienen. Zwar durfte sie noch Merkels Nachfolgerin werden, doch nur um jetzt als gescheiterte Vorsitzende fix abzutreten.

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