Wird es nach dem Frühstück in Wolfratshausen – Edmund Stoiber ringt Angela Merkel im Januar 2002 beim Kaffee in seinem Haus die Kanzlerkandidatur ab – einen frühlingshaften Morgenimbiss in Nürnberg bei Markus Söder mit Armin Laschet geben? Der jetzige CSU-Chef sieht sich sowieso als den aller Größten in den Unionsreihen, und aus Bayernsicht wäre wohl nach 19 Jahren wieder mal ein Christsozialer als Kanzleraspirant dran.
Wie auch immer. Als Gewinner würden beide nach Lage der Dinge nicht dastehen, weil die seit 2005 herrschende und womöglich scheidende Kanzlerin bei der Kandidatenauswahl ihres Nachfolgers auch noch mitmischen will. Dabei zeigt Merkel schon jetzt keine Skrupel. Erst protegiert sie Laschet beim Kampf um den CDU-Vorsitz gegen den Basis-Favoriten Friedrich Merz, um ihren Nach-Nachfolger gleich danach bei jeder sich bietenden Gelegenheit in den Senkel zu stellen. Wie gerade bei ihrer jüngsten Audienz mit ARD-Aktivistin Anne Will, als sie den NRW-Ministerpräsidenten Laschet für seine lasche Umsetzung der sogenannten „Corona-Notbremse“ kritisiert.
Sein Konkurrent aus Bayern witterte sofort Morgenluft, und bietet sich oder sollte man besser sagen, biedert sich bei der Kanzlerin als linientreuer Nachfolger an.
Seinen Landesgruppenchef Alexander Dobrindt lässt Söder dazu noch fordern, dass der Kanzlerkandidat nicht allein „am Frühstückstisch ausgemacht werden“ könne, sondern die Bundestagsfraktion mitentscheiden soll. Nach Merkel also die um ihre Sitze bangenden Abgeordneten auch noch.
Söder will Merkels braver Diener sein
„Darum zieht Söder die Merkel-Karte“, berichtet diese Woche Bild.
Der CSU-Chef glaubt allen Ernstes, ohne die Unterstützung von Kanzlerin Merkel könne ein Unions-Kandidat im Bundestagswahlkampf „kaum erfolgreich sein“. Mehr noch: „Die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur sollte auch eng mit Angela Merkel abgestimmt werden.“
Na, wenn es dafür kein Bienchen (Lobeintrag) für den gelehrigen Schüler im Mutti-Heft gibt, wann dann?
Das kommt zwar in Teilen der Unions-Basis gar nicht gut an. „Es ist unverständlich, warum Merkel in eine Nachfolgediskussion einbezogen wird“, bemerkt Kohls früherer Regierungssprecher Otto Hauser (CDU). Die Union habe ein bewährtes Verfahren, bei dem nur die Parteichefs von CDU und CSU den Kanzlerkandidaten verabreden. „Das sind Armin Laschet und Markus Söder – und keine dritte Person“, betont Hauser.
Laut Bild-Demoskopen würde zwar immer noch jeder vierte Unionswähler wegen Merkel für CDU/CSU stimmen, doch diese Kanzlerin steht aller Voraussicht nach nicht mehr zur Wahl.
Wieso sollten vor allem grünaffine Frauen unter Unionswählern jetzt plötzlich für Söder stimmen, nur weil er Bienen schützt? Das grüne Original, dazu noch weiblich, wäre für diesen Wählerkreis sicher attraktiver. Obendrein haben INSA-Umfragen regelmäßig herausgefunden: Die Zahl derjenigen, die wegen Merkel die Union nicht wählen, sei deutlich höher als die Zahl derer, die die Union wegen Merkel wählen. Ergo: Die Union könnte mit einem Anti-Merkel-Kurs eigentlich nur gewinnen.
Dieser Tage will sie sogar im föderalen Deutschland eine bundesallmächtige Corona-Zentralregierung mit ihrer willigen CDU/CSU-Bundestagsfraktion durchsetzen. Dazu lässt sie das Infektionsschutzgesetz noch einmal ändern. Ihr Ziel heißt: Alle Macht dem Bund.
Deshalb müsste sich die Unions-Basis vielmehr fragen: Welche anderen Auswirkungen im bürgerlichen Wählerlager hätte denn Söders Karte nach fast 16 Jahren Merkel-Administration?
Das Zerwürfnis um die Kanzlerkandidatur nimmt Fahrt auf
Söders Anbiederung an Merkel und die Grünen kommt in Teilen der CSU-Basis nicht gut an. Den aus seiner Sicht möglichen Regierungspartner die Grünen mag das hingegen freuen, aber dem Wählerpotential nützt das grüne Image von Bienenfreund Söder wenig. Im Gegenteil: Sein Corona-Kurs der Härte und des allgemeinen Masken-und Impfchaos zeigt selbst bei CSU-Wählern Wirkung. Die „Christlich-Sozialistische Union“ des Chefs, wie der konservative Flügel der Christsozialen inzwischen selbst spottet, sei in Bayern inzwischen wieder im Stimmungstief wie vor der Corona-Krise gelandet – bei nur noch 40 Prozent in Umfragen statt 49 (siehe Tabelle).
Die CSU-Werte bröseln also dahin. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann auch die Zustimmungswerte für Söder sinken. Oder besser, es wird bestimmt eine Frage der Presse, falls Söder als Kanzlerkandidat nominiert werden sollte. Dann stürzen sich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit die Merkel-treuen Medien-Aktivisten auf den CSU-Kandidaten, weil er die Wahl der ersten grünen Kanzlerin nicht gefährden darf.
Die sogenannte „linke Kampfpresse“ wird dann aktiv, die Beiträge mit kompromittierenden Geschichten liegen praktisch schon in den Schubladen. Jetzt machen sie keinen Sinn, erst muss Söder als Kanzlerkandidat feststehen. Nun, was war mit dem bayerischen Immobiliendeal siehe hier. Oder was wird aus Händler-Klagen gegen staatlich bestellte und nicht bezahlte Masken? Warum ordnete Söder eine FFP2-Maskenpflicht zuerst in Bayern an?
Es gibt also viel zu tun für die Journalisten, also packen sie es an.
Grüne Kanzlerin regiert eher mit Grün-Rot-Rot
Was sind die Aussichten? Eine grüne Kanzlerin scheint angesichts der desolaten Lage der Union derzeit das wahrscheinlichste Ergebnis bei der kommenden Bundestagswahl.
Erstens, werden die Grünen sicher einen weiblichen Kanzlerkandidaten gegen ausschließlich männliche Konkurrenten von Union und SPD ins Rennen schicken. Am 19. April präsentiert der Grünen-Vorstand seinen Vorschlag, ob Parteichefin Annalena Baerbock als erste Kanzlerkandidatin der Öko-Partei antritt. Sie würde als Mutter zweier Töchter auch den grünen Makel der Kinderlosigkeit unter grünen Spitzenpolitikern übertünchen. Ihre Ansage: „Frauen und Mütter müssen in diesem Land jeden Job machen können.“ Grüne Frau will etablierte Männer schlagen – das wird die Aktivisten der Mainstreammedien zu Höchstleistungen in ihrer Wahlkampf-Berichterstattung antreiben. Die womöglich zweite Frau im Wettkampf der Spitzenkandidaten, AfD-Fraktionschefin Alice Weidel, lassen sie dann eiskalt rechts liegen.
Zweitens, frühere weibliche Merkel-Wähler der Union können statt einen grünangehauchten Söder lieber gleich das Original wählen – eine grüne Kanzlerin. Auch viele SPD-Wähler könnten dies von Herzen gern tun, und die SED-Erben wären nach 31 Jahren wieder an der Zentralregierung.
Drittens, da die Basis von SPD und Grünen nach Linksaußen gerichtet ist, spricht vieles für ein grüngeführtes Linksbündnis gemeinsam mit den SED-Erben alias Linkspartei. Ein Indiz dafür könnte die Entscheidung von Baden-Württembergs grünem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann sein, nach der jüngsten Landtagswahl lieber mit einer klein gemachten CDU als mit einer grünen Ampel weiter zu regieren – noch dazu mit der FDP.
Damit sinken die Aussichten für eine grüngeführte Ampel mit SPD und FDP im Bund, in der die Liberalen ohnehin nur als nützliche Mehrheitsbeschaffer der bürgerlichen Mittelschicht nach der Bundestagswahl notwendige Steuer- und Beitragserhöhungen in der kommenden Wirtschaftskrise beibringen sollten.
Für die heimliche Unionshoffnung Schwarz-Grün jedenfalls sieht es immer düsterer aus. Denn warum sollten die Grünen eine eigene Kanzlerin gegen einen Gernegroß wie Söder aufgeben?
Wie hatte schon FDP-Vize Wolfgang Kubicki ziemlich treffend festgestellt: „Ausgerechnet Söder, der bisher eher mit harten Worten als richtigen Entscheidungen aufgefallen ist, sollte zunächst auf seinem eigenen Hof kehren, bevor er anderen Menschen moralische Ratschläge erteilt.“
Ja, vielleicht brauchen die deutschen Wähler auch erst einmal die ernüchternde Selbsterfahrung einer grün-rot-roten Bundesregierung. So etwas nennt man in der griechischen Tragödie Katharsis – eine Art aktive Immunisierung. Passt irgendwie in die Viruszeit.