Der Wonnemonat Mai steht vor der Tür. Die Natur blüht auf, die ersten Schwalben und Störche treffen ein. Im Norden herrscht seit Ostern große Geschäftigkeit, nachdem der Winter sich in raue Berge zurückzieht, wie es schon unser Nationaldichter Johann Wolfgang Goethe im „Faust“ trefflich beschrieben hat.
In den Ostseebädern rollen seit Mitte April die Trecker zwischen Dünen und Meer hunderte Strandkörbe heraus. Die Saison 2023 ist eröffnet, selbst wenn die kühle Witterung noch nicht so richtig mitspielt.
Wir denken lieber positiv: Es kann ein wirklich schöner und heißer Sommer an der Ostsee sein, wenn die Urlauber das richtige Wetter erwischen. „Wo de Ostseewellen trecken an den Strand“, genießt der Gast an den Küsten und auf den Inseln noch die gute alte heile Welt in einem Urlaub mit geringer Wahrscheinlichkeit, auf „Männer“ mit Messern oder auch Frauen mit Burkini zu treffen.
Natur und Heimat treffen hier zusammen, da kann der deutsche Urlauber ohne Angst und schlechtes Gewissen gern Goethes „Faust“ zitieren: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.“ Also eine schöne deutsche Kartoffel am Strand, ob nackt oder in Textil gehüllt – egal. Es ist, wie wir es von früher kennen.
Die Tourismuszahlen sprechen dafür eine beredte Sprache. So verbrachten 2022 rund 1,1 Millionen Gäste auf der Sonneninsel Usedom ihren Urlaub, auf Rügen/Hiddensee 1,3 Millionen, auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst mehr als eine halbe Million und im ganzen Land zwischen Nordsee und Ostsee in Schleswig-Holstein 8,8 Millionen. Diese Touristenscharen sind für die Küstenländer wie insbesondere Mecklenburg-Vorpommern mit 7,4 Millionen ein enorm wichtiger Wirtschaftsfaktor. Allein der Radtourismus spült hier einen Bruttoumsatz von rund 1,1 Milliarden Euro in die Kassen.
Die Krise fordert von den Urlaubern ihren Preis
Doch die Freude aufs Wellenbaden an deutschen Gestaden dürfte spätestens diesen Sommer den Urlaubern eine Furche durchs Gesicht ziehen, wenn sie in ihr Reiseportemonnaie schauen. Denn dort klafft sehr schnell ein großes Loch. Schon das Ende des Corona-Diktats hat 2022 eine Preissteigerungswelle bei Hotels, Restaurants und Dienstleistungen die Ostseeküste entlang rollen lassen.
Dieses Jahr türmt sich die nächste Woge vor den Gästen auf. Die zum Teil selbst verursachte Energie- und Finanzkrise, begleitet durch eine galoppierende Inflation, fordert ihren Preis von den hart arbeitenden Menschen. Urlaub im Norden wird immer mehr zum Luxus für die Mittelschicht.
Tichys Einblick erkundigt sich vor Ort. Selbst eine Ferienwohnung der Mittelklasse kostet die Eltern von zwei schulpflichtigen Kindern auf der Sonneninsel Usedom für 14 Tage im Schnitt 2.100 Euro – und dabei ist der Ostseestrand noch 600 Meter entfernt.
Für ein Doppelzimmer in einem Mittelklasse-Hotel muss ein Urlauberpaar gut 200 Euro pro Tag einrechnen, Meerblick aber exklusive. Zwei Wochen Ostseeinsel kosten so schnell 2.800 Euro nur für Übernachtung ohne Luxus. Sicher gibt es auch billigere Angebote, doch hier sinkt das Niveau, außerdem sind sie selten.
Heftig schlagen die Ostseebäder jedoch bei den Kurabgaben zu. Das liegt nicht daran, dass Zinnowitz auf Usedom mit 1.917 Sonnenstunden im Jahr der sonnigste Ort Deutschlands ist. Nein, die klammen Kommunen brauchen schlicht Geld. Allein die drei Kaiserbäder (Ahlbeck, Heringsdorf, Bansin) auf der Sonneninsel Usedom verlangen seit 1. April – es ist kein Aprilscherz – eine kaiserliche Kurtaxe von ihren Ostseegästen. Die Ticketautomaten entlang der kilometerlangen Promenade mutieren für Tagesgäste zu modernen Strandräubern. Denn nicht nur für Urlauber sind auf Usedom pro Tag und Person jetzt 3,10 Euro fällig. Sogar Kinder ab sechs Jahre zahlen wie Erwachsene.
Die Insel in Vorpommern dürfte mit ihrer Urlauberabgabe in Deutschland mit an der Spitze liegen. Der frühere DDR-Staatschef Walter Ulbricht würde in seinem sächsischen Slang ausrufen, hier sei man endlich auf „Weltniveau“. Selbst Garmisch-Partenkirchen in Oberbayern knöpft mit drei Euro pro Tag für einen Erwachsenen und ein Euro für Kinder zwischen 6 und 15 Jahren weniger Kurtaxe seinen Gästen ab.
Eine Familie mit zwei schulpflichtigen Kindern auf Usedom treibt es hingegen beim Blick in ihre Urlaubskasse eher Tränen in die Augen. Denn die üppigen 3,10 Euro täglich belasten die vier Personen bei zwei Wochen Aufenthalt mit 173,60 Euro.
Selbst Tourismusmitarbeiter stöhnen über die gestiegenen Gebühren. Nur deren Chefs bemühen sich die Erhöhungen schön zu reden: „Dafür bekommen die Gäste mit ihren Kindern auch viel geboten wie Konzerte, Führungen und Wanderungen.“ Zum Beispiel sei auf Usedom auch die kostenlose Nutzung der Bäderbusse von Wolgast bis Lubmin eingeschlossen.
Die meisten Urlauber sind jedoch mit ihren Rädern unterwegs und die attraktive Bäderbahn (UBB) gehört leider nicht zum Angebot der UsedomCard für täglich 3,10 Euro pro Person. Die UBB ist beim Ostseebad Ückeritz zwar dabei, dafür verlangt das Bernsteinbad auf Usedom aber auch die absolute Höchstkurtaxe von 3,90 Euro täglich pro Person!
Hohe Tourismusabgaben bleiben jedoch der Trend. Auch Grömitz und Travemünde bei Lübeck verlangen an der westlichen Ostsee täglich drei Euro pro Person. Das Ostseebad Binz auf der Insel Rügen 2,80 Euro und auf der Halbinsel Darß liegen Prerow mit 2,50 und Zingst mit 2,30 Euro noch etwas darunter. Warnemünde bei Rostock gibt sich da noch günstiger mit 2,25 Euro täglich für Erwachsene und 1,50 Euro (Jugendliche, Studenten, Behinderte). Kinder bis 16 Jahre sind noch befreit – fast ein Schnäppchen.
Doch an allen Ostseestränden gilt: Vorsicht Kontrolle! Denn wer nicht zahlt, ist dran. Deswegen nicht vergessen: Wenn nichts in Deutschland funktioniert, das Ordnungsamt arbeitet bei Wind, Wetter und Corona. Dahingegen müssen wir oft Merkel-LTE mit Funklöchern wie im Ex-Wahlkreis der jetzt mit einem Orden dekorierten CDU-Kanzlerin zwischen Zingst und Darß hinnehmen und ewig auf eine OP in der Klinik oder einen Termin für eine Kfz-Zulassung in Berlin warten.
Ob in Grömitz, Timmendorf, Warnemünde oder Heringsdorf, die Strandpolizei kontrolliert unerbittlich, ob sie irgendwo Gäste ohne Bäderkarte und nicht bezahlte Kurtaxe erwischen kann. Solch scharfe Kontrollen wünscht man sich an deutschen Außengrenzen.
Aber es wird noch teurer. Beim Abendessen müssen die Urlauber für eine Speise und ein Getränk rund 25 Euro kalkulieren. Das sind bei einer vierköpfigen Familie schnell 100 Euro. In 14 Tagen sieben Mal Gaststätte macht 700 Euro. Schon während des abendlichen Promenadenbummels gerät der Urlauber beim Blick auf die Aushänge der Speisekarten schnell ins Staunen. Beispiel Bansin: Vegane Pasta Carbonara für 21 Euro oder ein simples Bifteki beim Griechen für 20,90 Euro gefällig? Nicht nur auf Usedom haben sich die Restaurantpreise seit 2019 im Schnitt um gut fünf Euro verteuert.
Auch der halbe Liter Bier – der Brotpreis des Urlaubers – liegt an den Promenaden von Travemünde bis Warnemünde ohnehin über fünf und sogar schon bei sechs Euro. Da trinkt Vati bestenfalls nur noch einen Halben. Schließlich gibt es dafür im Supermarkt bereits einen halben Kasten Bier. Und der Berliner oder Ruhrgebietler staunt über Currywurst im Brötchen für sieben Euro.
Selbst der Spaß beim Eis schlecken ist nicht mehr lustig. Zwei Kugeln für fast vier Euro, kostet die Familie 16 Euro zu viert. Sieben Mal Eis, also jeden zweiten Tag, macht 112 Euro.
Oder mögen Sie Eis am Stiel? In Bansin müssen Familien dafür 3,50 Euro plus 50 Cent fürs Topping investieren – also auch vier Euro.
Sogar bei den polnischen Nachbarn auf der Insel Wollin verlangen die Eishändler in Misdroy für ein „Lody“ schon 10 Zloty umgerechnet 2,50 Euro.
Auch ein Strandkorb kann zum Luxusobjekt werden. Vor vier Jahren gab’s die noch für acht Euro täglich. Derzeit kostet das Standardmöbel 12 Euro pro Tag und ein etwas größerer 15 Euro. Schon eine Woche Strandkorb schlägt also mindestens mit 84 Euro zu Buche.
Fahrradausleihschnäppchen sind mitunter an der östlichen Ostsee noch für acht Euro täglich möglich. Am Strand von Travemünde kostet ein Trekkingrad 12 Euro, also 84 Euro die Woche. Für E-Bikes sind 23 Euro pro Tag fällig, und die sind ratsam, wer durch die hügelige Landschaft nach Boltenhagen und zurück radeln möchte.
Obendrein kostet auch die Reise zum Ostseeurlaub je nach Entfernung einiges. Hinzu kommen also im Schnitt gut 200 Euro Spritkosten für An- und Abreise und vielerorts sind auch noch Parkgebühren fällig.
Summa summarum berappt diesen Sommer eine vierköpfige Familie an der Ostsee für zwei Wochen ohne großen Luxus in der Mittelklasse gut 3.500 Euro plus diverse Extras.
Retten kann die Familienkasse eigentlich nur ein Zeltplatzurlaub an der Ostsee. Doch selbst diese Plätze sind in der Hauptsaison Juli/August rar gesät. Auch für einen Zeltplatz am schönen Strand von Prerow auf dem Darß muss eine Familie mit zwei schulpflichtigen Kindern bei zwei Wochen rund 800 Euro einkalkulieren. Im Camper sind es gut 1.000 Euro. Hinzu kommen extra Leistungen, Anreise, Essen+Trinken und Kurtaxe (2,50/1,25 €). 2.000 Euro gehen da auch in zwei Wochen schnell weg.
Dennoch bleibt für viele der Ostseeurlaub ein Erlebnis, auch wenn es teuer wird. Hier hat die Natur ein herrliches Stück Heimat gestaltet. Brandenburgs Dichterfürst Theodor Fontane weilte am 24. August 1863 in Heringsdorf auf Usedom. Er notierte schon damals: „Der Blick durch die Bäume hindurch auf das graue Meer poetisch und für Herz und Sinne unendlich wohltuend.“ Fontane möge es uns verzeihen, die Ostsee ist eigentlich blaugrau, aber auch schön grün. Die wichtigste Urlauberfrage an der Küste lautet jedoch alljährlich – wird’s dieses Mal ein heißer Sommer?