Tichys Einblick
Thilo Sarrazin

Auf zum letzten Gefecht

SPD-Rebell Thilo Sarrazin will weiter an der Seite seiner Partei schreiten. Er stellt sich heute der Berufung gegen seinen beschlossenen Rausschmiss im dritten Verfahren gegen ihn.

imago Images/Gerhard Leber

Sie können es nicht lassen, denn sie wollen ihn loswerden. Drei Verfahren haben sie angestrengt. Erst Freispruch, dann Vergleich und zum Schluss der Rauswurf.

Begleitet wird der mittlerweile für die SPD hochnotpeinliche Prozess mit der üblichen Ration von Parteijournalismus. „Die Verhandlung ist parteiöffentlich. Als Zuhörer werden nur SPD-Mitglieder (Mitgliedsbuch) zugelassen. Dies gilt auch für Journalisten,“ teilt Sarrazins Rechtswalt Andreas Köhler die SPD-Bedingungen für die Berichterstattung in einer Presseerklärung nüchtern mit. Die SPD hat nichts dazugelernt, was Pressefreiheit angeht. Getreu ihrem Motto: Wer anderen die freie Meinung verbietet, kann sich auch gleich selbst die eigenen Claqueure bestellen. Oder: SPD-Journalismus first!

Am Freitagabend nun um 18:00 Uhr im Erika-Heß-Saal der Berliner SPD-Zentrale in der Müllerstraße, geht Sarrazin in seine Berufung. Er zieht ins letzte Gefecht. Es ist seine Abwehrschlacht gegen den dritten Versuch seiner SPD, mit einem Parteiordnungsverfahren den ungeliebten Genossen aus dieser Partei zu entfernen. Das erste Verfahren gegen Sarrazin endete im März 2010 mit einem „Freispruch“ für den Querdenker. Ein zweites Verfahren wurde im April 2011 mit einem Vergleich beendet, nachdem sich Sarrazin in einer persönlichen Erklärung zu den Grundsätzen der Sozialdemokratie bekennen musste. Er sei im November 1973 Mitglied geworden, weil er eine realistische Außenpolitik, eine moderne Wirtschafts- und Finanzpolitik und einen starken Sozialstaat gewollt habe. „Das will ich auch heute noch“, versicherte Sarrazin.

Auf Friedensangebote legt die „Friedenskraft“ SPD keinen Wert

Seine Friedensangebote prallten an der innerparteilichen Mauer ab – ausgerechnet in Berlin, ausgerechnet bei einer Partei, die sich im Grundsatzprogramm als „Friedenskraft“ bezeichnet, ausgerechnet bei der SPD, die einmal „mehr Demokratie wagen“ wollte. So umriss jedenfalls Bundeskanzler Willy Brandt seine Politik. Aber nicht seine Berliner Genossen: Die SPD darf den wegen seiner (vermeintlich) islamkritischen Thesen umstrittenen früheren Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin aus der Partei ausschließen, urteilte die Schiedskommission Charlottenburg-Wilmersdorf am 11. Juli 2019. Genosse Sarrazin aus dem SPD-Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf muss eben weg.

„Ich begrüße diese Entscheidung ausdrücklich“, freute sich SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil vor einem halben Jahr. „Wir sehen uns in unserer klaren Haltung bestätigt: Sarrazin hat mit seinen Äußerungen gegen die Grundsätze der Partei verstoßen und ihr Schaden zugefügt. Rassistische Gedanken haben in der SPD keinen Platz.“ Stigmatisieren und Ausgrenzen sind scheinbar die letzten SPD-Mittel für den Machterhalt. Dabei befindet sich Klingbeils schwer angeschlagene Truppe auf dem Weg in den Untergang.

„Die SPD hat heute eine falsche Entscheidung in erster Instanz getroffen,“ bedauerte Sarrazin nach der Entscheidung des dritten Schiedsgerichtsverfahren. „Es ist schade, dass sie nicht die Kraft fand, eine andere Entscheidung im Interesse der Meinungsfreiheit und der innerparteilichen Demokratie zu treffen.“ Mehr noch: „Die heutige Entscheidung wird den Niedergang der SPD nicht aufhalten.“ Er habe nie für möglich gehalten, „dass man wegen seiner Meinung verfolgt und ausgeschlossen wird“.

Eine schwindsüchtige SPD schlägt um sich

Ein Satz, den eine 150-jährige Partei geführt von August Bebel, Kurt Schumacher oder Willy Brandt und ja auch von Gerhard Schröder ins Mark treffen müsste. Doch dem ist nicht so, weil es immer noch tiefer hinab gehen kann. Dabei dümpelt die traditionsreiche SPD ohnehin nur noch als 15-Prozent-Restposten im politischen Wahlspektrum herum. Nichtsdestotrotz kürte diese schwindsüchtige SPD erst vor Weihnachten zwei nichtssagende Provinzpolitiker wie Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken als Parteivorsitzende. Irgendeine Frau aus Baden-Württemberg, die es irgendwie 2013 in den Bundestag geschafft hat, und ein 67-jähriger, abgehalfterter und pensionierter Ex-Landesminister. Es war die Wahl des letzten Aufgebots. Beide sind stramm links auf die intellektuelle Pseudo-Elite ausgerichtet. Genau das, was eine Arbeiterpartei nicht braucht. Sie könnte im Gegensatz zu ihren belanglosen Vorsitzenden einen kantigen Sozialdemokraten wie Sarrazin gut gebrauchen. Aber die SPD-Spitze will ihn rausschmeißen.

Freiheit ist nicht immer Freiheit der Andersdenkenden

Sarrazin war von 2002 bis 2009 Finanzsenator in der Hauptstadt. Heute schreibt er als Autor Bestseller-Bücher. Vorwand des dritten Versuchs, den eigenwilligen Genossen aus der SPD zu werfen, war Sarrazins Buch „Feindliche Übernahme – wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“. Vor allem bei SPD-Funktionären ist er wegen angeblich migrationsfeindlicher Äußerungen in seinen Büchern höchst umstritten. Der 74-Jährige Islam-Kritiker hat jedoch den Vorwurf des Rassismus stets zurückgewiesen.

Rosa Luxemburgs Mahnung „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“ gilt nicht mehr. Dabei trifft Sarrazin das Gefühl von Millionen Lesern. Schon bei seinem ersten Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ gingen 2010/12 über 1,5 Millionen Exemplare über den Ladentisch. Seit der Veröffentlichung im August 2018 hat Sarrazin sein aktuelles Buch über 400.000 Mal verkauft – am Ende weit mehr als die SPD heute noch Mitglieder hat.


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