Sachsens Wähler können mit ihren Stimmen ihren Willen nach einer konservativen Regierung bei der Landtagswahl mit übergroßer Mehrheit ausdrücken, wie sie wollen, Regierungschef Michael Kretschmer lässt das kalt. Der CDU-Chef hält brav die vom Bund gewünschte Brandmauer gegen die AfD weiter aufrecht. Daran ändert auch ein spontanes Gespräch am vergangenen Dienstag mit dem AfD-Spitzenkandidaten Jörg Urban von der 30-Prozent-Partei im Dresdner Landtag nichts, obwohl landespolitische Themen eine Rolle spielten. „Der Ministerpräsident spricht grundsätzlich mit allen Abgeordneten und Fraktionsvorsitzenden, die dies wünschen,“ entschuldigte Regierungssprecher Ralph Schreiber geradezu das Treffen.
Dabei war das Gespräch nur eine Beruhigungspille an die eigenen höchst frustrierten CDU-Reihen, wir haben ja mal mit der AfD gesprochen. Denn klar bleibt – mehr wagt Brandmauer-Kretschmer nicht.
Schließlich hatte sich Sachsens noch amtierender Regierungschef gehörig verzockt, der politische Klub vom Bündnis Sahra Wagenknecht mit wenigen handverlesenen Mitgliedern wollte bei der Weiter-so-Politik im Ukrainekrieg nicht mitmachen, lehnte Koalitionsgespräche vergangene Woche ab. Obwohl Kretschmer bereit war, die letzten konservativen Werte der Union zu verraten, in dem er zu einem Bündnis mit der früheren Sprecherin der Kommunistischen Plattform der SED-Nachfolger alias PDS alias Linke alias BSW bereit war.
Jetzt will der CDU-Chef sein Regierungsamt noch mit einer SPD-Minderheitsregierung samt ihrer umstrittenen Gesundheitsministerin Petra Köpping retten. Nur zur Erinnerung: Die SPD kam mit 7,3 Prozent gerade noch über die Fünf-Prozent-Hürde und fuhr ihr schlechtestes Ergebnis seit der deutschen Einheit in Sachsen ein. Statt den Mut zu einer alleinigen Minderheitsregierung nur mit CDU-Ministern zu zeigen, sucht Kretschmer feige Schutz hinter SPD-Verlierern.
Aber beide Parteien müssten in einer Minderheitsregierung weitere Unterstützer für ihre Vorhaben gewinnen. Denn sie kommen gemeinsam nur auf 51 Sitze im Landtag, für eine Mehrheit sind aber 61 Sitze notwendig. CDU-Fraktionschef Christian Hartmann formulierte, diese Stimmen müssten erarbeitet werden. Es gehe nicht ohne Kompromisse. Ausgeschlossen hat er wie sein Chef, dass die CDU mit der AfD Absprachen trifft.
Achtung CDU-Wähler, das bedeutet, euer Michael Kretschmer sammelt jetzt mit linksgrünen Versprechen die Stimmen von Linken, Grünen und sicher auch BSW ein, um sein Amt als Ministerpräsident zu behalten. Kretschmer könnte so zwar Regierungschef bleiben, aber mit einem noch linkeren Bündnis als zuvor. Denn dann bestimmen statt zwei, gleich vier linke Parteien die CDU-Regierungspolitik mit, weil Kretschmer auf sichere 30,6 Prozent, der rechts-konservativen AfD im Parlament wegen der unsinnigen Brandmauer verzichtet.
Kurz, wer CDU in Sachsen gewählt hat, wird jetzt direkt und indirekt von SPD, Grünen, Linke und BSW mitregiert. Haben Sie das gewollt, werte CDU-Wähler vor allem aus der Generation 70+?
Die Chancen stehen für Kretschmers schwarz-rote Neuauflage in Minderheitsform gar nicht mal so schlecht, glauben seine Getreuen. Schließlich hätten fast alle Parlamentarier in Sachsens Landtag, außer die der AfD, Angst vor Neuwahlen im kommenden Jahr, sollte bis Februar kein neuer Ministerpräsident gewählt werden. Drohender Arbeitsplatz- und Einkommensverlust macht dann halt gefügig.
Kretschmer hatte ja schon vor den Sondierungsgesprächen mit SPD und BSW in der Bild-Zeitung gedroht: „Stabile Koalition oder Neuwahl!“ Gleichzeitig lehnte er vor zwei Monaten noch eine Minderheitsregierung explizit ab. Für ihn gilt nun Adenauers Politikerspruch: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.“
Denn mit der geforderten stabilen Koalition wird’s nichts. Vor Neuwahlen zittern sie vor allem bei Grünen und Linken, die sich knapp über die Fünf-Prozent-Hürde oder mit einem Direktmandat in den Landtag gerettet haben. Aber auch SPD und BSW wissen nicht, ob sie ihre Ergebnisse nach dem Gesprächstheater noch halten können. All dies sind mögliche linke Stimmen für einen CDU-Minderheitsministerpräsidenten – immerhin ein Potential von 38 Stimmen (siehe Grafik). Kretschmer gibt dann eben den Bodo Ramelow (Linke) in Sachsen.
Wie soll das gehen? In Sachsen wollen CDU und SPD in dieser Woche über die Bildung einer Minderheitsregierung sprechen. Priorität habe die Stabilität, erklärte Generalsekretär Tom Unger nach der Sitzung. Die CDU sei gewählt worden, um Sachsen zu dienen.
Solch lachhafte Aussagen liefert Kretschmers Generalsekretär dem Dresdner Kabarettist Uwe Steimle quasi frei Haus.
Aber es kommt noch besser. Auch Wahlverlierer SPD sieht sich in der Pflicht. Man habe das Gesprächsangebot angenommen, so die Parteivorsitzenden Henning Homann und Kathrin Michel. „Das gebietet die Verantwortung für unser Land und seine Menschen.“ Was für ein Brüller.
Ob Sachsens MP Michael Kretschmer heißt, ist nicht gesichert
Doch Kretschmer stehe wegen seiner Politik der Beliebigkeit, die nur seinem Machterhalt diene, in den eigenen Reihen extrem unter Druck, berichten CDU-Kreise.
Der direkt in den Landtag gewählte Spitzenkandidat der Freien Wähler Matthias Berger kommentiert im Gespräch mit Tichys Einblick die Lage so: „Um Wahlen zu vermeiden, wird es wohl einen neuen Ministerpräsidenten geben. Aber, ob der dann Michael Kretschmer heißt, ist nach allem, was man aus dem Landtag hört, höchst ungewiss.“
Eine alleinige CDU-Minderheitsregierung wäre für Berger jedoch „eine echte Chance“, weil dann endlich wieder Mehrheiten im Parlament durch überzeugende Ideen gesucht werden müssten. Der Politik könne das nur guttun, denn die politische Überheblichkeit müsse angesichts der Krise unseres Landes endlich aufhören.
61 Stimmen reichen im ersten Wahlgang für die Wahl des sächsischen Ministerpräsidenten, im zweiten nur eine relative Mehrheit und im dritten Wahlgang voraussichtlich schon mehr Ja- als Nein-Stimmen. Doch, ob den dritten Urnengang ein Kandidat Kretschmer noch schafft, bleibt höchst ungewiss.
Ob es tatsächlich ein CDU-SPD-Bündnis geben wird, ist zwar derzeit offen. Innerhalb der CDU laufe noch die Diskussion, ob man eine Minderheitsregierung mit den Sozialdemokraten eingeht oder ob man es allein versucht, erklärt Fraktionschef Hartmann derweil. Aber den Weg einer Minderheitsregierung wolle die CDU jedenfalls gehen. Offene Fragen mit der SPD gebe es insbesondere bei den Themen Asyl/Migration und Finanzpolitik. Wen wunderts, wenn man mit Sozis regieren will?
Am Donnerstag kommen CDU-Landesvorstand und Fraktion wieder zusammen, um über die Ergebnisse zu beraten.
Das „Weiter so“ mit der Sieben-Prozent-SPD fest im Blick.