Tichys Einblick
Oberbürgermeisterwahl in Sachsen

Die AfD stellt nun den Oberbürgermeister in Pirna – na und?

Nach einem Landrat im thüringischen Sonneberg haben nun die Sachsen einen AfD-Bewerber in ein kommunales Spitzenamt gewählt. Zuvor erkoren die Wähler in Hessen bei der Landtagswahl die AfD zur zweitstärksten Kraft. Solange die Ampel Deutschland weiter herunterwirtschaftet, wird sich die politische Klasse an solche Wahlsiege gewöhnen müssen.

Erfurt, Thüringen, 28. Oktober 2023

IMAGO / Jacob Schröter

Ojemine, es ist schon wieder passiert. Nach der Wahl des ersten Landrates im thüringischen Sonneberg mit Robert Sesselmann stellt die Alternative für Deutschland im sächsischen Pirna nun auch noch mit Tim Lochner den ersten Oberbürgermeister. Doch das ist kein Ost-Phänomen mehr. Zwischendurch machten die Wähler in Hessen die AfD mit 18,4 Prozent zur zweitstärksten Partei mit deutlichem Abstand vor SPD, Grünen und FDP.

Der 50-jährige Rechtsanwalt Sesselmann (AfD) gewann seine Stichwahl zum Landrat in Sonneberg am 11. Juni mit 46,7 Prozent. Tischlermeister Lochner (parteilos) besiegte am Sonntag im zweiten Wahlgang seine zwei Gegenkandidaten von CDU und Freien Wählern in Pirna mit 38,5 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag immerhin bei fast 54 Prozent. An der Wahl von Halles Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados (SPD) beteiligten sich in Sachsen-Anhalt am 26. November 2006 nur 27,45 Prozent von 200.000 Wahlberechtigten.

Der 53-jährige Tim Lochner ist somit der erste Oberbürgermeister, der für die AfD eine größere Stadt regiert. Die jüngst siegreichen Kandidaten werden nicht die letzten sein, wenn sich alle Bewerber einem offenen Wettbewerb ohne Absprachen und Einheitsfronten stellen.

Das politische und mediale Geschrei ist natürlich wieder groß. Denn wenn staatstragende Medien über die Alternative für Deutschland, ihre Kandidaten und Wahlergebnisse berichten, da hängen sie sofort das Stigma „gesichert rechtsextremistisch eingestuft“ an ihre Texte an. So auch am Wahlabend beim Sieg des AfD-Kandidaten fürs Oberbürgermeisteramt in Pirna bei Tagesschau, MDR aktuell, Wikipedia usw.

Doch was soll’s? Es wirkt kaum mehr. Schon gar nicht beim ersten Oberbürgermeister der AfD in Pirna, einer Stadt mit 40.000 Einwohnern südöstlich der sächsischen Landeshauptstadt Dresden.

Schließlich scheint Handwerker Tim Lochner ein bodenständiger Typ. Gleich nach der Wahl versprach der Tischlermeister: Er wolle als künftiges Stadtoberhaupt den Haushalt konsolidieren und Schuldensummen abbauen. 242 Mitarbeiterstellen in der Stadtverwaltung seien genug. „Eine Art Einstellungsstopp kann ich mir vorstellen.“ Zudem möchte er sich genau anschauen, wie Bürgerämter und Ordnungsamt für die Einwohner erreichbar seien. Das ist schon mal ein praktischer Anfang.

Damit nicht genug: Pirnas OB Lochner taugt halt nicht fürs politische Klischee des „gesichert rechtsextremen“. Tischlermeister und Restaurator Tim Lochner saß nämlich bis 2016 für die CDU im Stadtrat von Pirna. Zu einer Zeit also, wo die Geburtshelferin der AfD, Dr. Angela Dorothea Merkel, noch als Vorsitzende die CDU beherrschte. Wir erinnern hier nur kurz an die Feststellung von FDP-Politiker Volker Wissing: „Die AfD ist das Kind von Angela Merkel.“

Lochner verließ die CDU, weil er den Glauben an ihre Politik auf kommunaler Ebene verloren habe. Mit Blick auf die Bundespolitik sei dies bereits viel früher geschehen. Er kritisierte schon damals zu Recht die grenzenlose Flüchtlingspolitik seiner Kanzlerin.

Politische und mediale Empörer und sogar der Verfassungsschutz müssten sich jetzt also fragen, da ja sehr viele CDU-Mitglieder zur AfD abgewandert sind, hat Dr. Merkel etwa einer in Teilen „rechtsextremistischen“ Partei vorgestanden? Für jeden nüchtern und demokratisch Denkenden ist das natürlich quatsch. Aber für professionelle Stigmatisierer hat jeder, der sich in die Reihen der AfD begibt, sein Leben praktisch verwirkt, egal ob er ein parteiloser Tischlermeister, ein früheres CDU-, CSU-, FDP- oder gar SPD-Mitglied war. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Doch Bangemachen gilt bei immer mehr Wählern nicht mehr. Im Osten lachen sie darüber mit dem Witz hinweg: „Alles Nazi außer Mutti!“ Selbst im moralisch immer so hochstehenden Westen fallen die Brandmauern bei den Bürgern, obwohl geschichtsvergessene Politiker wie Alt-Bundespräsident Gauck oder Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bei Wahlen im Grunde eine Neuauflage der Nationalen Front aus Zeiten der sozialistischen DDR einfordern, wenn es gegen den vermeintlich „gemeinsamen“ politischen Gegner AfD geht.

Doch damit haben sie eigentlich dazu aufgerufen, nun erst recht Protest oder eine echte Alternative zu wählen, gegen eine abgehobene und elitäre politische Klasse. Die Alternative für Deutschland kommt insofern vielen recht, trotz ihrer Rechtsausleger, weil sie die Folgen der grünen Energie- und Wirtschaftspolitik, Ausländerkriminalität oder die der grenzenlosen Asyleinwanderung thematisiert. 85 Prozent potenzieller AfD-Wähler ist es laut Infratest inzwischen in Bayern egal, ob die AfD in Teilen als rechtsextremistisch gelten soll, weil sie eben die richtigen Themen anspreche.

Politische Eliten sind jetzt nach Pirna wieder äußerst besorgt, weil das Wahlvolk nicht mehr so brav wählt, wie sie wollen, und der grünen Ideologie von Klima, Energie und Krieg immer weniger folgt. „Das Ergebnis beunruhigt uns im Deutschen Städtetag aber sehr“, erklärt dessen Präsident Markus Lewe. Die Wahl in Pirna zeige, dass vielerorts ein Riss durch die Gesellschaft gehe. „Wir nehmen die Menschen in unseren Städten wahr, die krisenmüde sind und manchen politischen Diskussionen nicht mehr folgen wollen oder können.“ Soso.

Wer ist für die Spaltung des Landes wirklich verantwortlich?

Wer und welche Politik ist denn für die Spaltung der Gesellschaft verantwortlich Herr Lewe? Wer regiert denn über die wahren Interessen der Bürger hinweg?

Die AfD hat jedenfalls nicht Europas Grenzen unkontrolliert geöffnet, deutsche Kernkraftwerke oder Ölleitungen aus Russland abgeschaltet, bürgerfeindliche Heizungsgesetze durch den Bundestag gepeitscht oder verfassungswidrige Haushalte aufgestellt.

Da Brandmauern bröckeln und Einheitsfronten zerbröseln, machen sich die Verlierer in Sachsen nun gegenseitig Vorwürfe. Der unterlegene Kandidat der Freien Wähler in Pirna, Ralf Thiele, verbreitet nach seiner verlorenen Wahl deswegen noch Schwarzmalerei. Unter einem AfD-Oberbürgermeister würde das Image von Pirna leiden. Möglicherweise könnten Investoren abspringen oder junge Leute die Stadt meiden. Ojemine.

Aber das war noch nicht alles. Verlierer Thiele schiebt gleich noch Drohungen der Freien Wähler hinterher: „Wir werden alles daransetzen müssen, dass wir die AfD Lügen strafen, dass ein AfD-Oberbürgermeister nicht schalten und walten kann, wie er gerne will.“ Ja, das wird die politische Klasse freuen.

Gleichzeitig greift der Landesvorsitzende der Freien Wähler Thomas Weidinger noch die CDU an, weil sie sich nicht hinter den möglichen Einheitskandidaten Thiele gegen die AfD gestellt habe: „Stattdessen hat man mit dem nochmaligen Antritt der CDU-Kandidatin bewusst in Kauf genommen, für die AfD den Steigbügelhalter zu spielen.“ Außerdem: Die CDU war sich nicht zu schade, sich von SPD, Grünen und Linken unterstützen zu lassen, um zum Ziel zu kommen. Okay, da ist was dran.

Die unterlegene CDU-Kandidatin Kathrin Dollinger-Knuth wiederum gibt die Vorwürfe an die Freien Wähler zurück: „Leider haben sich die Freien Wähler entschlossen, allein weiterzumachen und damit den Weg für einen AfD-Erfolg geebnet.“

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. „Wir wollen zeigen, dass die AfD regieren kann und Tim Lochner hat gezeigt, dass es geht“, verkündet Sachsens AfD-Landeschef Jörg Urban. „Das ist eine Steilvorlage für unsere Partei für das nächste Jahr.“

Aber weder die Freien Wähler noch die CDU tun sich vor der wichtigen Landtagswahl in Sachsen am 1. September 2024 mit Angstpropaganda einen Gefallen. Im Gegenteil.

Wen hat es denn in den neunziger Jahren groß interessiert, als die Rechtsnachfolger des SED-Regimes unter dem Label PDS in Hoyerswerda schon vier Jahre nach der Deutschen Einheit wieder einen Oberbürgermeister in Sachsen an die Machthebel brachten? Am 26. Juni 1994 wählten die Bürger der einstigen sozialistischen Bergarbeiterstadt Hoyerswerda das frühere SED-Mitglied (seit 1969) Horst-Dieter Brähmig zum OB mit 51,6 Prozent. Brähmig regierte Hoyerswerda bis 2006, das in seiner Amtszeit von 60.000 auf 40.000 Einwohner schrumpfte.

Hoyerswerda bewies, dass die SED-Nachfolger, verantwortlich für Mauertote, politische Gefangene, Menschenhandel und Unterdrückung, wieder an vordersten Stellen regieren. Das war damals vielleicht nicht gut, aber auch kein Weltuntergang.

Derweil hat die einstige Mauerbaupartei viele Jahre auch noch die Bundeshauptstadt mitregiert oder jetzt mit ihrem Minderheitsministerpräsidenten Bodo Ramelow Thüringen. Doch das regt keinen Journalisten-Aktivisten oder Einheitspolitiker auf. Hauptsache links oder grün regiert. Aber wehe, die Bürger schreiten rechts aus.

Wahlen machen es jedoch noch möglich: Warum also sollen Kommunen nach demokratischen Entscheidungen der Bürger nicht von AfD-Bewerbern regiert werden oder ein Bundesland wie Sachsen? Die SED-Erben alias PDS alias Die Linke tun es inzwischen schon seit über dreißig Jahren wieder. Allerdings ist die Alternative für Deutschland nicht für Mauerbau, Mauertote und Unterdrückung verantwortlich. Aber auch da wird die Politik und deren Verfassungsorgane nach „gesichert rechtsextremistisch eingestuft“ wohl noch ein Dreh finden.

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