Tichys Einblick
Niedersachsen-Wahl

Lindners viertes Debakel in Folge

Die Ampelregierung im Bund wird der FDP zum totalen Verhängnis. Der Parteichef und Bundesfinanzminister schickt die Freidemokraten mit seiner Schuldenpolitik erneut in ein tiefes Tal. Bürgerliche Wähler laufen in der größten Wirtschaftskrise aller Zeiten scharenweise zur Alternative für Deutschland über.

IMAGO / Die Videomanufaktur

Anbiedern an den grünen Mainstream schadet der FDP nachhaltig und wirkungsvoll. Das bekommt FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner nach dem vierten Wahldesaster in Folge deutlich zu spüren. Nach 24 Jahren gehört die FDP nicht mehr dem Landtag in Hannover an.

Nicht einmal familiäre Nähe zu den Grünen kann die Freidemokraten vor Niederlagen schützen. Jetzt hat es am vergangenen Sonntag bei der wichtigen Landtagswahl in Niedersachsen selbst den Schwager von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erwischt. FDP-Spitzenkandidat Stefan Birkner, verheiratet mit der Schwester von Habecks Frau, fliegt mit seinen Liberalen aus dem Landtag von Hannover und darf für die nächsten fünf Jahre das frühere grüne Schicksal der Außerparlamentarischen Opposition (APO) genießen. Die FDP brach in Niedersachsen flächendeckend ein, es reichte nur noch für 4,7 Prozent.

Vierte FDP-Klatsche bei Landtagswahlen – diesmal in Niedersachsen

Fast alle Ursachen liegen in Berlin. Kein Kompass in der Ampel, grüne Unterwerfung, gefährliche soziale Wohltaten und Super-Rekordschulden sowie obendrein nur eine „One-Man-Show“ – so stürzt Christian Lindner mit seiner FDP ab. Die Ampelpolitik lässt die Liberalen gewaltig schrumpfen. Der Parteichef und Bundesfinanzminister musste am Wahlabend zugeben: „Es ist ein Rückschlag für die FDP.“ Ein gewaltiger Tiefschlag würde es besser treffen. Lindner fallen bei derartigen Fehlschlägen wie üblich nur Politikersprüche ein wie dieser: Jetzt wolle man die Rolle der FDP in der Ampelkoalition so profilieren, „dass die Wähler, die eine liberale Partei der Mitte unterstützen wollen, die FDP genau auch als diese Partei erkennen“. Also nach fast einem Jahr Regierungszeit mit SPD und Grünen!

Dabei hatte Lindners früherer NRW-Fraktionschef Gerhard Papke schon im Mai vor dem Absturz gewarnt, weil die FDP „in der Ampelregierung bisher ein Totalausfall“ sei. Heute sagt er: „Für die FDP geht es jetzt ums nackte Überleben. Die Grünen und Habeck veranstalten die schlechteste Wirtschafts- und Energiepolitik seit Gründung der Bundesrepublik, und ausgerechnet die FDP verhilft ihr noch zur Mehrheit. Das kann nicht gutgehen. Weder für unser Land, noch für die FDP.“

Nach dem Bundestagsrauswurf 2013 durchschreitet die FDP in diesem Jahr erneut ein tiefes Tal mit einer Reihe von verheerenden Wahlniederlagen wie das wiederholte Scheitern im Saarland mit 4,8 Prozent. Schlimm war vor allem der Regierungsverlust in den zwei Hochburgen Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein – zudem noch die Blamage in Lindners Heimatland NRW mit mickrigen 5,9 Prozent. Selbst im erfolgsverwöhnten Wolfgang-Kubicki-Land hat die CDU im hohen Norden die schwachen Freidemokraten (6,4 Prozent) kaltgestellt und handelte wie in NRW nur noch mit den Grünen eine Regierungskoalition aus. Die FDP wird nicht mehr gebraucht.

Die AfD feiert trotz Diffamierung einen großen Erfolg im Westen

Der klare Gewinner am Sonntag ist die demokratisch ins niedersächsische Parlament gewählte AfD. Schließlich hat ausgerechnet ein jahrelang zerstrittener Landesverband bei der Landtagswahl seine Mandate – jetzt 18 – verdoppelt. Die AfD fing tief enttäuschte bürgerliche Wähler auf, weil sie mit „klarer Kante“ und somit allein gegen die verfehlte Energiepolitik der Bundesregierung vorgeht. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, stellte in der ARD-Spitzenrunde klar: „Demokratie funktioniert.“ Die AfD war die einzige Partei gegen den Doppelausstieg aus Kohle- und Kernenergie. Deswegen habe sich die AfD verdoppelt.

Das Gehampel in der Ampel durch die FDP und der Weicheikurs von CDU-Chef Friedrich Merz hat bürgerliche Wähler scharenweise zur Alternative für Deutschland getrieben. 45.000 Wähler von der CDU, 40.000 FDP- und 30.000 SPD-Wähler gaben laut Infratest-Wählerwanderung der AfD ihre Stimme. Niedersachsens AfD-Spitzenkandidat Stefan Marzischewski-Drewes sieht trotz Diffamierungen seine Oppositionspartei wieder im Aufwind, und nicht nur im Osten: „Die AfD ist jetzt auch im Westen nachhaltig angekommen.“

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Fast schon verzweifelt kann CDU-Generalsekretär Mario Czaja als großer Wahlverlierer – die Union fährt das schlechteste Ergebnis seit 1955 ein – nur noch mit Stigmatisierungen gegen die AfD um sich schlagen: Die AfD habe keine Antworten außer „Hetze“. Wie primitiv: „Hetze“ und „hetzen“ waren früher oft gebrauchte Schlagwörter gegen Andersdenkende in beiden deutschen Diktaturen.

Die Aufregung der Etablierten ist groß: Union und FDP, aber auch die SPD, die keine Arbeiterpartei mehr ist, müssen sich im kommenden Jahr selber warm anziehen, wenn die Wirtschaftskrise eskaliert, und nicht nur den Bürgern solche überheblichen Ratschläge für horrende Strom- und Gasrechnungen geben.

Recht hilflos gab FDP-Chef Lindner am Wahlabend zu: Selbst „Unterstützer der FDP würden mit der Ampelkoalition fremdeln“. Die Liberalen erschienen ihnen hier wie „eine linke Partei“. Kein Wunder, denn die linksgrün dominierte Bundespolitik ist im Grunde ein Anschlag auf den deutschen Mittelstand. Lindners unbekannter FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai beklagte in der ARD-Runde: „Wir haben große Probleme mit dieser Koalition.“ Gemeint ist die Ampel. Wenn zwei Partner immer neue Ideen zum Geldausgeben entwickeln, und der andere Partner schauen müsse, wie das finanziert werden könne, werde eine Koalition nicht funktionieren.

Was für ein Brüller, Herr Sarai: Wer stellt den Bundesfinanzminister in der Ampel? Richtig – die FDP mit Christian Lindner, den Herrn der Schulden. Wer hat die FDP links ausgerichtet und passfähig für eine Regierung mit den Grünen gemacht? Richtig – Parteichef Lindner und seine linke Hand aus NRW, Ex-Parlamentsgeschäftsführer Marco Buschmann, der heutige Bundesjustizminister.
CSU-Generalsekretär Martin Huber analysierte den FDP-Zustand daher gnadenlos: Die Liberalen seien nicht „bürgerliches Korrektiv“ in der Ampel, „sondern Steigbügelhalter linker Politik“. Er weiß, wovon er spricht: Das hat ja die CSU unter CDU-Kanzlerin Angela Merkel nicht viel anders gemacht.

Mit FDP-Chef Lindner nach oben und gleich wieder nach unten

Lindner, der einst jüngste Parteichef der Liberalen, hat wie sein Vor-Vorgänger Guido Westerwelle, die FDP aus einem tiefen Tal nach oben geführt, um seine Partei durch politisches Versagen in der Regierung wieder um so tiefer abstürzen zu lassen. Westerwelle scheiterte an der Verschlagenheit von CDU-Kanzlerin Dr. Angela Dorothea Merkel und Lindner an der von vornherein verhängnisvollen Ampel im Bund mit SPD und Grünen, bei der die FDP fast alle ihre finanzpolitischen und freiheitlichen Grundsätze – siehe Verstaatlichungen – aufgeben muss. Mehr Staat statt Markt wird der FDP in einer linken Ampel-Regierung zum Verhängnis. Die heutige Staatspolitik, man kann sie durchaus grünen Sozialismus nennen, würde FDP-Urgestein Otto Graf Lambsdorff so richtig gruseln.

„Es fühlt sich an wie bei Guido Westerwelle vor seinem Sturz“, formuliert laut Berliner „Tagesspiegel“ ein FDP-Politiker schon im Sommer. „Lindner benimmt sich wie eine Gottheit, aber die Götterdämmerung hat bereits begonnen.“ Offene Kritik an Gottvater gibt es bislang noch keine, zu viele haben zu viel zu verlieren – vor allem ihre Pöstchen. Aber mit jeder Niederlage wächst die Angst ums eigene Mandat. Dann wird’s ungemütlich selbst für einen Gottvater.

Doch wie immer bei solchen verheerenden Wahlschlappen versuchen die Granden im Hans-Dietrich-Genscher-Haus zu Berlin, die Hauptschuld vor allem den Parteifreunden in den jeweiligen Ländern zuzuschieben. Meist ist es dann ein schwacher Kandidat und nur ein regionales Ergebnis. Routiniert streuen die Spin-Doktoren in der Bundesparteizentrale und Bundestagsfraktion hinter den Kulissen solche Mär, um das offensichtliche Versagen der Parteispitze und ihres Vorsitzenden zu kaschieren.

Nur so einfach ist nicht. Denn die niedersächsische FDP spielt neben Lindners NRW-Seilschaft in der Bundespolitik eine einflussreiche Rolle. So führt der frühere niedersächsische Fraktionschef Christian Dürr aus Delmenhorst seit 2021 die FDP-Bundestagsfraktion an. Ihm zur Seite steht als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der 33-jährige Konstantin Kuhle aus Wolfenbüttel, ein tonangebender Aktivist des linken Parteiflügels. Insofern fällt Lindner das Abwälzen auf das Versagen in der Provinz äußerst schwer, wie man inzwischen an seinen ersten Äußerungen sieht.

Obendrein konnte es schlechter für FDP-Chef Christian Lindner nicht laufen. Als Bundesminister steht er mit seiner Finanzpolitik als unerreichter Herr der Schulden da. 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr hier, 95 Milliarden Euro für drei Hilfspakete dort und noch einen „Doppel-Wumms“ von 200 Milliarden hinterher. Bald eine halbe Billion feuert die Ampel unter Verantwortung von Bundeskassenwart Lindner für eine verfehlte Bundespolitik auf Kosten von Bürgern und kommender Generationen hinaus. Sie lässt Geld drucken, bis die Walzen glühen und die Schuldenberge wachsen.

Der sonst so smarte Spitzenliberale ist durch die offensichtliche Aufgabe von Grundfesten freidemokratischer Haushaltspolitik für seine Partei bei Landtagswahlen kein Zugpferd mehr, sondern inzwischen ein großer Makel.

Die FDP gegen den Strom gibt’s auch bei den nächsten Wahlen nicht

Linderung ist nicht in Sicht: Schon nächstes Jahr, wenn die einstige Industrienation Deutschland durch eine Rezession gehen muss, finden erneut wichtige Landtagswahlen statt, wo die FDP wieder aus den Parlamenten fliegen könnte. Zum Beispiel im bevölkerungsreichen Bayern im Herbst 2023 oder gar in ihrer Hochburg Hessen ebenfalls im Herbst. Schon im Mai bei der Landtagswahl in Bremen wird die Fünf-Prozent-Hürde der FDP himmelhoch erscheinen. Schon heute ist sie bereits in vier Bundesländern nicht mehr vertreten.

Durch ihr Ampelbündnis im Bund Seit an Seit mit SPD und Grünen sind Lindners Liberale tief im linksgrünen Mainstream untergetaucht. Widerstand ist scheinbar zwecklos. Der einst blau-gelbe Fisch auf früheren FDP-Wahlplakaten schwimmt nicht mehr gegen die Hauptströmung roter, grüner und schwarzer Fische an, sondern treibt schön mit. Den Slogan „Einer muss es tun!“ hatte dazu einst der kreative wie kantige Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Beerfeltz auf das FDP-Plakat gepackt. Er würde heute sicher über das Mitschwimmen seiner Liberalen im rot-grünen Strom verzweifeln.

Aber egal, wie schlecht die Wahlergebnisse für die FDP ausfallen. Eins funktioniert immer, die Postenversorgung für Lindners NRW-Sprengel. Deftige Wahlniederlagen waren bei den Freidemokraten seit der Bundestagswahl kein Grund für Rücktritte. Auch gescheiterten Karrieren wird zum Aufstieg im Bund verholfen, wenn man dem Netz der fast alles bestimmenden FDP-Seilschaft aus Nordrhein-Westfalen angehört. Denn auf seinen Unterstützerkreis aus der Heimat ist bislang Verlass. Der FDP-Chef will sich daher wohl mit Augen zu und durch bis zur nächsten Bundestagswahl im Herbst 2025 durchwursteln. Wie immer setzen solche Parteigranden dann auf das große Vergessen beim Wähler, der ihnen später wohl wieder mit ein paar Prozenten das politische Überleben im Bundestag sichert. Ob das angesichts der schlimmsten Krise aller Zeiten für Deutschland wieder gelingt, weiß ganz allein der Wind.

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