Tichys Einblick
Rudi Völler

Deutsche Spitzenmannschaften fliegen in Vorrunden raus: „Das hatten wir so noch nie!“

DFB-Sportdirektor Rudi Völler zeigt sich beim Sächsischen Fußballverband an der Basis und räumt dabei Probleme im deutschen Spitzenfußball ein. Tichys Einblick sprach mit dem Hoffnungsträger über die Politisierung des Sports.

Ehrengast Rudi Völler (Mitte) zeichnet an der sächsischen Basis mit FIFA-Schiedsrichter Daniel Siebert (r.) und SFV-Präsident Hermann Winkler (u.l.) Amateursportler aus

© Olaf Opitz

Es ist ein schöner sonniger Freitagabend in Abtnaundorf im Nordosten von Leipzig. Auf einem gepflegten grünen Rasenplatz lädt der Sächsische Fußballverband (SFV) zu einem Sommerempfang. Geladen sind Gäste aus Vereinen des Ballsports, viele Amateure und ehrenamtliche Funktionäre. Als besondere Ehrengäste weist die Einladung den neuen Sportdirektor des Deutschen Fußballbundes (DFB) Rudi Völler, FIFA-Schiedsrichter Daniel Siebert und Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) aus. Gastgeber und SFV-Präsident Hermann Winkler stellt gleich zu Beginn seinen Ehrengast Rudi Völler süffisant als „Stimme der Basis“ bei den „DFB-Oberen“ vor.

Die Fußballlegende – Nationalspieler von 1982 bis 1994 und Weltmeister 1990 – tritt in der Tat als Mann der Basis auf. Zum Sommerempfang sportlich gekleidet in schwarzen Leinen-Jeans mit tailliertem dunkelblauem Hemd über der Hose und der Lesebrille in der Hand, kommt der Sportmanager bescheiden daher. Geduldig lässt er sich fotografieren, schreibt Autogramme und erträgt gefühlt tausend Mal gestellte Fragen der Moderatorin nach dem Ursprung seines Spitznamens „Tante Käthe“ und dem Kulthit „Es gibt nur ein‘ Rudi Völler“.

An der Basis: Erinnerungsbilder mit Rudi Völler.

Auf der Bühne versprach er nach dem Debakel der Nationalmannschaften „volksnäher“ zu werden. Denn auf dem Platz „richtig gut spielen, das haben wir leider nicht geschafft“. Zumindest Völler bemüht sich um die Basis, was man von der DFB-Spitze mit ihren erneuten politischen Botschaften zur Frauen-Weltmeisterschaft nicht behaupten kann. Denn die Fans wollen ehrgeizige Fußballspieler auf dem Platz sehen und nicht politische Botschafter, die am Ende immer verlieren.

Sachsens Innenmister Schuster, ein Import aus dem Westen, erklärt den Gästen die gastgebende Sportschule „Egidius Braun“ werde für 6,7 Millionen Euro modernisiert. Leipzig soll bei der kommenden Europameisterschaft in Deutschland zwei Gruppenspiele und ein Achtelfinale in der Red-Bull-Arena austragen. Als Schuster dann Völler noch auffordert, „macht mehr für den Frauenfußball“, kann selbst der Sportdirektor nicht mehr lächeln. Die schon als Weltmeister von Medien und DFB gehandelten deutschen Nationalspielerinnen flogen wie die Männer blamabel in der Vorrunde raus.

Tichys Einblick fragt daher bei Rudi Völler nach: Die A-Nationalteams fliegen schon in den Vorrunden raus, hat der deutsche Fußball jemals eine solche Krise erlebt?

„Das ist natürlich extrem, dass in kurzer Zeit die drei Vorzeigemannschaften des DFBs in der Vorrunde ausgeschieden sind. Das hatten wir so noch nie“, räumt Völler ein. Zudem sei auch die U21 der Männer schon in der Vorrunde ausgeschieden. „Die letzten Spiele waren nicht gut durch die Art und Weise des Auftretens“, gibt Völler offen zu.

„Wir sind alle gefordert, wir haben immer noch gute Spieler.“ Es dauere natürlich eine Weile, dass man in der Ausbildung wieder bessere Mittelstürmer bekomme. Aber daran arbeite der DFB.
Für die A-Mannschaft der Männer könne er jedenfalls versprechen: „Wir werden es in den nächsten Spielen besser machen.“

Doch das wird schwer. Im September bestreitet die kriselnde Nationalmannschaft zur EM-Vorbereitung Testspiele gegen Japan und Frankreich. Im Oktober folgen Auswärtsspiele gegen Mexiko und die USA, die beide wie Frankreich im FIFA-Ranking vor Deutschland (nur Platz 15) stehen. Deswegen macht Völler zum Abschneiden der deutschen Rasenballspieler bei der Heim-EM 2024 nur vorsichtige Aussagen. „Zu sagen, wir werden die EM gewinnen, wäre vermessen“, meint der Sportdirektor. Frankreich sei für ihn der „absolute Favorit“. Er setzt auf eine Halbfinalteilnahme seiner Nationalelf.

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Die Hoffnung bei Rudi Völler stirbt zuletzt. Aber die Zeiten, als deutsche Ausnahmespieler wie er zu Olympique Marseille gingen und die Champions League gewannen, sind längst vorbei. Heute kaufen sich deutsche Spitzenvereine meist Talente von ausländischen Klubs ein und vernachlässigen ihre einheimischen Jungs in den eigenen Ausbildungszentren. So wie bei RB Leipzig, wo man jetzt wieder Spieler für Rekordsummen von Olympique Marseille oder RC Lens einkauft. Talente aus der eigenen Sportakademie erhalten keine Entwicklungschancen im Profiteam. Lieber gibt man sie an kleinere Klubs ab. Das Problem gibt es auch bei anderen Bundesligavereinen. Und das Signal an die einheimischen Rudis, Sepps, Uwes oder Müllers lautet: Ihr habt sowieso keine Chance in der ersten Mannschaft, wir kaufen lieber fremde Spieler ein.

Doch die Krise des deutschen Fußballs hat auch seine Ursachen in der Politisierung des Sports, wie die deutsche Regenbogenposse für die homo- und transsexuelle LGBT-Bewegung bei der WM in Katar beweist.

TE-Frage an Rudi Völler: Sie haben dafür plädiert, dass wieder Kapitänsbinden in Schwarz-Rot-Gold getragen werden. Die Frauen liefen bei der WM wieder mit politischen Botschaften am Arm auf. Warum nicht Schwarz-Rot-Gold?

Da kommt Völler etwas in Verlegenheit. „Weil sie es halt so gemacht haben.“ Hätten Sie es so gemacht? „Na gut, ich habe ja, als ich dann installiert wurde, schnell beschlossen, dass wir es jetzt ein bisschen anders machen.“ Das heiße ja nicht, dass man nicht für Menschenrechte und Diversität sei. „Aber irgendwann kommt es zu einem Punkt, wo man wieder zur Normalität übergehen muss.“ Aber das ändere nichts dran, dass sich eine andere Mannschaft dann für andere Dinge entscheidet.

Im Grunde bedeutet die Antwort aber: die Funktionäre der Frauennationalmannschaft und die „Oberen“ in der DFB-Führung haben Rudi Völlers Empfehlung, wieder Schwarz-Rot-Gold als Kapitänsbinde am Arm zu tragen, in den Wind geschlagen. Das Ergebnis: Ausscheiden in der Vorrunde oder wie Fans kritisieren – weltmeisterlich in politischen Botschaften, aber nicht auf’m Platz.

Deswegen noch mal die TE-Frage: Lenkt die Politisierung des deutschen Fußballs vom Spiel auf dem Rasen ab?

„Am Ende, wenn es dann losgeht, glaube ich nicht, dass es eine große Ablenkung ist,“ meint Völler.

Eine Ablenkung kann er also nicht ausschließen, denn Völler räumt bei dem WM-Debakel unterm Regenbogen ein: „Damals bei der A-Mannschaft in Katar hat man das Gefühl gehabt, es wurde wochenlang darüber diskutiert, was macht man jetzt eigentlich. Das war nicht gut.“ Die Frauenmannschaft habe jedoch von Anfang an gesagt, dass sie es so machen werden. „Da war, glaube ich, keiner, der ablenkt.“
Was soll er sonst sagen, wenn man nicht auf seinen Rat hört.

TE hakt daher noch einmal nach: Können Sie verstehen, dass immer mehr Fans vom politischen Zeichen setzen im Fußballsport genervt sind?

Völler versucht jetzt mit Humor abzulenken, indem er schmunzelnd betont: „Also das Wichtigste, was die Fans wollen, da bin ich mir relativ sicher, dass wir ab und zu mal ein Spiel gewinnen.“ Doch Völler gibt auch ehrlich zu: „Manche Dinge können einem auch ein bisschen auf den Keks gehen.“ Deswegen wolle man „mit der A-Mannschaft Volksnähe zeigen mit öffentlichen Trainingseinheiten und Autogrammen“. Aber um wieder Euphorie zu erzeugen, sei das Wichtigste, dass „wir wieder gute Leistungen bringen“.
Also Sport statt Politik? „Man kann ja beides machen, aber man kann die Menschen nur durch gute Leistungen überzeugen.“

Fiktive Nachricht an Rudi Völler: Es ist fünf vor zwölf im deutschen Spitzenfußball

Doch das eigentliche Problem liegt ja an der Verbandsspitze. Deswegen Nachfrage von Tichys Einblick: DFB-Chefs sind oft Politiker. Wäre es nicht besser den Verband zu entpolitisieren, und durch Sportler führen zu lassen?

Völler antwortet darauf nur diplomatisch: „Mit den Präsidenten, die ich im Laufe der Jahrzehnte kennengelernt habe, bin ich einigermaßen zurechtgekommen.“ Auch mit Bernd Neuendorf, der käme zwar auch aus der Politik, aber er sei sehr fußballaffin. „Wir arbeiten gut zusammen.“ Viele Dinge würden halt nach unten gezogen, wenn der sportliche Erfolg ausbleibt.

DFB-Chef Neuendorf war als Staatssekretär in NRW SPD-Berufspolitiker. Rudi Völler ist das nicht. TE fragt: Sie sind ein Spieler und Manager, der für den Sport steht. Brauchen wir jetzt mehr als nur einen Rudi Völler in der DFB-Führung?

Darauf mag er nicht eingehen. Für ihn sei wichtig „wieder sportlich zurückzukommen“. Doch dafür brauche es an der Spitze und an der Basis „gute Trainer“, die die Talente ausbilden.

Im Amateursport befinden sich jedoch immer mehr Vereine in finanziellen Nöten. Deutschlands schleichende Rezession reduziert die Zahl bereitwilliger Sponsoren, so dass sich die Nachwuchskrise an der Basis verschärft. Reichlich Fördergelder gibt es für Integrationsprojekte von Migranten, aber jährlich weniger für den heimischen Sport.

„Knapp zehn Prozent weniger Förderung im Jahr der Olympischen Spiele von Paris: Das ist eine Backpfeife für den Sport in Deutschland“, kritisiert jüngst die FAZ. Die Haushaltstitelgruppe 02 des Bundesinnenministeriums – Sport – wird im kommenden Jahr von aktuell 303,289 Millionen Euro auf 276,077 Millionen Euro sinken. Das ist ein Minus von gut 27 Millionen.

Diese Kürzung trifft nicht nur den Leistungssport, denn an den Trainingszentren hängt auch der Breitensport. Wie sollen so wieder Rudi Völlers entwickelt werden? Eine schlüssige Antwort könnte wohl nicht einmal der Hoffnungsträger geben. Denn die historische Krise des deutschen Lieblingssports Fußball ist offensichtlich nur ein Spiegelbild des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Niedergangs eines einst blühenden Landes.

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