Tichys Einblick
Kretschmer gegen Ukraine-Waffenlieferungen

Streit um Waffen für die Ukraine: CDU droht eine Spaltung nicht nur im Osten

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer mag keine Panzer in die Ukraine liefern. Seine Landesgruppe im Bundestag fällt ihm in den Rücken und spricht sich klar für den Kurs ihres Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz aus. Der offene CDU-Streit gefährdet die Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.

Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen, im Bundesrat, 8.4.2022

IMAGO / Bernd Elmenthaler

In Sachsens CDU ist der Teufel los. Ein von schlechten Umfragewerten und Regierungskrisen getriebener Ministerpräsident Michael Kretschmer gefährdet inzwischen bevorstehende Wahlen genauso wie die Oppositionspolitik von Bundestagsfraktionschef Friedrich Merz. Sachsens Regierungschef befürwortete einen offenen Brief mehrerer deutscher Prominenter und Künstler gegen Waffenlieferungen an die Ukraine auf der CDU-Präsidiumssitzung am Montag in Düsseldorf. Er wird daraufhin von mehreren Seiten heftig kritisiert.

Doch bei einer Regionalkonferenz der sächsischen CDU am Dienstagabend in Wilsdruff bei Dresden verteidigt Kretschmer sogar noch seine Haltung: „Wir sagen zu Recht, wir dürfen nicht Kriegspartei werden.“ Nichts sei alternativlos und nichts sei folgenlos. Das Ziel müsse sein, einen Waffenstillstand zu erzwingen. Dafür seien die Sanktionen und die Unterstützungsleistungen da. Klar sei aber auch: Es gebe keinen einzigen Grund, diesen Krieg zu rechtfertigen. Russland sei der Aggressor.

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Selbst der Nachsatz reicht seinen CDU-Parteifreunden nicht. Anders als ihr schwankender Ministerpräsident haben sich Sachsens Bundestagsabgeordnete stramm wie die Grünen für Lieferungen schwerer Waffen ins ukrainische Kriegsgebiet ausgesprochen. So sind die sächsischen CDU-Bundestagabgeordneten im Gegensatz zu Ministerpräsident Kretschmer klar für Waffenlieferungen an die Ukraine. Landesgruppenchef Carsten Körber sagte MDR Aktuell, die Bundestagsabgeordneten hätten sich bei einer Beratung eindeutig positioniert. Man wolle das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine unterstützen, auch mit der Lieferung schwerer Waffen. Dass Kretschmer eine starke Gegenposition einnehme, sei sein gutes Recht. Aber man müsse klar sagen, dass er eine Minderheiten-Meinung vertrete.

Auf diese Weise degradiert Körber inzwischen seinen Regierungschef zu einer politischen Randfigur. Ausgerechnet Körber, den Kretschmer nach der Bundestagswahl für den höchst umstrittenen Ost-Beauftragten und Merkel-Diener Marco Wanderwitz in das Amt des sächsischen Landesgruppenchefs im Bundestag gehievt hatte. Der Begriff Parteifreund taugt in der CDU nicht mehr viel. Hier kämpft derzeit jeder gegen jeden. Offensichtlich schreitet die Erosion von Sachsens einst mächtiger Union weiter voran.

Selbst Thüringens CDU folgt dem Waffenlieferkurs von Bundestagsfraktionschef Friedrich Merz. Landesvorsitzender Christian Hirte erklärt, er habe zwar Verständnis, dass sich Kretschmer Sorgen mache, „aber der ganz große Teil, nicht nur der CDU, sondern auch bei SPD, Grünen und FDP“, sei in der letzten Woche im Bundestag zu einer anderen Einschätzung gekommen. Rumms.

CDU-Streit gefährdet Oppositionskurs von Fraktionschef Merz

Oppositionsführer Merz hat sich früh dafür ausgesprochen, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern, um damit auch die von Kanzler Olaf Scholz geführte Ampel von SPD, FDP und Grünen unter Druck zu setzen. Kretschmer hingegen hatte erneut große Bedenken gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine geäußert. Schließlich verfügt Sachsens Regierungschef über gute Moskau-Kontakte und pflegt seit Jahren gute Wirtschaftsbeziehungen mit dem Kreml. Noch im April 2021 war Kretschmer nach Russland gereist, um Präsident Wladimir Putin seine Aufwartung zu machen. Am Ende war er jedoch von Putin gar nicht vorgelassen worden und konnte ihn von Moskau aus nur anrufen.

Allerdings gibt es an der CDU-Mitgliedsbasis von Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt höchst unterschiedliche Meinungen zur Lieferung schwerer Waffen in Kriegsgebiete wie die Ukraine. Es brodelt geradezu bei dieser Frage. So beschreibt der Kreisvorsitzende von Schmalkalden-Meiningen, Ralf Liebaug, laut MDR Aktuell die Lage in seiner Thüringer CDU so: Er sei sich sehr sicher, dass niemand leichtfertig eine Entscheidung für Waffenlieferungen trifft. Ob damit allerdings das gewünschte Ziel eines schnellen Kriegsendes erreicht wird, sei fraglich. Kreisvorsitzende Bianca Wunderwald aus Meißen meint, das Thema sei so umstritten, dass sie nicht für den ganzen Verband sprechen könne. Woanders ist von hochexplosiver Stimmung an der CDU-Basis die Rede. Öffentlich äußern kann oder möchte sich keiner der angefragten Kreisverbände.

Rücktrittsforderungen gegen Regierungschef Kretschmer

Anderen reicht es jedoch, sie wollen die ungeschickte Regierungszeit des sächsischen Ministerpräsidenten lieber gleich beenden. So fordern die Studenten des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) Dresden bereits am Dienstagabend auf Instagram Kretschmers Rücktritt: Mit seiner Haltung stelle sich Sachsen Regierungschef hinter eine „regelrecht russlandfreundliche Appeasementpolitik, welche völlig an der Realität der Bedrohung durch Russland vorbei geht“.

Dresdens Ring Christlich-Demokratischer Studenten fragt nach: „Wie stellt sich denn der Ministerpräsident vor, wie die Ukraine die russische Armee stoppen soll, wenn nicht mit Waffen?“ Mehr noch: „Durch seine unrealistischen und beinahe russlandfreundlichen Aussagen seit Anbeginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine schadet Michael Kretschmer massiv den Ruf Sachsens in der Welt. Kretschmer sollte daher persönliche Konsequenzen ziehen und zurücktreten, um den Ruf Sachsens in der Welt nicht noch weiter zu beschädigen.“

Diese Rücktrittsforderungen hallen wie ein digitales Donnerwetter durch Sachsens Landeshauptstadt. Nicht nur dort, auch in der CDU-Zentrale und in der Bundeshauptstadt werden sie gehört. Diplomat Wolfgang Ischinger fragt öffentlich Ministerpräsident Kretschmer via Twitter wie einen politischen Anfänger: „Haben Sie einen außenpolitischen Berater? Der Bedarf scheint evident.“

CDU-Funktionäre im Bund wie in Sachsen blicken fassungslos auf das Chaos in ihrer früheren Hochburg. Die Politik von Sachsens CDU-Chef sei „völlig ohne Linie“, berichtet ein Regierungsinsider. Seine hausgemachten Fehler und schlechten Umfragewerte führten zu diesem panischen Zick-Zack-Kurs. Deswegen versuche der bald 47-jährige Regierungschef und CDU-Bundesvize verzweifelt populistische Meinungen zu vertreten, um im russlandfreundlichen Lager von Linken und AfD zu fischen.

INSA-Wahlumfrage Sachsen vom 7. April

Die Fehlerliste von Sachsens CDU- und Regierungschef Kretschmer wird dabei immer umfangreicher. Zu lange hielt er an seinem Westimport und Affären-geplagten Innenminister Roland Wöller fest, bis er ihn wegen Vorwürfen von Vetternwirtschaft schließlich entlassen musste. Statt eines Neuanfangs mit einem Kandidaten aus der sächsischen Heimat importiert Kretschmer erneut einen CDU-Politiker aus dem Westen in sein Dresdner Kabinett. Dem Affärenminister folgt ausgerechnet der umstrittene Katastrophenchef bei der Jahrhundertflut im Ahrtal Armin Schuster ins Amt.

Weiterhin verstehen bis heute langjährige CDU-Granden und Mitglieder aus Sachsen nicht, warum Kretschmer eine grüne Justizministerin wie Katja Meier aus dem linksradikalen Spektrum in seinem Kabinett duldet. Ausgerechnet ein grünes Kabinettsmitglied zuständig für Recht und Ordnung spielte in den neunziger Jahren grünhaarig am Bass in einer linken Punkband herabwürdigende Lieder mit im Grunde kriminellen Texten gegen die Polizei: „Advent, Advent – ein Bulle brennt, erst eins, dann zwei, dann drei.“

Jeder bürgerliche Politiker oder Konservative könnte sich mit so einer radikalen Vergangenheit keine Woche im Amt halten. Grüne hingegen schon und immer wieder – siehe Joschka Fischer, Jürgen Trittin oder eben Katja Meier. Selbst der frühere hochanständige sächsische Bischof der evangelischen Landeskirche Carsten Rentzing wurde allein wegen ein paar konservativer Texte in seiner Studentenzeit, die linksgrüne Kreise als rechts stigmatisierten, regelrecht aus dem Amt gemobbt.

Kretschmers Politik wird zum CDU-Risiko bei den Wahlen

Obendrein setzte Kretschmers Regierung mit SPD und Grünen zum Jahresende 2021 auf eine viel zu strenge und freiheitsfeindliche Corona-Politik. Sachsens Polizei verfolgte Demonstranten wie Schwerverbrecher. Zudem hatte Regierungschef Kretschmer sein Bundesland panikartig und im Alleingang von Mitte November bis Mitte Januar praktisch in einen Lockdown gezwungen. Ferienwohnungen, Pensionen, Hotels und Weihnachtsmärkte mussten in touristischer Hochzeit schließen. Diese einsame Regierungsentscheidung trieb viele Betriebe in die Pleite. Kretschmer hat es sich dadurch mit Hotel-, Gastro- und Schaustellerbranche nachhaltig verdorben. Unterstützung kann sich die CDU hier kaum noch erhoffen.

„Jetzt hat auch die Union ein Putin-Problem“, beschreibt die Bild-Zeitung die heraufziehende CDU-Krise. Für CDU-Chef Friedrich Merz ist Kretschmers Strategie höchst gefährlich vor allem im Vorfeld von wichtigen Landtagswahlen. Schon am Sonntag wird in Schleswig-Holstein gewählt. Aber die für Merz maßgebende Wahl folgt in Nordrhein-Westfalen am 15. Mai. Laut Umfragen wird hier die schwarz-gelbe Regierung des ähnlich unsicheren CDU-Regierungschefs Hendrik Wüst ihre Mehrheit verlieren. Eine zerstrittene Union könnte womöglich dazu beitragen, dass Rot-Grün wieder die Macht in NRW zurückgewinnt. Das wäre für den Oppositionsführer Merz im Bund wie für die Union insgesamt eine erste große Niederlage nach der historisch verlorenen Bundestagswahl.

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