Die wohl bekannteste Formel der Physik im Rahmen von Albert Einsteins Relativitätstheorie kann jeder Schüler im Handumdrehen verstehen. E ist gleich mc zum Quadrat (E=mc²) oder kurz, der Zusammenhang zwischen Energie, Masse und Lichtgeschwindigkeit. Weniger bekannt und selbst für Schnelldenker kaum verständlich ist die Formel deutscher Bürokratie zur Erlangung einer Wohngeldberechtigung und damit für den aktuell beschlossenen Heizkostenzuschuss. Die Wohngeldformel für 2022 lautet: 1,15 · (M – (a + b · M + c · Y) ·Y) Euro.
„M” steht für die monatliche Miete oder Belastung in Euro und „Y“ für das monatliche Gesamteinkommen in Euro. „a“, „b“ und „c“ für Haushaltsmitglieder von denen bis zu zwölf Anspruch für die Berechnung besitzen. Alles klar? Verstehen kann diese Wohngeldformel kein Normalbürger. Digitale Rechner sollen Rentnern oder Arbeitslosen mögliche Berechtigungen für Anträge erklären. Nur dafür müssen die Fragesteller sich schon in Computertechnik sowie Renten und Finanzen auskennen.
Rund 500.000 Studenten und Auszubildende kommen auch noch in den Genuss der jetzt verdoppelten Hilfe. Diese Menschen sollten mit dem Heizkostenzuschuss, so Geyser, eine „spürbare Unterstützung“ erhalten. Wer allein wohnt, bekommt laut Gesetzentwurf einmalig 270 Euro, ein Zwei-Personen-Haushalt 350 Euro. Für jeden weiteren Mitbewohner sind weitere 70 Euro vorgesehen, für Studenten, Auszubildende und andere Berechtigte pauschal 230 Euro. Bisherige Wohngeldempfänger erhalten die ordentliche Heizstütze automatisch auf ihr Konto. Für Hartz-IV-Empfänger gleichen die Ämter die gestiegenen Heizkosten aus.
Wohngeldanspruch ein Buch mit sieben Siegeln
Nur ist für Normalbürger nicht sofort verständlich, ab wann ein Geringverdiener oder Rentner überhaupt Wohngeld und Heizkostenzuschuss bekommt. Wer sich mögliche Berechnungen einmal hier anschaut, dem wird mit Sicherheit schwindlig. Denn es gibt neben der Wohngeldformel auch noch sieben Mietstufen und eine hochkomplizierte Einkommensberechnung mit verschiedensten Abzügen und regionalen Unterschieden. Allein für einen digitalen Wohngeldantrag in Berlin benötigt der eventuell Berechtigte fünf Seiten plus entsprechende Dokumente (Rente, ALG 1, Miete usw.).
Mail-Antworten kommen zwar schnell, aber sie verweisen lediglich auf Wohngeldrechner des Ministeriums, die für wenig Versierte oder ältere Leute ohne technische und steuerliche Kenntnisse ein Buch mit sieben Siegeln sind. Immerhin wird hier ein Beispiel für einen alleinstehenden Rentner in Jüterbog (Brandenburg) aufgeführt. Bei einer Bruttorente von 860 Euro gäbe es nach vielerlei Angaben noch 115 Euro Wohngeld. Für einen alleinstehenden Arbeitslosen in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) mit 820 Euro Arbeitslosengeld gäbe es noch 120 Euro Wohngeld.
Was der Laie nur in vielen Tabellen herauslesen kann, ist wohl eine obere Einkommensgrenze für Alleinstehende von 986 Euro in der Mietstufe eins, die sich bis Stufe sieben auf 1.189 Euro steigert. Für einen Zwei-Personen-Haushalt der Mietstufe eins liegt die Grenze bei 1.348 Euro. Relativ sicher dabei scheint, dass die Aussichten auf Wohngeld mit Heizkostenzuschuss für alleinstehende Rentner und Geringverdiener ab 1.000 Euro und Paare mit Kindern ab 2.000 Euro Einkommen (jeweils brutto) rapide und schnell auf null sinken.
Im vierstelligen Bereich müssen sich halt die vergessenen Schichten der arbeitenden Mitte auf erhebliche Einkommensverluste durch die explodierenden Energie- und Verbraucherpreise einstellen. Sie werden jetzt arm gemacht, weil für sie, eigentlich die große Masse, die soziale Kosmetik der Bundesregierung nicht vorgesehen ist.
Die Mittelschicht soll zahlen, sparen und frieren
Dabei gelten laut Statistik jedoch in Deutschland Arbeitnehmer unter einem Bruttoeinkommen von 2.284 Euro schon als Geringverdiener. Sie machen fast ein Fünftel aller Vollbeschäftigen aus. Deren Zahl lag laut letzten Erhebungen im Jahr 2018 noch bei rund 25 Millionen. Insgesamt gibt es gut 45 Millionen Erwerbstätige in Deutschland.
Obendrein liegt die Zahl der eher einkommensschwachen Haushalte bei fast 10 Millionen. Hinzu kommen hier zusätzliche Millionen Menschen in deren Wohnungen und Häusern. Von 40,7 Millionen Haushalten erwirtschaften 24,7 Prozent nur 900 bis 2.000 Euro netto im Monat. Die müssen jetzt für Klima und Freiheit frieren oder Benzin und Strom sparen. Weitere 31,3 Prozente der Haushalte erzielen lediglich 2.000 Euro bis 3.600 Euro Nettoeinkommen. Das sind noch einmal 12,7 Millionen, die bibbern und zahlen sollen.
So manchem Liberalen wird es angesichts dieser Fakten höchst unwohl. „Die hart arbeitende Mittelschicht, die wesentlich unsere Volkswirtschaft trägt, und nicht gerade über üppige Nettoeinkommen verfügt, muss die dramatisch steigenden Energiepreise allein schultern“, kritisiert der Thüringer FDP-Landesvorsitzende Thomas Kemmerich gegenüber Tichys Einblick zurecht. Die dürfe die Bundespolitik nicht in der Kälte lassen. Es bleibe jetzt nur noch zu hoffen, dass den vollmundigen Ankündigungen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auch eine spürbare Entlastung für die Mittelschicht folge.
Nationaldichter Johann Wolfgang Goethe würde dazu räsonieren: „Die Botschaft hör´ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Denn die breite rackernde Mittelschicht, ist beim Heizen, Tanken und Einkaufen von der Bundespolitik und ihren staatstragenden Medien zum Gürtel-enger-schnallen auserkoren. Sie geht wieder einmal leer aus. Sie soll, wie Ex-Bundespräsident Joachim Gauck eiskalt empfohlen hat, in diesen Kriegszeiten „für die Freiheit auch mal frieren“.
Was Gauck, den die Steuerzahler mit einem stattlichen jährlichen Ehrensold in Höhe von 236.000 Euro bis zum Lebensende großzügig alimentieren, natürlich nicht weiß und ihn wohl auch nicht interessiert: wie lang Menschen für einen Liter Benzin inzwischen arbeiten müssen. So viele Minuten wie heute musste dafür in den vergangenen fünf Jahrzehnten nie ein Arbeitnehmer schuften: